Der Künstler Gerhard Richter hat für die Kirche der Benediktinerabtei St. Mauritius im saarländischen Tholey drei große Fenster entworfen. Richter gilt als der höchstdotierte lebende Maler der Welt. Die englische Zeitung The Guardian nennt ihn den „Picasso des 21. Jahrhunderts“.
Am Mittwoch stellte die Abtei die Entwürfe für die je 1,95 mal 9,30 Meter großen Chorfenster unter großem Medieninteresse erstmals öffentlich vor, einen Tag zuvor wurden sie schon klosterintern präsentiert. Der Künstler selbst war bei der Vorstellung nicht anwesend. Er könne sich aber verstellen, früher oder später der Abtei einen Besuch anzustatten, hieß es bei der Pressekonferenz in Tholey.
Auf Milchglas waren die einen auf zwei Meter großen Entwürfe der Fenster zu betrachten. Zudem wurden die Entwürfe in Originalgröße an der Außenfassade der Abteikirche ausgerollt und sind dort voraussichtlich eine Woche zu sehen. Die Motive sind farbintensiv und auf der Grundlage eines abstrakten Bildes von Richter entstanden. Dieses teilte und spiegelte er mehrmals.
Die drei Fenster habe der Künstler laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) mit großer Freude entworfen, sie kamen „wie gerufen“. Als der Anruf der Abtei kam, habe er gerade mit Mustern aus seinem Künstlerbuch „Patterns“ gespielt, sagt er der dpa: „Ich hatte gleich an Kirchenfenster gedacht, als ich mit den Mustern spielte. Wäre eine gute Methode, diese Muster zu verwenden.“
Die Abteikirche wird derzeit komplett renoviert und soll im Sommer 2020 fertiggestellt werden – inklusive der Richter-Fenster. Die übrigen 34 Fenster der Kirche werden von der in München ansässigen afghanischen Künstlerin Mahbuba Maqsoodi gestaltet.
„Gnadenhafter Erfolg“
Abt Mauritius Choriol benannte am Mittwoch in Tholey die Renovierung als eine „umfassende Sanierung zur Ehre Gottes“. Dass die Abtei Richter für die Gestaltung der Fenster gewinnen konnte, sei eine Art „gnadenhafter Erfolg“: Die einfache Anfrage an Gerhard Richter wurde gegen jede Wahrscheinlichkeit mit einem Ja bedacht.“ Der 87-jährige gebürtige Dresdner stellt den zwölf Mönchen des Klosters seine Kunst als Geschenk zur Verfügung.
Bernhard Leonardy, der Chef der Musikfestspiele Saar und Initiator des Projekts, machte deutlich: „Kunst und Kultur haben hier im Kloster immer eine besondere Rolle gespielt.“ Mit Blick auf die Zukunft des Klosters suchte er nach einer „Nachhaltigkeit der Renovierung – etwas für die Ewigkeit – oder zumindest für eine sehr lange Zeit“.
„Heiliger Geist wirkt mindestens alle zehn Sekunden“
Mitte Juni 2018 schrieb er dem Künstler einen Brief. Dieser antwortete knapp zwei Wochen später auf dem Anrufbeantworter von Leonardy: „Ich bin zu belastet und einfach zu alt. Ich glaube nicht, dass ich es schaffe.“ Dann habe Richter eine Sprechpause von zehn Sekunden gemacht und schließlich gesagt: „– obwohl ich ja Lust dazu hätte“. Leonardy sagte dazu während der Pressekonferenz: „Wenn es einen Heiligen Geist gibt, dann wirkt er mindestens alle zehn Sekunden.“
Frater Wendelinus Naumann, der seit mehr als einem Jahrzehnt die Renovierung des Klosters begleitet und seit wenigen Wochen dem Konvent angehört, sagte: „Wir konstatieren, dass Kirche in einer schnelllebigen Gesellschaft einen Teil ihrer Sprachfähigkeit verloren hat.“ Doch diese möchte sie wieder aufgreifen. Da komme das Projekt gelegen. Die Abtei wollen „Impulse geben“, und zwar den Menschen, die der Kirche angehören, aber auch den Suchenden sowie den Kunst- und Kulturinteressierten.
