Am Sonntag demonstrierten in München rund 1.900 Menschen gegen die Corona-Einschränkungen – obwohl die Behörden die Teilnehmerzahl auf 1.000 begrenzt hatte. Um die Auflage zu umgehen, wandelten die Organisatoren ihre Veranstaltung kurzerhand in einen Gottesdienst um und schlugen Justiz und Verwaltung so ein Schnippchen. Für Open-Air-Gottesdienste gibt es in Bayern keine behördlichen Einschränkungen.
Die Evangelische Kirche distanzierte sich nun von dem „Querdenken“-Gottesdienst. Einen Gottesdienst hätte der Veranstalter im Vorfeld mit einer Gemeinde vor Ort absprechen müssen, sagte der Pressesprecher der evangelischen Landeskirche in Bayern, Johannes Minkus. Eine Demonstration spontan in einen Gottesdienst umzubenennen, sei „Etikettenschwindel“.
Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk schloss der Generalvikar des Erzbistums München und Freising, Christoph Klingan, aus, dass es sich bei der „Querdenken“-Veranstaltung um einen katholischen Gottesdienst gehandelt habe. Für einen solchen „gelten liturgische Vorgaben und gewisse Standards“. Diese seien jedoch nicht eingehalten worden. Mit Blick zu den Anhängern von „Querdenken“ sagte Klingan: „Gerade als Kirche rufen wir zu verantwortungsvollem Handeln auf.“ Die Antworten der Kirche auf das Coronavirus seien keine Verschwörungstheorien oder die Instrumentalisierung von kirchlichen Formaten, sondern „Gebet, Solidarität und schlicht verantwortungsvolles Handeln“.
„Missbrauch der Religionsfreiheit“
Auf Twitter äußerte sich die evangelische Regionalbischöfin aus Hannover und das Mitglied des deutschen Ethikrates, Petra Bahr, über den Vorfall: „Das ist ein abstoßender Missbrauch eines hohen Rechtgutes.“
Querdenker geben eine Veranstaltung als Gottesdienst aus. Das ist ein abstoßender Missbrauch eines hohen Rechtsgutes. Wer nun fordert, weil ein Recht missbraucht wurde, müsse es ganz abgeschafft werden, argumentiert zutiefst illiberal. Ich finde das verstörend.
— Petra Bahr (@bellabahr) November 2, 2020
Einen Missbrauch stellt auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) fest. Es sei entlarvend, „wie schamlos ausgerechnet angebliche Verteidiger der Grundrechte das Grundrecht auf Religionsfreiheit missbrauchen“.
Rechtlich gesehen müsse plausibel erklärt werden, warum eine Veranstaltung ein Gottesdienst ist, erklärt der Staatskirchenrechtler Stefan Korioth von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dass die „Querdenken“-Demo von München ein Gottesdienst gewesen sei, hält er für nicht plausibel. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kündigte derweil an, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen werde.
Von: Martin Schlorke