Meinung

Kirche hat Substanzielles zu bieten

Entweder die evangelische Kirche erneuert sich oder sie geht unter, findet der Theologe Markus Beile. Damit sie sich erneuern kann, hat er in seinem neuen Buch zwölf Bereiche benannt, in denen sie ihre Zukunftsfähigkeit unter Beweis stellen sollte.
Von Johannes Blöcher-Weil
Kirche: Erneuerung oder Untergang

Haben die evangelischen Kirchen noch eine Zukunft? Ja, meint der Theologe Markus Beile. Die Erneuerung müsse aber beginnen, bevor es zu spät ist. Seine zwölf Merkmale für eine zukunftsfähige Kirche präsentiert er in dem Buch „Erneuern oder untergehen: Evangelische Kirchen vor der Entscheidung“, das im Gütersloher Verlagshaus erschienen ist.

Zunächst blickt Beile darauf, wie sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert hat. Ihm zufolge ist die Gesellschaft pluraler und technisierter geworden, aber auch ökonomisierter und flexibler. Er betont, dass die religiöse Welt allgemein immer mehr als Angebot betrachtet wird, die „die Individuen immer mehr nach Leistung und Preis beurteilen“. Bei ihren Ideen müsse die Kirche auch die unterschiedlichen Glaubenstypen und Wünsche nach Spiritualität berücksichtigen.

Dialog mit Religionslosen hilft

Es reiche nicht, sich lediglich um eine bessere Vermarktung oder diversifizierte Angebote Gedanken zu machen. Für Beile scheint die Kirche in ihrer aktuellen Situation mit den fundamentalen Herausforderungen der Zeit heillos überfordert. Sie müsse sich in Theorie und Praxis auf die gesellschaftlichen Veränderungen einstellen und wieder religiös werden, um zukunftsfähig sein zu können.

Die Kirche habe mit ihren Symbolen, Lebensdeutungen und Ritualen durchaus etwas Substanzielles zu bieten. Es gelinge ihr aber zu wenig, genau das den Menschen plausibel zu machen. Kirche habe zwar wichtige und hilfreiche Traditionen. Aber nicht alle seien geeignet, um die Fragen der Gegenwart und der Zukunft zu beantworten.

Damit Kirche zukunftsfähig ist, müsse sie auch das Verhältnis zu anderen Weltsichten klären. Gerade dabei komme es zu vielen Missverständnissen. Große Probleme hat Beile damit, wenn Kirche sogar den Wahrheitswert naturwissenschaftlicher Erkenntnisse begrenze oder bestreite. Aus seiner Sicht helfe der Dialog mit Religionslosen dabei, sich weiterzuentwickeln.

Was evangelisch ist, ist unklarer denn je

Gerade die Gemeindehäuser sieht er als wichtige Orte an, den Menschen und ihren Bedürfnissen Raum zu geben. Die verschiedenen Gruppen sollen sich nicht nur dort treffen, sondern auch den Austausch mit anderen Gruppen in der Gemeinde pflegen und den Blick für den Nächsten schärfen. „Die Menschen teilen ihr Leben miteinander in einer intensiven Art und Weise“, hofft Beile.

Wie in der Apostelgeschichte 2 beschrieben, wünscht er sich Menschen, die kontinuierlich und aktiv am Gemeindeleben teilnehmen: „Wir brauchen partizipierende statt konsumierende Mitglieder.“ Genau wie in der Urgemeinde sollten sich die Kirchengemeinden durch intensive christliche Spiritualität und aktive Nächstenliebe auszeichnen: Würde sich die Kirche wieder auf die lebendige Gemeinschaft und das gemeinsame Ziel besinnen, stünden nicht mehr in erster Linie Kasualien für Kirchenferne im Zentrum, sondern der planmäßige Aufbau von vitalen Keimzellen.

