Keine Macht den Fake News

Vor ihnen ist kein Fake sicher: Die Macher von „Mimikama“ verfolgen von Wien aus Falschmeldungen und Internet-Betrug. Dabei haben sie mit kruden Verschwörungstheorien genauso zu tun wie mit politischer Hetze. Das Handwerkszeug dafür lieferte ihnen unter anderem die Theologie. Von Raffael Reithofer
Von PRO
Für ihr Engagement gegen Falschmeldungen und Internet-Betrug wurden die Fake-Jäger von „Mimikama“ als „Blogger des Jahres 2016“ ausgezeichnet

Ein unscheinbares Türschild mitten in Wien-Erdberg verrät den Weg zu einer Welt, wo sich das Virtuelle und das Reale treffen. Hier, in einer umgebauten Wohnung, sitzen die Faktenchecker von „Mimikama“ vor ihren Bildschirmen: Tom Wannenmacher, Vereinsgründer und führender Kopf hinter „Mimikama“, aus der Steiermark, der in Wien lebende Westfale Andre Wolf sowie Andreas Lang aus Hessen, der vorübergehend hierher gezogen ist, um YouTube-Videos für das österreichische Bundesministerium für Bildung zu produzieren. Gemeinsam gehen sie vermeintlichen oder tatsächlichen Falschmeldungen – sogenannten Fake News – und anderen Betrügereien im Internet auf die Spur. Wannenmacher kann es kaum fassen, dass aus seinem ursprünglichen Hobbyprojekt nach sechs Jahren eine Plattform geworden ist, die mittlerweile sogar staatliche Stellen bis hin zur Spitzenpolitikerebene kontaktieren.

Dabei hat alles damit angefangen, dass sich der gelernte Zuckerbäcker und langjährige Werbegrafiker Wannenmacher im März 2011 bei dem Spiel „FarmVille“ auf Facebook einen Virus auf seinem Rechner eingefangen hat. Um seine zahlreichen Spieler-Freunde zu warnen, gründete er eine Facebook-Seite: „Ich habe mich an die Worte meiner Mutter entsonnen, die immer zu mir gesagt hat: ‚Zuerst denken, dann reden!‘“ Daraus wurde nun „Zuerst denken – dann klicken“. Kurz darauf richtete er einen Blog ein, den er nach einer (fehlerhaften) Google-Übersetzung von „Gefällt mir“ auf Suaheli mimikama.at nannte. Nach nur zwei Tagen hatte die Seite über 5.000 Facebook-Fans, inzwischen sind es fast 700.000.

Mit dem Handwerkszeug der Theologie

Längst hat Wannenmacher seinen Job als Grafikdesigner an den Nagel gehängt, um sich unter großem persönlichen Einsatz der Seite und dem gemeinnützigen Verein „Mimikama“ zu widmen. Außer ihm und den beiden Deutschen ist noch die Wienerin Kathrin H. hier fest angestellt, die ihren Nachnamen nicht in der Öffentlichkeit lesen will. Im Hintergrund arbeiten außerdem rund fünfzehn ehrenamtliche Unterstützer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden dem Kernteam bei der Recherche zu.

Andre Wolf hat das Handwerkszeug dafür auch in seinem Studium der Evangelischen Theologie gelernt: „Die gesamte analytische Quellenkritik, die Quellenanalyse, die synoptische Arbeit verwerten wir natürlich jetzt auch bei der Arbeit. Sprich, wir suchen nach dem, was als Erstes gestanden hat, und schauen, wie sich Geschichten entwickeln. Was haben alle Quellen gemeinsam und was haben einige sozusagen als Sondergut?“

”BRD GmbH” und Wetter-Macher

In ihrem Buch „Die Fake-Jäger“, das im Herbst des vergangenen Jahres erschien, schreiben Wannenmacher und Wolf über die teilweise kuriosen Themen, die ihnen bei ihrer Arbeit begegnen. Da gibt es etwa kleine Bildchen, mit denen man angeblich den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook widersprechen könne; Fotos von weißen Kastenwagen, die wahlweise Kinder, Hunde oder Katzen mitnähmen; oder auch die angebliche Nachricht, dass alle Säuglinge direkt nach ihrer Geburt den „Europäischen Personal-Standardchip“ eingepflanzt bekämen.

Apropos Personal: Auch mit Verschwörungstheorien von sogenannten Reichsbürgern, die behaupten, dass Deutsche in Wahrheit nur Personal der privaten BRD GmbH seien, da sie ja einen Personal-Ausweis hätten, schlägt sich „Mimikama“ herum. Im Feldversuch auf der Dachterrasse des Büros überprüft das Team außerdem, ob man sich mit Essig gegen sogenannte Chemtrails – Chemikalien, die angeblich zu militärischen Zwecken in den Himmel gepustet werden – schützen kann. In einem anderen Experiment widerlegt es die Netz-Behauptung, dass die Strahlung eines WLAN-Routers Radieschen kaputt mache.