Richter sagte in einem Interview mit der Rheinischen Post, er habe die Fenster „zum Trost der Betrachter“ entworfen. Im dpa-Interview bezeichnete er sich selbst als „Suchenden“. Naumann erklärte: „Die Worte des ,Suchenden‘ und des ,Trostes‘ haben uns in den Interviews Richters sehr beeindruckt“, weil sie auch religiös und theologisch eine Bedeutung haben. „Für Christen ist Trost immer mit Jesus Christus verbunden. […] Sie sehen, wie nah man mit den Worten Richters an einem gesunden Kirchenverständnis ist.“
„Wenn Kirche Trost spenden kann, ist das eine große Tat“
Abt Choriol erklärte weiter: „Wir freuen uns, dass wenn die Besucher die Fenster sehen, sie Trost und Freude erleben und die frohe Botschaft sehen […] und das Gotteshaus entdecken.“ Und weiter sagte er: „Wir werden die Leute öfter in unsere Liturgie einladen.“
Frater Naumann erklärte gegenüber pro: „Was Richter sagt, mit den Fenstern Trost auszudrücken, ist ein zutiefst christlicher Begriff. Es ist eines der Werke der Barmherzigkeit. Wenn Kirche Trost spenden kann, ist das eine große Tat. Papst Franziskus hat das schön gesagt: Die Menschen werden heute so vielfältig verletzt wie auf einem Kampfschauplatz. Wenn Kirche gut ist, kann sie auf die ein oder andere Wunde ein Pflaster kleben.“ Und weiter: „Wir wollen bei dem Gehetzt-Sein und diesem ständigen Unter-Druck-Sein in der Welt nicht das Rad schneller drehen, sondern schauen, dass wir Antworten geben oder einfach einen Ort der Stille bieten können.“
Je länger Naumann vor den Fensterentwürfen sitze oder stehe, desto mehr neue Elemente entdecke er, sagte er pro am Mittwoch in Tholey: „Obwohl es nur Zufälle und Geometrie sind – vor dem gläubigen Auge konstruiert sich dann was.“ Ein anderer Betrachter fragte ihn nach gewisser Zeit: „Hast du auch schon den Engel entdeckt?“ Naumann bejahte dies, sie hatte eine Struktur entdeckt, die wie ein Engel aussehe: „Dass ein Anderer das auch so wahrnimmt, ist interessant. Obwohl Richter natürlich bestreiten würde, dass er Engel gemalt hat.“
Im Gespräch mit der dpa erklärte Richter, dass er zu Gott „keine Beziehung“ habe. Er trat als junger Mann aus der evangelischen Kirche aus. Dem Christentum stehe er aber nahe: „Ist ja immerhin meine Wurzel. Da komme ich her.“ Weiter erklärte er in dem Interview, dass er an ein Leben nach dem Tod nicht glaube: „Tot ist tot.“ Er sieht es aber als „eine schöne Vorstellung, die die Menschheit sich da erfunden hat: Wenn sie stirbt, dass sie dann in den Himmel kommt“.
Richter lehnte laut Benediktinerabtei vergleichbare Angebote beispielsweise von der Kathedrale von Reims stets ab. Nun konnte er durch privates und musikalisches Engagement überzeugt werden, „seine größte sakrale Arbeit an diesem spirituellen Ort im Saarland am Fuße des Schaumberges durchzuführen“.
Der Dresdener Künstler Gerhard Richter entwarf zuvor bereits das Südquerhausfenster des Kölner Doms, auch bekannt als „Richter-Fenster“. Bei Sonnenschein entfalten die bunten Glasfenster ihre volle Wirkung (siehe Bilderstrecke).
Von: Martina Blatt