Er wünscht sich Predigten, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Nur wenn es gelinge, die biblischen Berichte alltagsrelevant und sinnstiftend in die heutige Zeit zu übertragen, könnten Predigten nachhaltig wirken. Kirche müsse sich inhaltlich klar profilieren und dem Anspruch gerecht werden, Jesu Nachfolgerin zu sein: „Was evangelisch ist, ist unklarer denn je“, findet Beile.

Dabei dürfe sie sich auch zu den dunklen Seite des Christentums bekennen und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Kirche sei keine Behörde oder ein Dienstleister. Ihre Mitglieder müssten eine lebendige und aktive Überzeugungssarbeit leisten und nicht nur Lippenbekenntnis abliefern. Christen müsse man anmerken, was ihre innere Glaubensüberzeugung ist.

Die Dramaturgie protestantischer Gottesdienste entspreche nicht den Erwartungen der Menschen noch seien sie überzeugend inszeniert. Sowohl die vermittelten Inhalte als auch der Gemeindeaufbau könnten nur mit der entsprechenden Nachhaltigkeit funktionieren.

Kenntnisreich abwägend und zum richtigen Zeitpunkt

Gemeinden sollen sich dabei auf das Wesentliche ausrichten, aber auch Mut haben neue Dinge in ihrem Umfeld auszuprobieren. Kirche und Gemeinde müsse darüber hinaus die Frage beantworten, wie sie sich gesellschaftlich und in den gesellschaftlichen Dialog einbringen möchte. Der Autor plädiert für einen kenntnisreich abwägenden und wohl dosierten Weg.

Die aktuelle Bilanz des Theologen fällt ernüchternd und verheerend aus. Laut Beile hat der Protestantismus noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Es könnte sein, dass christliche Werte und manche biblischen Erzählungen im kulturellen Gedächtnis haften bleiben, aber er befürchtet, dass dies nicht durch „eine die Gesellschaft prägende Religion“ geschieht. Er hat sogar Angst davor, dass Kirche ein Nischendasein fristet. Am Ende des Buches zeichnet er in einer Gedankenreise nach, was für ihn eine moderne und grundlegend erneuerte Kirche. Die Szene, die er beschreibt, hat etwas Einladendes und an dem Einzelnen Interessiertes. Genauso, dass Menschen nach der ersten Begegnung ein Interesse daran haben, wiederzukommen.

Eines vorneweg: die Lektüre des Buches lohnt sich. Beile arbeitet sich nicht nur an der Kirche ab. Er macht auch auf den über 300 Seiten konstruktive Vorschläge, wie Kirche inspirierend sein kann und ihr Ziel nicht verfehlt. In verschiedenen Kapiteln gibt er auch einen Überblick über theologische und strukturelle Debatten oder wie eine Predigt entsteht. Natürlich kann man sich an manche seiner Thesen reiben und vielen Evangelikalen wird manche Forderung zu liberal sein. Aber es wird deutlich, dass es Beile um die Zukunft der beziehungsweise seiner Kirche geht.

Markus Beile, Erneuern oder untergehen: Evangelische Kirche vor der Entscheidung, Gütersloher Verlagshaus, 384 Seiten, 22 Euro, ISBN: 9783579071725.

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2 Antworten

  1. „Die Dramaturgie protestantischer Gottesdienste entspreche nicht den Erwartungen der Menschen…“, ja, die Liturgie erinnert mich immer an das Abfragen in der Schule. Und bei dem Preußentalar mit Bartschutz (Beffchen) muss man sich doch fragen, in welchem Jahrhundert befindet sich denn die Kirche denn?

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  2. Die ev. Kirche muss zurück zu den 5 Soli der Reformation:
    Sola Fide (allein der Glaube)
    Sola Scriptura (allein die Schrift)
    Solus Christus (allein Christus)
    Sola Gratia (allein die Gnade)
    Soli Deo Gloria (Gott allein gehört die Ehre)
    Die historisch kritische Theologie hat die ev. Kirche von ihrem Haupt, Christus dem gekreutzigten und physisch aufertandenen, abgetrennt.

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