Der Zulauf zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ ist eine Jugendbewegung, die nichts mit dem Islam zu tun hat. Mit dieser These hat der Orientalist Oliver Roy unrecht. Ein Gastkommentar von Thomas Schirrmacher
Von PRO
Foto: Oleg Zabielin|fotolia
Im Gegensatz zu anderen Religionen gehen aus dem Islam bis heute immer wieder gewaltbereite Radikale hervor
Es gibt immer neue Theorien, die Terrororganisation Islamischen Staat (IS) zu erklären und den Islam von der Verantwortung für den IS zu entlasten. Sie bleiben aber nur Hypothesen, keine kann auf irgendwelche Untersuchungen zu den Mitgliedern des IS aus aller Welt zurückgreifen. Ist es wirklich nur die Unterschicht? Ist es wirklich die Ablehnung muslimischer Jugendlicher durch die Mehrheitsgesellschaft, die sie dazu nötigt, sich zu radikalisieren?
Das zentrale Problem ist, dass alle Erklärungen, auch die von Oliver Roy, speziell für den Islam geschaffen werden, und bisher für andere Religionen und Weltanschauungen nicht genutzt wurden. Stalins Kommunismus war sicher nicht das, was Karl Marx oder die meisten Kommunisten gewollt haben. Aber kann man wirklich sagen, Stalins Kommunismus hatte gar nichts mit dem Kommunismus zu tun? Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland stieß auf die weltweite Ablehnung der Kirchen. Die Masse der Christen schüttelte nur den Kopf. Aber wäre es nicht zu billig, deswegen zu behaupten, der Konflikt habe gar nichts mit dem Christentum zu tun?
Im Kolonialismus wurde überwiegend das Christentum instrumentalisiert. Die offizielle Theologie hielt dagegen Indianer, Afrikaner und andere für ebenbürtige Menschen mit voller Menschenwürde. Also ist das Christentum von den Fehlern der Kolonialzeit freigesprochen? Nein, denn es waren eben christlich geprägte Staaten, die in ihn verstrickt waren und nicht nichtchristliche. Damit muss man sich ernsthaft und differenziert auseinandersetzen, wie es der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber in der Sendung „Hart aber fair“ getan hat.
Andere Religionen radikalisieren nicht
Ähnlich sind auch alle Erklärungen, die den IS und den Islamismus für nichtislamisch halten. Sie sind ebenso einseitig wie jene, die den Islamismus mit dem Islam gleichsetzen. Denn das Problem ist, dass die meisten Muslime über den IS entsetzt sind, der IS aber gleichzeitig kein unliebsames Kind des Buddhismus oder des Atheismus ist. Der Islamismus bringt viele Neuerungen der letzten 100 Jahre, greift aber zugleich auf zentrale theologische Elemente des klassischen Islam zurück.
Jeder, der den IS erklären will, muss beiden Seiten gerecht werden. So ist es zwar richtig, dass die radikalisierten Jugendlichen soziologisch den Jugendlichen ähneln, die sich für rechtsextreme Organisationen gewinnen lassen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass die meisten Religionen und Weltanschauungen in Deutschland keinen Jugendlichen radikalisieren, selbst dann nicht, wenn derjenige dafür anfällig ist. Und: Der offizielle Islam in Deutschland hat bisher keine brauchbare theologische Argumentationslinie gefunden, potenziell radikalisierte Jugendliche für Toleranz und Frieden zu gewinnen. (pro)
Prof. Schirrmacher ist Vorsitzender der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA). Schirrmacher ist Sprecher für Menschenrechte der WEA und leitet deren Institut für Religionsfreiheit.
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