Jesus hätte zwei sich liebende Männer nicht ausgeschlossen. Diese Ansicht hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) in der Podienreihe „Streit um die Familie“ beim Kirchentag in Stuttgart geteilt. Auch Kirchenpräsident Volker Jung sprach sich für die „Ehe für alle“ aus.
Für Schwesig ist Familie „da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“
Das vom Kirchentag formulierte Motto „Vielfalt: Chance und Scheitern. Wie wird Familie neu buchstabiert?“ störte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. „Scheitern“ sei eine Beurteilung von Außen. Das Urteil „Scheitern“ könnten maximal Betroffene selbst sprechen.
Familie sei für Schwesig an dem Ort, wo Menschen sagen, wir sind füreinander da und „da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“. Auch Patchwork-Familien und „Regenbogen-Familien“ und sogar Singles seien vom Thema Familie betroffen. Jeder habe schließlich Eltern. Im gesellschaftlichen Miteinander gehe es um Solidarität: „Unsere Gesellschaft lebt davon, dass wir Verantwortung füreinander übernehmen.“
Schwesig: „Was hätte Jesus dazu gesagt?“
Familienbilder hätten sich in den letzten Jahren verändert. Schwesig sagte am Donnerstag: „Ich habe mich gefreut, dass die EKD den Mut hatte, mit dem Familienpapier die verschiedenen Familienformen anzusprechen.“ Schwesig würde nie ihr eigenes Familienbild als Maßstab für andere nehmen. „Eigentlich ist diese Vielfalt in diesem Land eine Chance.“ Sie hoffe, dass die Deutschen aus den Diskussionen zum Thema Familie klug werden.
„Ich verstehe christlichen Glauben nicht so, dass wir Menschen ausgrenzen“, etwa wenn zwei Männer zusammenlebten, sagte Schwesig. Die Familienministerin frage sich immer: „Was hätte Jesus dazu gesagt?“ Schwesig gehe nicht davon aus, dass Jesus zwei Frauen oder zwei Männer, die zusammenleben und sich liebevoll umeinander kümmern, ausgeschlossen hätte.
Schwesig zu Kramp-Karrenbauer: „Argumentation unterirdisch“
Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte sich am Mittwoch gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare geäußert. Sonst, sagte Kramp-Karrenbauer, seien auch andere Forderungen nicht auszuschließen, wie „etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“. Schwesig findet „solche Argumentationen unterirdisch und respektlos“.
Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a.D., sagte auf dem Podium: „Die Verfassung versteht als Familie die Gemeinschaft von Eltern und Kindern.“ Das können auch alleinerziehende Eltern sei. Wenn eine Frau mit Kind in eine homosexuelle Beziehung trete, verliere sie diesen Status nicht.
Kirchhof fragte: „Müssen wir nicht mehr für das Modell Ehe und Familie werben?“ In den 60 Jahren der Demokratie in Deutschland sei eine Hochkultur entstanden. Zudem brauche die Familienpolitik „den großen Wurf“: „Wir müssen das Kinderwahlrecht anerkennen.“ Das Prinzip sei: „Ein Mensch, eine Stimme.“ Dann würden wir ein anderes politisches Klima haben.
Jung: „Wir nehmen der Ehe nichts weg, wenn wir etwas hinzunehmen“
Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, antwortete auf die Frage nach einem biblischen Familienmodell: „Das mit dem biblischen Familienmodell ist leider ein bisschen schwierig. […] Wir können nicht einfach eine bestimmte Form aus der Bibel ableiten.“ Aber die Familie könne sich aus den Werten stärken lassen. „Es geht nicht um eine Ordnungsorientierung, sondern um Werteorientierung.“ Diese Werte seien Treue, Verlässlichkeit oder Dauerhaftigkeit.
Jung vertrete nicht die Meinung, dass das Prinzip Ehe wackelt. „Ich bin der Überzeugung, wir nehmen der Ehe nichts weg, wenn wir etwas zunehmen.“
Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bochum, sagte, die Ehe- und Familienwirklichkeit sei im Wandel. Dieser sollte aber gleichzeitig nicht überschätzt werden. Auch eine sexuelle Verwahrlosung lasse sich empirisch nicht nachweisen.
Theologin: Kirche sollte sich für gleichgeschlechtliche Ehen einsetzen
Der Betrachter könne den Fokus darauf legen, dass jede dritte Ehe geschieden wird. Erstaunen könne aber, dass 63 Prozent der Ehen nicht durch Scheidung getrennt werden. Noch nie sei die Ehedauer so lange gewesen, weil unsere Lebenserwartung gestiegen ist. Beim Umgang mit Kindern gehe es darum, dass Menschen ihre Kinder lieben und nicht darum, welchen Verwandtschaftsgrad sie zueinander haben.
Karle sprach sich für die „Ehe für alle“ aus. „Den Blick für alle Menschen zu öffnen, die in Liebe und Verantwortung füreinander einstehen und Kinder erziehen und begleiten, dahinter gibt es aus christlicher Perspektive kein Zurück.“ Gerade weil Theologie und Kirche an Verantwortung und Verlässlichkeit in Ehe und Familie viel liege, „sollten sie sich dafür einsetzen, dass gleichgeschlechtliche Paare den vollen ehelichen Status erlangen und in ihrem Wunsch nach Verbindlichkeit und Treue unterstützt werden“. Das stärke das Modell der Ehe und zeige, „wie stabilisierend und hilfreich diese Institution ist – auch für andere Konstellationen als die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau“.
Zu Wort kamen auf dem Podium unter anderem auch eine alleinerziehende Mutter, eine Patchwork-Familien-Mutter, eine Frau, die eine interkulturelle Ehe führt, eine lesbisch verpartnerte Mutter und ein traditionell verheirateter Mann. (pro)
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