Die Autoren Tobias Künkler und Tobias Faix haben umfangreich zu Erziehung in christlichen Familien geforscht. Genauso wie das Buch zur Studie richtete sich auch das zugehörige Symposium am Samstag in Kassel an Wissenschaftler, Praktiker der Kinder- und Jugendarbeit, sowie an jene, die Erziehung 24 Stunden am Tag praktizieren: an die Eltern.
Besonders gefreut hätten sich Faix und Künkler darüber, dass sich die befragten Eltern in ihrer Rolle als Vater oder Mutter sicher fühlen, erklären sie bei der Vorstellung der Studie. Das widerspreche dem weit verbreiteten Klischee unsicherer Eltern. Das Hauptziel aller Glaubenserziehung liege für die Mehrheit darin, dass die Kinder den Glauben der Eltern annehmen. Die Autoren hätten dieses Ergebnis zwar erwartet, dennoch liege genau hier die Spannung und im Extremfall auch das Dilemma einer sonst insgesamt eher freiheitlich geprägten Erziehung.
Auch das Thema Gewalt in der Erziehung beleuchteten die Wissenschaftler im Buch und bei der Präsentation gründlich, obwohl die Zahlen zeigen, dass nur ein sehr geringer Teil der Befragten Gewalt bewusst und biblisch begründet anwendet. Künkler sieht jedoch auch das keinesfalls als „beruhigend“ an. Insgesamt freue er sich aber über das Bild, das die Studie von christlicher Erziehung male, sagte er im Gespräch mit pro. An vielen Stellen sei er positiv überrascht gewesen, der Stilwandel sei in vielem gut und dass den Eltern von heute die Kinder auf der Nase herumtanzen, stimme so nicht.
Dennoch sei das Bild auch ambivalent und fordere da, wo Spannungen seien, genauer hinzusehen. „Spannung ist okay, aber es sollte kein Dilemma daraus werden“, fasste Künkler zusammen. Genauer hinsehen müsse man beim Thema Gewalt. Wenn dieses Verhalten tatsächlich bei bestimmten Denominationen „stärker ausgeprägt ist und diese stärker vertreten gewesen wären, wäre das Ergebnis anders”.
Im Gespräch mit pro sieht Künkler das Loslassen der Kinder in Glaubensdingen als eine der größten Herausforderungen für Eltern an.
Religionspädagoge: „Zu wenig Aussagekraft”
Mit Friedrich Schweitzer, Professor für Religionspädagogik an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hatten Künkler und Faix einen der wichtigsten und bekanntesten Religionspädagogen Deutschlands zur wissenschaftlichen Einordung und Kritik ihrer Studie gebeten. Er sehe in der Studie vor allem eine begrüßenswerte Initialstudie, sagte Schweitzer. Leider gäbe es bis heute zu wenig Befunde zur christlichen Erziehung in Familien.
Dennoch müssten nun weitere Studien folgen, die vor allem einen weiteren Bereich christlicher Familien in den Blick nehmen. Die Studie von Künkler und Faix sei eigentlich keine über christliche Familien, sondern über freikirchliche und hochreligiöse Familien. Das beschere ihrer Aussagekraft deutliche Grenzen. Zudem wäre es tatsächlich bereichernd gewesen, wenn auch Kinder befragt worden wären. Dies hatten Künkler und Faix selbst schon eingeräumt. Künkler ist sich darüber bewusst, dass vor allem katholische Christen „stark unterrepräsentiert sind“, sieht die Stichprobe aber trotzdem als „nicht verzerrend“ an.
Bei den Rückschlüssen der Studie auf Erziehungsunterschiede zwischen den Generationen mahnte Schweitzer Vorsicht an, da diesbezügliche Werte in der Studie allein aus dem persönlichen Erinnerungsvermögen der Befragten gewonnen wurden. Erinnerung sei nicht objektiv, eher kreativ.
