Der Schaden, den Priester, Lehrer und Erzieher dem kindlichen Bild von Kirche und von Vertrauen zugefügt haben, dürfte bei vielen irreparabel sein. Und wer sagt: „Die Zeit damals war nun mal so“, macht das Verhalten nicht besser. „Meine fröhliche Kindheit endete, als meine Eltern mich am ersten Schultag der 3. Klasse in dem Internat in Etterzhausen zurückließen“, wird eines der Opfer in dem Bericht, der am Dienstag veröffentlicht wurde, zitiert. Von da an hätten die Erzieher „uneingeschränkt Gott“ gespielt. „Angst ist bis heute mein ständiger Begleiter“, heißt es weiter. Mit dem Siegelring haben Kirchenangehörige Kinder blutig geschlagen. Etwa wenn ein Junge beim Gottesdienst stolperte. So ein Siegel-Ring gilt in der Katholischen Kirche übrigens – ähnlich einem Ehering – als Zeichen der Treue zur Kirche.
Es ist katastrophal, wie hier Menschen als Christen versagt haben. Die Schikanen, Schläge und Ungerechtigkeiten bei Kindern wirken sich auf deren restliches Leben aus. Von „Gefängnis“, „Hölle“ oder „Konzentrationslager“ sprechen einige der Opfer in Erinnerung an die Zeit. Das ist zwar wörtlich genommen objektiv fragwürdig, aber aus der subjektiven Perspektive eines Kindes durchaus nachvollziehbar.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, klagte, die Katholische Kirche habe die Aufklärung des Missbrauchs verschleppt. Daraufhin forderte der ehemalige Regensburger Bischof Kardinal Gerhard Ludwig Müller eine Entschuldigung von Rörig. Er würde „falsche Informationen“ verbreiten. Aber Rörig sagte weiter: „Es wäre den Betroffenen zu wünschen, dass er (Müller, Anm. d. Redaktion) sich wenigstens jetzt für die verschleppte Aufarbeitung entschuldigen würde.“ Doch der Kardinal, der von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg war, weist auch das von sich. In einem dpa-Interview sagte der Geistliche: „Es ist offensichtlich, dass die Katholische Kirche bei dem Thema härter angegangen wird, dass Priester a priori verdächtigt werden.”
Selbst wenn er damit Recht haben sollte: Wen wundert es? Ist es nicht die „Mutter Kirche“, die – richtigerweise – in einer Welt der sozialen Kälte die „Schäfchen“ zu sich rufen und wie einst Jesus die Kinder als besonders schutzbedürftig herausstellen sollte? Können Eltern von einem katholischen Christen, der hauptberuflich ein Amt in der Kirche ausübt, nicht noch eher erwarten, die Liebe Christi umzusetzen, als von einem Lehrer der reformpädagigischen Odenwaldschule? Wer zugeführtes Leid relativiert, anstatt es einzugestehen, wer Schuld von sich weist, anstatt auf die Opfer zuzugehen, quält die Opfer erneut. Dabei sollten doch gerade Kirchenvertreter wissen, was es mit Vergebung auf sich hat.
Der Verein Zartbitter, eine Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, stellt fest, dass in den meisten Fällen sexueller Ausbeutung von Kindern in Institutionen einige Mütter und Väter beschrieben, dass sie „immer schon so ein komisches Gefühl“ gehabt hätten, jedoch keinen falschen Verdacht hätten aussprechen wollen. „Es ist sicherlich nur fair und korrekt, nicht aufgrund der Beobachtung eines grenzverletzenden Verhaltens einen Menschen des sexuellen Missbrauchs zu verdächtigen. Doch ebenso korrekt und kein Verrat ist es, grenzverletzende Verhaltensweisen von Kollegen und Kolleginnen im Team zu verbalisieren.“ Der Rat von „Zartbitter“ an Kinder: „Hilfe holen ist kein Petzen.“ Wo auch immer sexueller Missbrauch – der Experten zufolge hierzulande etwa so verbreitet ist wie Typ-2-Diabetes – stattfindet, gebietet es die Liebe Jesu, ihm Einhalt zu gebieten. Ob Christen oder Nichtchristen, ob in Kirchen oder in Reformschulen.
Von: js