Die Menschenwürde muss bei der Migration und Flucht eine stärkere Rolle spielen, fordern die katholische und die evangelische Kirche. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichten dazu das ökumenische Grundlagenwort „Migration menschenwürdig gestalten“.
Bei der Vorstellung der Schrift sagte der stellvertretende DBK-Vorsitzende in einer Online-Pressekonferenz, Bischof Franz-Josef Bode, der Text solle ein Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt sein und richte sich gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit: „Wenn jüdische und muslimische Gotteshäuser geschändet werden, darf uns das als Kirchen nicht kalt lassen.“ Das gleiche gelte, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Weltanschauung bedrängt würden. „Rassismus verleugnet die von Gott gegebene Würde jedes Menschen“, sagte Bode.
Migration nicht verhindern
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm kritisierte, dass Rechte und Würde von vielen Menschen, die derzeit auf der Flucht seien, missachtet würden. Vor allem an den Außengrenzen der EU, etwa in Belarus, sei das „skandalös und zutiefst beschämend“. „Wir ziehen da an einem Strang“, sagte Bedford-Strohm über die Bemühungen der beiden großen Kirchen, die Migrationsbedingungen zu verbessern. „Die Menschen dürfen nicht allein gelassen werden, sie müssen teilhaben“, sagte er. „In unserer DNA als Christen ist geschrieben: ‚Jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes.‘ Das dürfen wir nicht vergessen.“ Deshalb sei es Aufgabe der Kirche, auf Missstände in der Migration hinzuweisen.
Die Ursachen zu bekämpfen, die zu einer unfreiwilligen Migration führten, müsse das Ziel einer Migrationspolitik sein, sagte Marianne Heimbach-Steins von der Universität Münster. Sie gehört der Ökumenischen Arbeitsgruppe an, die das Migrationswort vorbereitet hat. Hannes Schammann von der Universität Hildesheim, ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe, erklärte, Ziel der EU dürfe nicht die Hochrüstung der Außengrenzen sein. „Wenn der Blick auf die Verhinderung von Migration das Einzige ist, was die EU zusammenhält, wird die EU als Wertegemeinschaft keine Zukunft haben.“
Deutschland ist Einwanderungsland
Im Geleitwort der Schrift erinnern der DBK-Vorsitzende Georg Bätzing, EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron, daran, dass es auch in der Geschichte des Christenums immer wieder um Flucht und Migration gegangen sei. Die Bibel könne deshalb lehren, wie das Miteinander verschiedener Kulturen in den Kirchen gelebt und wie ein Zusammenleben verschiedener Weltanschauungen gelingen könne. Erfolg könne eine Migrationspolitik nur haben, wenn das Gemeinwohl im Zentrum stehe, schreiben die drei Vorsitzenden.
Das Gemeinsame Wort analysiert zunächst die Entwicklung rund um das Thema Migration der vergangenen zwanzig Jahre. Deutschland sei seit den 2000er-Jahren mehr und mehr zum Einwanderungsland geworden. Unter anderem durch ein neues Zuwanderungsgesetz, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und durch die leichtere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Besonders großen Einfluss auf die aktuelle Migrationsdebatte habe die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 und 2016 gehabt.
Flucht und Migration „roter Faden“ in der Bibel
Auch die Kirche und das Christentum seien schon immer vom Thema Migration geprägt, heißt es in einem der folgenden Kapitel. Schon allein, weil es verschiedene christliche Konfessionen gebe. Pluralität sei deshalb ein „Normalfall“, folgern die Autoren. „Christlicher Glaube hat seit seinen Anfängen sprachliche, kulturelle und politische Grenzen überschritten. Dabei entstanden verschiedene regionale Zentren christlichen Lebens.“ Migration habe schließlich auch dazu geführt, dass sich der christliche Glaube ausbreitet.
„Wie ein roter Faden“ ziehe sich das Thema Migraton durch biblische Texte. „Flucht und Vertreibung, Sesshaftigkeit und Aufbruch, Vielfalt und Zusammenleben, Pilgerschaft und Heimat, Exil und Asyl – all dies sind Bedingungen, unter denen viele biblische Texte entstanden sind“, heißt es.
„Niemand sollte gezwungen sein, aus seiner alten Heimat auswandern zu müssen; und jeder und jedem sollte es möglich sein, in eine neue Heimat einwandern zu können“, beschreiubt das Gemeinsame Wort das Ziel einer ethischen Migrationspolitik. Das könne zwar nicht so direkt in die Politk übertragen werde, sollte jedoch ein Leitgedanke sein.
Kritik: Ziel verfehlt, als EU Schutzraum zu sein
Die Migrationsschrift bewertet auch politische und rechtliche Fragen. Universale Menschenrechte zu wahren, sei in der Flüchtlingspolitik das oberste Gebot. Besonders wichtig und immer neu verteidigt werden müsse dabei, dass ein Schutzsuchender nicht in sein Heimatland zurückgeschickt werden darf, wenn ihm dort Lebensgefahr oder anderer ernsthafter Schaden droht. Zudem gehörten zur Migration auch die Themen globale Gerechtigkeit und Entwicklungsarbeit. Entwicklungsarbeit führe dabei aber nicht automatisch zu weniger Migration. Für die Kirchen sei es unter anderem besonders wichtig, „für Menschen Perspektiven in ihren Herkunftsländern zu schaffen“.
Die Schrift kritisiert, dass „das selbstgesteckte Ziel der EU, ein gemeinsamer Raum des Schutzes und der Solidarität zu werden, weitgehend verfehlt“ wurde. Seit 2013 seien die Schwächen immer mehr zu Tage getreten durch den vermehrten Zuzug von Migranten. „Die Situation von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen widerspricht dem für die EU grundlegenden Prinzip der Wahrung der Menschenwürde“, schreiben die Verfasser der Kirchenschrift. Hier brauche es dringend Reformen.
Als Christen im Alltag aktiv werden
Wichtig sei auch das Thema Integration in Zusammenhang mit Migration. „Integration heißt in einer modernen Gesellschaft, einen positiven Umgang mit Pluralität, Diversität und Wandel zu finden.“ Der Sozialstaat sei für Deutschland dabei bedeutend. Bei der Frage, wer welche staatlichen Leistungen bekommt, müsse man sich an der Menschenwürde orientieren. „Das Einwanderungsland Deutschland sollte sich aktiv um eine Einbürgerungskultur bemühen“, fordern die Verfasser außerdem.
Die Christen in den Kirchen sollten schließlich ganz praktisch ihre Verantwortung beim Thema Migration wahrnehmen. Die Schrift führt abschließend einige Stichpunkte dazu auf: Unter anderem müssten Geflüchtete, die sich taufen lassen, individuell begleitet werden. Christen sollten die Religionsfreiheit aller Menschen zu verteidigen. Rassismus habe unter ihnen keinen Platz. Auch der Einsatz gegen Menschenhandel und für eine „solidarische, an den Menschenrechten ausgerichtete Reform der europäischen Flüchtlingspolitik“sei Aufgabe von Christen. Kirchenasyl sei der letzte Ausweg für Schutzsuchende.