Er sei froh über die positive Entwicklung hin zu einer gewaltfreien Erziehung, sagte Schweitzer. Doch wenn Gewalt „vermeintlich christlich“ begründet würde, sei das ein Grund zur Sorge. Er plädierte dafür, dass Glaubenserziehung vor allem Pluralitätsfähigkeit im Blick haben sollte, also bei Kindern die Fähigkeit stärken sollte, den eigenen Glauben in einer Welt leben und vertreten zu können, die von anderen Religionen und Weltanschauungen geprägt ist. Dazu müssten Kinder diese im Elternhaus auch kennenlernen.
Von einem Dilemma zwischen Furcht und Freiheit würde er nicht sprechen, sondern von einem Missverständnis, sagte Schweitzer. Mit Verweis auf Luther betonte er, dass christliche Erziehung immer in Freiheit stehen müsse und nichts mit Furcht zu tun haben sollte, denn im Glauben gebe es keinen Zwang.
Kultur der Wertschätzung
Eine Einschätzung zur Studie kam auch vom Theologen und Gründer der blu:boks Berlin, Torsten Hebel. Mit seinem Team arbeitet er mit Kindern und Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen. In seiner „Selbstwertmanufaktur“ will Hebel die jungen Menschen mit einer Kultur der Wertschätzung in Berührung kommen lassen. 2015 veröffentlichte der ehemalige Evangelist ein Buch, in dem er davon berichtet, den Glauben an Gott zwischenzeitlich verloren zu haben.
Ein Kind, das zuhause höre, es sei eine „fressende Belastung“ und dessen Eltern wünschten, es „wäre nie geboren“, könne mit Wertschätzung zunächst nicht umgehen. Hebel wolle diesen Kindern mit „bedingungsloser Liebe“ begegnen und mit der Zusage „hier kannst du nicht rausfliegen“. Erst unter diesem Zuspruch könnten die Kinder und Jugendlichen sich verändern.
Was Teilnehmer denken
Auf diese Weise „unterschiedliche Positionen zu sehen“, neben der Studie selbst auch „die eine oder andere kritische Bemerkung und Hintergrundinformationen“ zu hören sei interessant gewesen, erklärte ein Teilnehmer gegenüber pro. Für ihn seien auch Hebels Ausführungen spannend gewesen, der sich selbst als „Betroffener von christlicher Erziehung bezeichnet“. Der Vater von drei Kindern nimmt aus dessen Vortrag vor allem den Impuls des bedingungslosen Liebens mit.
So geht es auch einer jungen Mutter, die es als Auftrag Jesu ansieht, die Kinder bedingungslos zu lieben. Gleichzeitig sieht sie es als „die größte Herausforderung“ an, besonders bei Grenzerfahrungen mit dem Kind. „Daran muss man bestimmt immer wachsen und arbeiten“, sagte sie im Gespräch.
Die „unperfekte, christliche Familie“
Mit ausverkauftem Haus, interessierten Teilnehmern, konstruktiver Kritik und Anerkennung ist Tobias Faix mit der Veranstaltung „sehr zufrieden“. Er freue sich besonders, Friedrich Schweitzer gewonnen zu haben, der nicht aus dem Milieu der Studie stamme und so einen Blick von außen auf sie werfen konnte, sagte Faix gegenüber pro. Seine Kritik sei hilfreich und wichtig, schließlich wolle er nicht nur „Mündigkeit in der Erziehung, sondern auch hier beim Symposium“.
Auch Torsten Hebel habe mit seinem „flammenden Plädoyer für das Kind an sich“ die Veranstaltung bereichert. Faix, der Vater von zwei Töchtern ist, findet sich selbst in den Forschungsergebnissen wieder. Auch er verfolge einen freiheitlichen Erziehungsstil, wohl wissend um die eigene Prägekraft und Grenzen. Auf die Frage, welchen Erziehungsratgeber er christlichen Eltern empfehlen würde, antwortete er schmunzelnd: „Der kommt im September raus.“ Aus den Ergebnissen der Studie entstehe gerade in Zusammenarbeit mit allen Referenten der Workshops ein ermutigender Ratgeber für die „unperfekte, christliche Familie“. (pro)
Von: Miriam Anwand