Bislang sind Katholiken, die zum zweiten Mal heiraten, von der Kommunion ausgeschlossen. Mit der am Mittwoch veröffentlichte Handreichung „,Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche‘ – Einladung zu einer erneuerten Ehe- und Familienpastoral im Licht von Amoris Laetitia“ kann sich dies ändern.
Die deutschen Bischöfe überlassen es künftig der Gewissensentscheidung, ob Betroffene nach einem Prozess der „Eingliederung“ wieder die Sakramente empfangen können. Papst Franziskus hatte nach zwei Bischofssynoden in Rom in dem Schreiben „Amoris Laetitia“ den Ortskirchen mehr Spielraum in seelsorgerlichen Entscheidungen gegeben. Das Schreiben der Bischofskonferenz ist jetzt die deutsche Antwort auf das Papier.
Familien als Lernorte des Glaubens
Darin heißt es unter anderem, dass die Bemühungen um die Ehebegleitung verstärkt werden sollen. Eheleute und Familien, insbesondere auch in konfessionsverbindenden Ehen, sollen in der Kirche Angebote für ihre Lebenssituationen finden. Die Familien sollen als Lernorte des Glaubens unterstützt und in dieser oft schwierigen Aufgabe gestärkt werden.
Die Bischöfe laden Katholiken, die nach einer Scheidung zivilrechtlich wieder geheiratet haben, ein, auf die Kirche vor Ort zuzugehen, sich an ihrem Leben zu beteiligen und als lebendige Glieder der Kirche zu reifen. Für dem Empfang der Sakramente sehen die Bischöfe keine allgemeine Regel und keinen Automatismus, sondern differenzierte Lösungen. In ihrem Dokument empfehlen die Bischöfe, den Weg von Ehe und Familie mit der Kirche zu gehen und dabei die wegweisenden und lebensnahen Worte von Papst Franziskus zu bedenken.
Spannung nicht einseitig aufzulösen
Der katholische Publizist Andreas Püttmann bewertet die pastorale Umsetzung von „Amoris Laetitia“ in acht Punkten:
1. Kirchliche Moralverkündigung steht nicht selten in der Spannung zwischen der Zeugnisgabe für eine göttlichem Willen entsprechende Norm (Gebot) und der kirchlichen Assistenz zum Gelingen eines guten, glücklichen Lebens der einzelnen Personen in ihrer je eigenen Lebenssituation. Diese Spannung lässt sich aus katholischer Sicht nicht einseitig auflösen, weder zugunsten unbedingter Normexekution noch durch vorbehaltlose Anheimstellung an das subjektive „Dafürhalten“ oder Gewissen des Einzelnen. Die Herausforderung bestand also darin, einen evangeliumsgemäßen Weg zwischen „Rigorismus“ und „Laxismus“ zu weisen.
2. Die Norm der Unauflöslichkeit der Ehe gemäß dem sechsten Gebot und den Weisungen Jesu wird weder durch den Papst noch durch die deutschen Bischöfe aufgegeben. Sie wird vielmehr ausdrücklich als „unverzichtbares Glaubensgut“ bestätigt und verteidigt. Es wird auch in Zukunft keine „katholische Scheidung“ geben, denn die Ehe steht für die Katholische Kirche sakramental für die unverbrüchliche Liebe Gottes zum Menschen (und Jesu zur Kirche als „Braut“).
3. Bestritten wird jedoch, dass es im Fall jeder einzelnen gescheiterten Ehe eine „glatte Lösung“ gebe, die nur in völliger sexueller Enthaltsamkeit bis zum Tod – dem eigenen oder dem des Ehepartners – bestehen könne. Dieser „Automatismus“ wird als christlich-ethisch unzulänglich verworfen, auch weil er unter Umständen zu neuen Verwerfungen, Lieblosigkeiten und schuldhaften Verstrickungen führen kann, die unmöglich mit dem Willen Gottes in Einklang gedacht werden können.
Neues Beziehungsglück zu einseitig gesehen
4. Den Forderungen nach einer quasi standardmäßigen kirchlichen Akzeptanz einer zweiten Partnerschaft oder zivilen Ehe inklusive Sakramentenempfang (Eucharistie und Beichte) wird aber auch eine Absage erteilt. Und das ist gut so. Oft wird in der Diskussion das neue Beziehungsglück – möglicherweise nur eines Partners – zu einseitig gesehen und zu wenig empathisch an das Leid des verlassenen Ehepartners gedacht, der vielleicht in Treue am Eheband festhält. Auch er erwartet Schutz und Solidarität durch seine Kirche. Der zutiefst menschenfreundliche Sinn der Unauflöslichkeit ehelicher Liebe und sein Zeugnischarakter für die Treue Gottes sind hohe kirchliche Güter in einer Zeit, in der viele Partner wohl auch leichter als früher der Versuchung erliegen können, sich zu rasch trennen.
5. Im Grunde entspricht die jetzt getroffene Entscheidung für Einzelfallregelungen nach gründlicher seelsorglicher Begleitung dem von je her in der Kirche bekannten Prinzip der „Epikie“, des „billigkeitlichen Absehens vom Gesetz“, wenn dessen Forderung den Gegebenheiten einer spezifischen Situation nicht gerecht wird. Die dahinter stehende Einsicht besagt: Kein noch so differenziertes Normgefüge kann alle Lebenssituationen adäquat erfassen und regeln. Manchmal muss man sogar gegen den Buchstaben des Gesetzes handeln, um seinen Sinn zu erfüllen.
6. Faktisch wird damit nur offiziell gutgeheißen, was in der seelsorgerischen Realität schon lange mehr oder weniger diskret praktiziert wird. Es kommt jetzt umso mehr darauf an, dass die einzelnen Priester sich die Zeit nehmen (können), betroffene Paare in der nötigen Gewissenhaftigkeit zu begleiten und ethisch zu sensibilisieren. Dabei kann die heute vielfach vernachlässigte Beichte als Hilfe bei der Schuldbewältigung eine Aufwertung erfahren.
Niederlage für die Konservativen
7. Für die Katholische Kirche in Deutschland, in der dieser Weg schon durch ein Hirtenwort der oberrheinischen Bischöfe (von Freiburg, Rottenburg-Stuttgart und Mainz) 1993 vorgeschlagen wurde, ist dies in gewisser Weise eine späte Rechtfertigung, für die deutschen Kardinäle Meisner und Brandmüller, die „Amoris Laetitia” sogar öffentlich kritisiert haben, sowie für das konservative Kirchenlager eine Niederlage.
8. Und zwar im doppelten Sinn: Zum einen hinsichtlich der Interpretation der Norm beziehungsweise Normkonsequenzen selbst, zum anderen weil damit ihr statisches Wahrheitsdenken widerlegt wird, dass die Lehre der Kirche sich auch in sittlichen Einzelfragen nie ändern kann. Dass auch kirchliche Erkenntnis göttlichen Willens nie vollkommen und fertig ist, zeigt zwar schon die Geschichte, wird aber gerne ausgeblendet. Hier wäre mehr Demut gefragt im Sinne von Jesaja 55,8: „Soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.“ Dass Gott auch Ausnahmen machen könnte, passt jedoch durchaus zum christlichen Bild eines menschenfreundlichen Gottes, dessen Liebe auch das Unvollkommene, Gebrochene einschließt, und der tiefer ins menschliche Herz schaut, als es uns allen möglich ist. (pro)
Von: Andreas Püttmann/pro