Die Diakonie Neuendettelsau hat im Oktober 2014 einer Mitarbeiterin gekündigt, weil diese privat in Pornofilmen mitwirkte. Daraus ist ein Rechtsstreit entbrannt.
Ein Rechtsstreit zwischen einer Diakonieeinrichtung und einer Angestellten kommt vor das Bundesarbeitsgericht in Erfurt
Dürfen sich kirchliche Arbeitgeber für das Privatleben ihrer Angestellten interessieren und daraus Konsequenzen für das Dienstverhältnis ziehen? Im Fall der Diakonie in Mittelfranken, der zunächst vor dem Arbeitsgericht Augsburg in Donauwörth verhandelt wurde, durfte die Diakonie nach Ansicht der Richter ihre Mitarbeiterin kündigen. Obwohl die Kündigung gar nicht durch etwas begründet war, was die Frau während ihrer Arbeitszeit getan hatte. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hatte die Frau erklärt: „Die Pornos habe ich in meiner Freizeit gedreht. Also nach Dienstschluss. Und ich finde: Das ist mein gutes Recht!“ Das Gericht sah das anders, weil auch die Freizeitaktivität nicht vereinbar mit der Sexualethik der Kirche sei. Außerdem: Sollten Eltern der von ihr betreuten behinderten Menschen oder diese selbst von dem Hobby erfahren, könnte daraus für die Diakonie ein Vertrauensverlust entstehen. Mit dem Urteil war die Frau nicht einverstanden und legte beim Landesarbeitsgericht München Berufung gegen das Augsburger Urteil ein. Die Richter des Landesarbeitsgerichts ließen am Dienstag die Revision des Urteils nicht zu. Das Gericht in München sah nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Dienstag in dem privaten Verhalten der Klägerin eine „schwerwiegende sittliche Verfehlung“, die den Wertvorstellungen der evangelischen Kirche und der Diakonie widersprechen. Nun will die Frau nach Angaben der Nürnberger Zeitung vom Mittwoch wiederum gegen das Münchner Urteil eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt einlegen.
Rücksicht auf Arbeitgeberziele
Arbeitgeber kündigen Mitarbeitern. Das geschieht jeden Tag und kann personenbedingt, verhaltensbedingt oder betriebsbedingt sein, muss aber immer gut begründet und nachvollziehbar sein. Weil zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, schützt der Staat den schwächeren Arbeitnehmer durch Arbeitsrecht und Kündigungsschutzgesetze. Ist ein Arbeitnehmer mit seiner Kündigung nicht einverstanden, muss er binnen drei Wochen vor dem Arbeitsgericht klagen.
„Wie sich jemand privat verhält, kann auch bei anderen Arbeitgebern zur Kündigung führen, die einen Tendenzbetrieb unterhalten“, erklärt Klaus Schultze-Rhonhof, Partner der Kanzlei Jota Rechtsanwälte. „Greenpeace kann verlangen, dass sich Mitarbeiter privat auch umweltfreundlich verhalten. Ein plausibler Kündigungsgrund wäre beispielsweise, wenn ein Mitarbeiter daheim im Garten Öl entsorgt und damit das Grundwasser verseucht.“ Im Grundgesetz ist im Artikel 4 nicht nur die Freiheit des Glaubens garantiert, sondern jede Weltanschauung. Auch Atheistenverbände können sich auf den Schutz durch das Grundgesetz berufen.
Tendenzbetriebe sind in erster Linie nicht darauf angelegt, Geld zu verdienen, sondern dienen politischen, erzieherischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder kirchlichen Zielen. Kindergärten, Altenheime und Krankenhäuser mit kirchlichen Trägern gelten als Tendenzbetriebe, weil bei diesen Einrichtungen nicht der Gewinn, sondern der Dienst am Menschen aus christlicher Nächstenliebe im Vordergrund stehen soll.
Wer in einem Tendenzbetrieb arbeitet, muss mehr Rücksicht auf die Ziele des Arbeitgebers nehmen, als dies in anderen Betrieben der Fall ist. Anwalt Schultze-Rhonhof erklärt die Sicht des Bundesarbeitsgerichts dazu: „Außerdienstlich begangene Straftaten können auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt.“ Denkbar wäre die berechtigte Kündigung eines Mitarbeiters im kirchlichen Altenheim, wenn privat ein Verfahren wegen Körperverletzung gegen ihn läuft. Der Arbeitgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen das Arbeitsverhältnis auch kündigen, wenn nur ein Verdacht gegen den Mitarbeiter besteht.
