Den beiden großen Kirchen in Deutschland laufen die Mitglieder davon. Das zeigen die Kirchenstatistiken. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will das ändern und wieder attraktiver werden. Dazu hat ein Zukunftsteam elf Leitsätze zur Weiterentwicklung der Kirche formuliert. Weil für Starter ins Berufsleben die Kirchensteuer ein gewichtiger Grund für den Austritt ist, erwägt das Zukunftsteam „Entlastungsmöglichkeiten“ und „Spielräume bei der Kirchensteuerpflicht“ junger Menschen. Auch „über alternative Formen finanzieller Beteiligung von Menschen, die sich ohne formelle Mitgliedschaft der Kirche zugehörig fühlen“, hat das Zukunftsteam nachgedacht.
Bei der Diskussion aus der Reihe „Zweifeln erlaubt“ der Evangelischen Akademie Frankfurt am Montag hat sich die Kirchenrechtlerin und Mitglied des Zukunftsteams der EKD, Susanne Teichmanis, dagegen ausgesprochen, Verwaltungsstrukturen für die Erhebung der Kirchensteuer aufzubauen. Die Landeskirchen sollten – die Ausnahme ist Bayern, dort wird die Steuer von kircheneigenen Steuerämtern erhoben – beim Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzämter bleiben. Das Unbehagen mit der Kirchensteuer hat nach Ansicht Teichmanis zwei Gründe: Einmal stellten die Berufseinsteiger plötzlich fest, dass Kirche etwas koste. Dazu komme das Gefühl, nicht zu wissen wofür.
Zugehörigkeitsgefühl der jungen Menschen zur Kirche fördern
„Wenn Menschen nicht mehr wissen, warum sie eigentlich Mitglied der Kirche sind, dann läuft gehörig etwas schief“, erklärte die Oberkirchenrätin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg. Junge Menschen empfänden zudem ein Widerstreben bei der Vorstellung, „dass Kirche und Staat im System der Kirchensteuererhebung so nahe beieinander sind“. Die Kirchen müssten das Zugehörigkeitsgefühl der jungen Menschen zur Kirche fördern und diese mehr beteiligen. Zur finanziellen Entlastung junger Menschen schlägt das Zukunftsteam vor, „Spielräume bei der Kirchensteuerpflicht“ zu nutzen und „Möglichkeiten der Mitbestimmung bei der Verwendung“ der Mittel zu schaffen. Eine bessere Kommunikation und engere Bindung könnten dem Papier zufolge durch die Registrierung der jungen Menschen mittels einer sogenannten „Churchcard“ bewirken.
„Das Alte loszuwerden um das Neue zu beginnen ist überhaupt gar keine Idee, die in der Kirche verhandelt wird, wenn es um die Kirchensteuer geht“, erklärte der Politikberater und Kirchenkritiker Erik Flügge. Dies gelte „erst recht nicht, wenn es um junge Menschen geht“. Stattdessen werde in der Kirche die Frage aufgeworfen, wie die jungen Menschen dafür gewonnen werden könnten, die alten Wege mitzugehen. Den Gedanken, junge Menschen durch eine Art Rabatt bei der Kirchensteuer zu entlasten, hielt Flügge für abwegig. Rabatt habe immer mit Risiko und Veränderung zu tun. „Nichts davon trifft auf den Fall der Kirchensteuer zu.“ Zudem schafften Rabatte keine Relevanz für die Kirche.
„Gottesfrage in den öffentlichen Raum transportieren“
„Wir sollen als Kirche große Teile unserer Kirchensteuer auch dafür verwenden, an möglichst vielen Stellen im öffentlichen Raum das Wort ‚Gott‘ zu plakatieren“, forderte Flügge in der Podiumsdiskussion. Aufgabe der Kirchen sei, die „Gottesfrage“ so in den öffentlichen Raum zu transportieren, dass junge Menschen deren Relevanz erkennen könnten. Flügge wünscht „eine Direktansprache jedes Kirchenmitgliedes, das jung ist, bevor es das erste Mal Kirchensteuer bezahlt“, und regelmäßige Mitteilungen darüber, was Kirche alles leistet „und Gutes getan hat“.
Neuen Formen der Partizipation, etwa dass Nichtgetaufte Fördermitglieder einer Kirche würden, erteilte Flügge eine Absage. „Wir haben ein Problem, unsere eigenen Mitglieder zu halten und sie von der Relevanz der Institution zu überzeugen“, sagte er. Es sei unrealistisch, dass Nichtmitglieder den Kirchen „die Bude“ einrennen würden, um Mitglied einer Institution zu werden, die selbst ihren Mitgliedern die eigene Relevanz nicht plausibel erklären könne. Aufgabe der Kirche müsse daher vornehmlich sein, die eigenen Mitglieder zu involvieren, zu binden und mit Kontakt zu versorgen.
„Der Austrittsgrund ist, wenn man den Menschen nichts anbietet, wenn der Menschen nicht mehr weiß, wozu er in einer Kirche ist“, sagte der Pfarrer der Wallonisch-Niederländischen Kirche in Hanau, Torben Telder. Skeptisch äußerte sich Telder über den Vorschlag Teichmanis, jungen Menschen die Kirchensteuer im Gegenzug für das Einbringen „ihrer Kompetenzen“, etwa in der Form handwerklicher Fähigkeiten, zu mindern. „Wer keine Kirchensteuer bezahlen will, den werde ich nicht damit erreichen, dass er bei mir den Rasen mäht.“
Von: Norbert Schäfer