Meinung

Kinderbibel in allen Farben des Regenbogens

Die „Alle Kinder Bibel“ ist antirassistisch, genderneutral und überhaupt in jedem möglichen Sinne inklusiv. Die Welt braucht ein Kinderbuch wie dieses. Und dennoch will das Projekt zu viel.
Von Anna Lutz

Eine Bibel für alle Kinder schaffen – das wollten Andrea Karimé und Anna Lisicki-Hehn. Nun mag der ein oder andere fragen: Ist nicht jede Kinderbibel für alle Kinder? Keineswegs, würden die Macher antworten. Denn nicht jedes Kind kann in jeder Bibel sich selbst wiederentdecken.

Zwei Beispiele: Obwohl die Bibel historisch gesehen vor allem von Menschen erzählt, deren Hautfarben nicht weiß sind, bilden viele Kinderbücher Jesus und seine Jünger als Menschen ab, die aus Westeuropa stammen könnten. Oder: Obwohl es historisch belegt auch Jüngerinnen gab, zeigen Kinderbibeln seltener Frauen in Jesu Anhängerschaft.

Mit beidem will die „Alle Kinder Bibel“ Schluss machen. Adam und Eva haben braune Hautfarbe, mal mehr, mal weniger hell. Sara erinnert dem Ansehen nach an eine Frau der Sinti und Roma, Maria sieht aus, als stamme sie aus dem subsaharischen Afrika, und Jesus selbst wirkt, historisch vermutlich sehr korrekt, wie ein Mensch, der etwa aus dem Irak stammt.

Die Geschichte von der Arche Noah, bebildert in der „Alle Kinder Bibel“

Immer da, wo Gruppen abgebildet sind, tragen diese alle möglichen Hautfarben und deren Schattierungen. Es gibt hier Frauen und Männer, Mädchen und Jungen, Dickere und Dünnere, Schielende und Blinde, Sommerbesprosste und solche mit unregelmäßiger Pigmentierung. Alle eben.

Rassistische Bedrohung ist Realität

Es ist kein Zufall, dass das Projekt „Alle Kinder Bibel“ von der Antirassismus-Expertin Sarah Vecera ins Leben gerufen wurde. Sie ist auch Autorin des Buchs „Wie ist Jesus weiß geworden?“, das im vergangenen Jahr für viel Furore gesorgt und ihr als Referentin einen vollen Terminkalender beschert hat. „Wie schön hätte ich es gefunden, wenn ich mich als Kind of Colour in einer Kinderbibel repräsentiert gewusst hätte“, schreibt sie im Vorwort.

Das Anliegen ist mehr als nachvollziehbar und berührt besonders dann das Herz, wenn man Veceras öffentliche Posts in Social-Media-Accounts der letzten Tage verfolgt. Offenbar wurde die Antirassismustrainerin bedroht, musste von Security beschützt werden, zuletzt wurden Auftritte sogar aus Sicherheitsgründen abgesagt. Das ist traurige Realität in Deutschland, auch im Jahr 2023, und es zeigt deutlich: Die Welt braucht Bücher und Medien, die Rassismus die Stirn bieten und das gilt auch und vielleicht erst recht für christliche Literatur. Es ist gut und richtig, dass Kinder schon beim Lesen ihrer ersten Bibel sehen: Vielfalt ist nicht nur normal. Sie ist auch von Gott gewollt.

Die „Alle Kinder Bibel“ setzt das nicht nur durch ihre Zeichnungen um. Die Auswahl der Geschichten setzt einen ebenso eindeutigen Schwerpunkt: Es geht um Frauen wie Rut und Sara oder Maria Magdalena. Um Ausgestoßene wie Bartimäus und Zachäus. Um die Fluchtgeschichte von Maria und Josef. Auf etwas über 100 Seiten haben nicht alle biblischen Geschichten Platz.

Inklusive, gegenderte Sprache

Auch die Sprache ist inklusiv. Statt von Altem und Neuem Testament schreibt Karimé etwa von Erstem und Zweitem Testament, wie im interreligösen Dialog üblich, um Juden nicht vor den Kopf zu stoßen. In die Zeichnungen sind Wörter aus anderen Sprachen eingearbeitet. Die Bibel benutzt gezielt die griechische Schreibweise der Namen, wie seinerzeit üblich.

Ausschnitt aus der „Alle Kinder Bibel“

Hinter alldem steckt nicht nur eine wahnsinnige Arbeit, sondern das zeugt auch von viel Fingerspitzengefühl selbst dort, wo die meisten Leser wohl auf den ersten Blick gar keines als notwendig erachten würden. Vor Veröffentlichung wurde die Bibel verschiedenen Personengruppen zum Gegenlesen vorgelegt, etwa solchen mit Migrationshintergrund oder körperlichen Besonderheiten. Sensitivity Reading nennt man das.

Es ist ein gewagtes Projekt, die Geschichten der Bibel so aufschreiben zu wollen, dass sie keine wie auch immer geartete Minderheit stören, denn die Verfasser der Ursprungstexte legten darauf mutmaßlich wenig Wert. An vielen Stellen gelingt das auch. Dennoch ist der Text hier und da dadurch so gut wie unvorlesbar geworden.

„Mose, ich bin dein*e Gott.“

Eine gegenderte Schreibweise, etwa „Freundinnen“ stört da noch am wenigsten. Seltsam wird es aber, wenn aus dem brennenden Dornbusch die himmlischen Worte erklingen: „Mose, ich bin dein*e Gott.“ Und die Autoren Gott anschließend noch singen lassen: „Ich bin fair, ich bin mit dir. Ich bin queer, ich bin mit dir. Ich bin, ich bin mit dir.“ Intellektuell kann man das alles argumentieren: Queer ist hier als Ausdruck für Vielfalt gemeint. Und natürlich ist Gott der, der er ist, also nicht festgelegt auf eine bestimmte Nationalität, Hautfarbe oder Geschlecht. Und doch ist der Sprachgebrauch doch ein anderer. Der erwachsene Vorleser oder die Teenager-Leserin mag sich fragen: Achso, Gott ist also schwul? Diese Engführung wiederum ist dann doch mindestens schwierig.

Das Wort Gott mit einem weiblichen Artikel zu belegen wiederum liest sich doch dramatisch schlecht und ist gerade für Kinder, die gerade das Lesen lernen, maximal irritierend. An diesen Stellen wäre es doch sinnvoller gewesen, weibliche und männliche Zuschreibungen abzuwechseln. Gott und Göttin. Herr und Herrin. Dann wäre doch zumindest der Grammatik Genüge getan.

Kurz: Das Anliegen und weite Teile der Ausführung sind in diesem Buch gut, nachvollziehbar und passend. Doch an manchen Stellen wird es schräg und das könnte daher rühren, dass beim Verfassen zu viele No-Gos zu beachten waren. Es wäre gut gewesen, stärker zu überlegen: Ist das für Kinder eigentlich noch verständlich?

So ist die „Alle Kinder Bibel“ dann am Ende leider doch nicht für alle. Oder zumindest nur für die, die beim Vorlesen einfach jene Worte einsetzen, mit denen sie und ihre Kinder zurechtkommen. Auch das ist ja eine Variante, zumindest, solange Mama und Papa noch mit am Bett sitzen.

Andrea Karimé und Anna Lisicki-Hehn: „Alle Kinder Bibel“, Neukirchener, 112 Seiten, 15 Euro

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