Die Wahl vom 8. November 2016, die Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA macht, stellt in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall dar. Amerika hat den schmutzigsten, den ungewöhnlichsten Wahlkampf seiner jüngeren Geschichte erlebt.
Die intellektuell brillante und politisch sehr erfahrene Clinton erlebten die Amerikaner als abgehoben, arrogant, unsympathisch und selbstgerecht. Trump hingegen wetterte von Beginn der Vorwahlen an nicht nur gegen alle anderen Kandidaten, sondern auch gegen den Freihandel und Einwanderer. Unter dem Jubel seiner Fans kündigte er den Bau einer Mauer entlang der mexikanischen Grenze an. Dem etablierten Amerika zeigte Trump den Stinkefinger und er versprach, er mache „America great again“.
Was ist los mit Amerika? Wie konnte es zu so einem Wahlergebnis kommen?
Erste Analysen zeigen deutlich, dass die Wähler zwischen New York und San Francisco nicht so sehr für den Kandidaten Trump und seine vielfach fragwürdigen Positionen gestimmt haben. Der Urnengang von vielen Millionen Amerikanern war stattdessen offenbar vor allem eine Denkzettel-Wahl gegen Clinton und gegen das politisch-mediale Establishment an der Ost- und Westküste.
Millionen Menschen in Amerika fühlen sich heute abgehängt, vernachlässigt und in ihrem sozialen Status gefährdet. Und ihr Vertrauen in Politik und Medien schwindet: Der legendäre „amerikanische Traum“ droht für immer mehr Menschen zumindest gefühlt zum Albtraum zu werden. Nicht nur in den strukturschwachen Weiten des Mittleren Westens. Sondern auch dort, wo es noch immer sagenhafte Gewinner-Geschichten gibt: In und um San Franciso, der Sehnsuchts-Adresse am Pazifik, wurden in den vergangenen fünf Jahren 400.000 neue Zukunfts-Jobs im Silicon Valley geschaffen. Apple, Google und Facebook befeuern den digitalen Fortschritt und zahlen Spitzengehälter. Und genau das führt dazu, dass Lehrer, Verwaltungsangestellte und gehobene Beamte am Golden Gate sozial abstürzen – eine einfache Dreizimmerwohnung kostet dort inzwischen 5.000 Dollar Miete im Monat. Und die Zahl der Obdachlosen auf den Straßen San Franciscos geht inzwischen in die Tausende.
Hat Obama die Gräben vertieft?
Die Schere zwischen Reich und Arm wird immer größer, heißt es oft: Im heutigen Amerika stimmt diese Beobachtung mehr denn je. Das Land fällt auseinander. Die US-Gesellschaft ist heute tief gespalten. Verantwortlich dafür ist nicht Donald Trump – dem neu gewählten Präsidenten ist es jedoch im Wahlkampf gelungen, vielen Miss-Stimmungen seine schrille Stimme zu geben. Auch die breite Zustimmung, die Trump bei der Wahl von christlichen Wählern erfuhr, dürfte damit zusammenhängen, dass er sich als Projektionsfläche für jene eignete, die sich von der etablierten Politik missachtet und unverstanden fühlen. Es sind jedenfalls nicht christliche Werte, für die sich Trump stark gemacht hätte.
Paradox und dennoch realistisch: Ausgerechnet Präsident Barack Obama, der 2008 als eloquenter Hoffnungsträger gestartet war und die Amerikaner begeisterte („Yes, we can“), hat es nicht vermocht, der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken. Wohlmeinende Kritiker sagen sogar, er habe manche Gräben vertieft.
Die bittere Niederlage Clintons ist nicht allein eine Pleite für die liberalen Demokraten, sondern zugleich ein Desaster für die Demoskopen und politischen Analysten in den amerikanischen Medien: Monatelang hatte kaum jemand von ihnen den wütenden Selfmade-Kandidaten Trump wirklich ernstgenommen und die gesellschaftlichen Befindlichkeiten, die sich auf ihn projizierten, verstanden. Medien, Politiker und Meinungsforscher haben ganze Gesellschaftsschichten aus dem Blick verloren. Und dazu gehören nicht nur die weißen, ungebildeten Männer, die als klassische Trump-Anhänger gelten. Die Wahl verloren hat Hillary Clinton letztlich ausgerechnet bei den gehobenen Bildungsbürgern, denn auch „sichere“ Demokraten-Staaten wie Wisconsin gingen bei dieser Wahl entgegen aller Vorhersagen an den „Wut-Bürger“ Trump – nicht an Clinton.
In Kontinentaleuropa – und zumal in Deutschland – haben Republikaner als Wahlsieger selten Beifall bekommen, ob sie nun Nixon, Reagan oder Bush hießen. Doch so einhellig und krachig wie diesmal waren die Kommentare selten. Nicht nur Oppositionspolitiker, auch Regierungsmitglieder zeigten sich nach Trumps Wahlsieg sichtlich „geschockt“ und „entsetzt“. Keine Frage: Dieser Präsident wird die transatlantische Beziehungspflege, die ohnehin bessere Zeiten gesehen hat, wohl weiter erschweren. Außenpolitisch wird besonders spannend sein, wie sich das Weiße Haus unter Trump zu Russlands Präsident Wladimir Putin stellen wird, der klar gegen Clinton angearbeitet hatte. Noch bedeutsamer wird sein, ob Trump tatsächlich die von ihm angekündigte Marktabschottung und Kündigung internationaler Handelsabkommen umsetzen wird: Ein solcher Kurs hätte gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Auch beim Klimaschutz drohen Rückschritte.
Panikmache und Selbstgerechtigkeit nicht angebracht
Mancher Kommentator in Europa, der nun befürchtet, ein Trump im Weißen Haus werde die ganze Welt in Krieg und Krisen stürzen, der überschätzt womöglich die Macht des amerikanischen Präsidenten. Denn der vermeintlich „mächtigste Mann der Welt“ kann politisch ganz schön ohnmächtig sein. Zwar hat Trump zu Beginn seiner Amtszeit in beiden Häusern des US-Kongresses vorerst eine republikanische Mehrheit. Doch anders als in unserem parlamentarischen Regierungssystem, wo Regierung und Parlamentsmehrheit oft gut abgestimmt gemeinsame Sache machen, zwingt die amerikanische Gewaltenteilung mit ihren „checks und balances“ den Präsidenten oft dazu, viele Zugeständnisse zu machen: Der US-Präsident muss sich seine Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus stets selbst organisieren. Hinzu kommt, dass der Quereinsteiger Trump auch bei „seinen“ Republikanern über keine gewachsene parteipolitische Hausmacht verfügt. Wenn die amerikanische Demokratie noch funktioniert, dann wird der Kongress einen Präsidenten, der riskante Wege gehen will, ausbremsen. Trump dürfte es auch in der Öffentlichkeit nicht leicht haben. Nicht nur in Amerika.
Politiker, Polit-Beobachter und auch die Kirchen in unserem Land tun gut daran, wenn sie die neue Lage gut analysieren und als Demokraten und Partner weiter engagiert und kreativ für konstruktive und friedfertige Lösungen arbeiten. Wenig hilfreich sind Panikmache oder selbstgerechte Vorwürfe – etwa an das amerikanische Wahlvolk. Auch Europa erlebt eine historische Phase mit gesellschaftlichen Spannungen und Brüchen. Und auch in Deutschland sind Millionen Menschen tief verunsichert. In knapp elf Monaten ist Bundestagswahl. Auch da könnte es Überraschungen geben. (pro)Evangelikale verhelfen Donald Trump zum Sieg (pro)
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