Bundesverfassungsgericht stärkt Sonderrechte der Kirchen
In den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gelten andere Regeln als in der Katholischen Kirche. Das Regelwerk der Katholiken legt strengere Maßstäbe an. Ein Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus hatte sich von seiner Ehefrau getrennt und jahrelang eine Freundin gehabt. Als er diese heiratete, kündigte ihm der Arbeitgeber. Dagegen klagte der Arzt. Alle Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht unterstützten den Arzt zunächst darin, dass die Kündigung unwirksam sei. Das Bundesarbeitsgericht argumentierte, dass der Arbeitgeber jahrelang gewusst habe, dass der Arzt eine Freundin hatte. Die Heirat mache da keinen Unterschied. Das letzte Urteil fiel aber doch anders, zugunsten der Kirche, aus: Das Bundesverfassungsgericht entschied im vergangenen Jahr, dass das Bundesarbeitsgericht gar nicht bewerten könne, was der Kirche wichtig ist und was nicht. „Das Bundesarbeitsgericht durfte demnach dieses Werturteil nicht fällen“, sagt Schultze-Rhonhof. „Letztlich hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Sonderrechte der Kirchen gestärkt.“
Das Urteil verdeutlicht aber auch, dass in puncto Wiederheirat zwischen den beiden Volkskirchen enorme Unterschiede herrschen, die sich wiederum von der öffentlichen Meinung unterscheiden. Bei einem evangelischen Krankenhausträger hätte dem Arzt höchstwahrscheinlich keine Kündigung gedroht, bei einer städtischen Klinik ist die Frage vermutlich irrelevant.
Die Kirchen müssen sich auch dem Vorwurf stellen, dass kirchliche Krankenhäuser besondere Rechte dazu benutzen, um viel weniger Lohn zu bezahlen als vergleichbare andere Krankenhäuser. Der Vorwurf gilt analog für kirchliche Kindergärten und Altenheime. Dem widerspricht die Kirchenjuristin Petra Knötzele, die als Oberkirchenrätin bei der Landeskirche in Hessen und Nassau angestellt ist: „Unsere Arbeitsverträge halten jedem Vergleich, etwa mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, stand.“
Anwalt Schultze-Rhonhof dagegen ist skeptisch: „Wenn etwa diakonische Einrichtungen in der Vergangenheit Leiharbeiter eingesetzt haben, die weniger verdienen als eigene Angestellte, tut sich die Kirche damit keinen Gefallen und zerstört damit ihre Sonderrechte. Die werden in der Bevölkerung zunehmend nicht mehr verstanden.“ Dann wird auch die Politik diese Sonderrechte aufheben müssen. Die Tendenz sei absehbar.
Konsensmodell versus Konfliktmodell
Denn in der Ausgestaltung der Arbeitsverträge hat der Gesetzgeber den Kirchen besondere Rechte eingeräumt – den sogenannten „dritten Weg“. Vom „ersten Weg“ spricht das Arbeitsrecht, wenn eine Partei, also der Arbeitgeber, vorgibt, was im Arbeitsvertrag steht. Typisches Beispiel sind die Beamtengesetze. Als „zweiten Weg“ bezeichnet man die Tarifautonomie. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände schließen Tarifverträge, in denen die Rahmenbedingungen für alle Arbeitnehmer, die darunter fallen, geregelt werden.
Der sogenannte „dritte Weg“, den die Kirchen gewählt haben, geht zurück auf die Weimarer Verfassung und hat danach Eingang ins Grundgesetz gefunden, weil der Staat den Kirchen nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur die Funktion einer mahnenden Autorität zubilligte. Die Kirchen bilden Kommissionen aus Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern, die sich einigen sollen, ohne zu streiken. „Die Vertreter müssen in den Verhandlungen zu einer Mehrheit gelangen. Der Konsens wird nicht in einem Arbeitskampf erwirkt, sondern friedlich, und entspricht dem Selbstverständnis der Kirchen“, sagt Oberkirchenrätin Petra Knötzele. Der Verband kirchlicher Mitarbeiter, eine Art Gewerkschaft, bestimmt die Vertreter der Arbeitnehmerseite aus Kirche und Diakonie. „Kommt die Kommmission zu keinem Ergebnis, kommt es zur Schlichtung“, sagt die Juristin. Die Schlichtung ist im kirchlichen Modell für beide Partner bindend.
Julian Jaedicke, Gewerkschaftssekretär bei Verdi-Mittelhessen, bemängelt dies: „Die Mitarbeiter aus Betrieben, die in den Kommissionen mitwirken, sind keine Tarifexperten.“ Dem entgegnet Knötzele, dass die Mitarbeiterseite jederzeit einen unabhängigen Experten hinzuziehen könne. Jaedicke kritisiert auch die Schlichtung des dritten Weges: „Der Schlichter bei Tarifverhandlungen unterbreitet ein Angebot, einen Kompromissvorschlag. Dem können die Tarifpartner zustimmen oder nicht. Beim dritten Weg ist es eine ‚Zwangsschlichtung‘.“ Er kritisiert auch, dass Kirchenmitarbeiter nicht streiken dürfen. Unterdessen gibt es in Landeskirchen auch tarifliche Modelle, die dem „zweiten Weg“ folgen. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und die frühere Nordelbische Kirche haben mit den Gewerkschaften Tarifverträge über das Arbeitsrecht für die Beschäftigten ihrer Landeskirche ausgehandelt. (pro)
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