pro: Herr Stock, Privatschulen haben in Deutschland einen deutlichen Zulauf. Wie sieht es im christlichen Bereich aus?
Wolfgang Stock: Auch freie Schulen, die von christlichen Eltern gegründet wurden oder werden, haben einen deutliche Zulauf. Wenn das neue Schuljahr beginnt, starten alleine vier neue Schulen, die Mitglied im Verband der Evangelischen Bekenntnisschulen (VEBS) sind. Viele unserer 125 Schulen haben mehr Schüler aufgenommen. Teilweise gibt es Wartelisten. Wir könnten noch mehr Schüler aufnehmen, aber dazu brauchen wir mehr gläubige Lehrer.
Welche Faktoren machen Sie verantwortlich für diese Entwicklung?
Die Eltern schätzen es, dass alle Mitarbeiter in unseren christlichen Schulen bekennende Christen sind. Ihre Kinder können so glaubwürdige Vorbilder auch in der Schulzeit erleben. Viele freuen sich über den wertgebundenen Unterricht. Laut Grundgesetz müssen unsere Schulen ja anders sein: Der gesamte Unterricht in allen Fächern muss von unserem christlichen Bekenntnis geprägt sein. Das ist in der Regel die gemeinsame Basis des Glaubens der Deutschen Evangelischen Allianz. In vielen staatlichen Schulen findet das Christliche nur noch im Religionsunterricht statt. Da ist dies ein deutliches Alleinstellungsmerkmal.
Was geben Ihnen „Ihre“ Schüler und Eltern für Rückmeldungen, warum sie sich für eine christliche Privatschule entscheiden?
Christliche Eltern wollen, dass ihre Kinder sich mit dem christlichen Glauben und seinen ethischen Maximen intensiv auseinandersetzen und darin wachsen können. Nichtgläubige Eltern möchten, dass ihre Kinder sich selbst frei entscheiden können. Beides ist an christlichen Schulen in freier Trägerschaft sehr gut möglich.
Die nordrhein-westfälische Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, findet, dass durch immer mehr Schüler in Privatschulen die Gesellschaft sozial selektiert werde. Was entgegnen Sie ihr?
Zunächst einmal: Wir wollen überhaupt kein Schulgeld erheben. Leider zwingt uns der Staat dazu, weil er uns deutlich weniger Geld als den staatlichen Schulen gibt. Andererseits sind wir dazu verpflichtet, unsere Mitarbeiter angemessen zu bezahlen. Es wäre klasse, wenn uns die Gewerkschaft im Interesse der Lehrer und Familien unterstützen würde, diese Diskriminierung zu beenden. Die christlichen Schulen sind ja nur ein kleiner Teil des Spektrums aller Privatschulen. Die GEW hat vermutlich eher die wenigen Schulen im Blick, die nur für reiche Familien da sein wollen. Für unsere christlichen Schulen gilt das genaue Gegenteil. Als Christen sind wir für alle und besonders für die Nichtprivilegierten da. Wir decken in unseren Schulen das gesamte soziale Spektrum ab. In vielen Fällen sind wir die letzte Hoffnung von Jugendämtern und Familien für Schüler, die im staatlichen Schulsystem unterzugehen drohen. Nicht zu Unrecht vermuten sie, dass es bei vielen christlichen Pädagogen eine Extraportion Liebe gibt.
Entstehen wirklich Parallelgesellschaften?
Überhaupt nicht, denn die freien Schulen – und speziell unsere christlichen Schulen – sind nicht exklusiv, sondern stehen mitten im Leben und in der Gesellschaft. Ich glaube sogar, dass Kinder und Jugendliche in vielen unserer Bildungseinrichtungen besser darauf vorbereitet werden, später Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen.
Was sind mögliche Alternativen?
Wenn wir über die Grenzen in unsere Nachbarländer schauen, sind Privatschulen dort nicht nur normal, sondern teilweise sogar die Regel wie etwa in den Niederlanden. Die Gründung von freien Schulen ist laut Artikel 7 des Grundgesetzes ein Grundrecht der Eltern. Es kann und darf nicht angetastet werden. Eine Alternative sehe ich: Die Ländern müssten sich mehr um die Schulen kümmern, auch finanziell!
Wie bewerten Sie den Vorstoß des CDU-Politikers Carsten Linnemann, der ausreichende Deutschkenntnisse vor der Einschulung von Kindern gefordert hat?
Wenn man seine Äußerung im Originalton liest und nicht in der Zuspitzung der Deutschen Presse-Agentur dpa, dann hat er völlig recht: Der Spracherwerb muss vor der ersten Klasse stattgefunden haben. Deshalb haben bereits viele unserer Schulen Kindertagesstätten gegründet oder bieten „Vorschule“ an, um Kinder in dieser Zeit optimal zu fördern und für die Einschulung vorbereiten zu können. Allerdings nützt es gar nichts, „Kita für alle“ zu fordern und zu fördern, wenn die Bedingungen dort schlecht sind. Oft sind die Gruppen zu groß und die Zahl der Erzieher zu gering, um Kinder optimal zu fördern. Kita soll nicht mehr „Betreuung“, sondern „Bildung“ sein. Denn die ersten Jahre sind enorm wichtig.
Vielen Dank für das Gespräch
Die Fragen stellte Johannes Blöcher-Weil
Der VEBS vertritt mehr als 150 christliche Kindertagesstätten, Schulen und Berufsschulen, die von Eltern gegründet wurden. Etwa 3.000 Pädagogen bilden dort knapp 30.000 Schüler und Kindertagesstätten-Kinder. In den Einrichtungen ist der gesamte Alltag vom evangelischen Bekenntnis geprägt. Wolfgang Stock ist seit 2017 Generalsekretär des Verbandes der Evangelischen Bekenntnisschulen. Er hat schriftlich auf unsere Fragen geantwortet.