Kondensstreifen am Himmel werden in Verschwörungstheorien zu „Chemtrails Foto: aka Tman | CC BY-SA 2.0 Generic
Kondensstreifen am Himmel werden in Verschwörungstheorien zu „Chemtrails“ – Chemikalien, die angeblich zu militärischen Zwecken am Himmel versprüht werden

Mit der Flüchtlingskrise werden Fakes politischt

Ein weiterer Teil der Arbeit des Vereins ist es, vor datensammelnden Phishing-E-Mails, Viren auf Facebook und Internetbetrug im Allgemeinen zu warnen. Eine politische Dimension hat „Mimikama“ nach Aufkommen der Flüchtlingskrise bekommen. Wannenmacher erklärt: „Mir ist eigentlich egal, aus welcher Ecke das kommt, das gilt auch für Rechts und Links. Wenn wir wissen, dass etwas falsch ist, berichten wir darüber. Ich mache keinen Unterschied zwischen einer Fake-E-Mail, einer Fake-WhatsApp-Nachricht und einem Fake, der mit der Flüchtlingsthematik zu tun hat.“ Wannenmacher weiß, dass hetzerische Postings sowohl von politisch rechts als auch links stehenden Menschen kommen: „Nur, die Linken machen das mit einer ganz feinen Klinge, sodass du das nicht sofort erkennst.“ Durch die Flüchtlingskrise habe sich der Verein angreifbar gemacht: „Das heißt, wir haben Drohungen bekommen. Passiert heute auch noch.“ Angst hat Wannenmacher aber keine: „Da müsste ich sofort aufhören.“

Besonders wegen dieses Themas sind aber auch verschiedene Medien aus dem In- und Ausland auf den Verein aufmerksam geworden, sogar die amerikanische Tageszeitung USA Today hat um ein Interview gebeten. 2016 war „Mimikama“ für den KlickSafe-Preis nominiert, Ende Januar dieses Jahres wurden die Fake-Jäger als „Blogger des Jahres 2016“ ausgezeichnet. Betriebswirtschaftlich rechnet sich die Arbeit für das Team um „Mimikama“ kaum, Wannenmacher engagiert sich vor allem aus Idealismus: „Weil es einfach richtig ist, so etwas zu tun.“

Jeder kann nachprüfen

Warum glauben Menschen gefälschten Meldungen überhaupt? Das Problem sei, „dass heute so viele unwahrscheinliche Sachen auf dieser Welt passieren, dass man nicht mehr wissen kann, was stimmt und was nicht“, erklärt Wannenmacher. Dabei ist es relativ einfach, Fakes im Netz zu überprüfen: „Was wir machen, kann in Wahrheit jeder – theoretisch. Es tut nur keiner.“

Unseriöse Nachrichten erkennt man laut Wannenmacher zum Teil an der fehlerhaften Rechtschreibung und an einem reißerischen, sehr übertriebenen Schreibstil. Außerdem sollte man einen Blick in das Impressum einer Seite werfen und Phrasen aus dem Text nachgooglen. So sei es ein positives Anzeichen, wenn auch journalistische Medien über ein Thema schreiben. Oft hätten User bereits die richtige Intuition: „Horcht auf das Bauchgefühl!“

Von der Falschmeldung zum Hassbeitrag

Die Medienjournalistin Ingrid Brodnig, die sich beim Wiener Nachrichtenmagazin profil auf digitale Themen spezialisiert hat, sieht das Netz als Katalysator für Falschmeldungen: „Das Problem ist, dass gerade wuterregende Inhalte im Internet bessere Karten haben als weniger aufwühlende Aussagen.“ Dadurch, dass erfolgreiche Falschmeldungen aufwühlend geschrieben seien, lösen sie laut Brodnig mehr Reaktionen aus als andere Beiträge. Zur menschlichen Komponente komme die technische: der Facebook-Algorithmus, der die Beiträge mit vielen Gefällt-mir-Angaben und Kommentaren noch mehr Nutzern einblende. Studien zeigten unterdessen, dass Richtigstellungen weniger Menschen erreichen als die ursprünglichen Falschmeldungen: „Das ist auch überhaupt nicht überraschend. Die Falschmeldung ist ja genau so geschrieben, dass sie Emotionen auslöst. Eine Richtigstellung muss vergleichsweise unspektakulärer sein. Einfach gesagt: Wenn ich lüge, kann ich immer das Allerspektakulärste erfinden. Wenn ich aber sachlich und fair arbeite, werde ich nicht immer so emotionalisieren können.“

Die Emotionalisierung durch Falschmeldungen führt laut Brodnig oft zu Hasspostings: „Die Falschmeldung bringt Menschen in Rage, sodass sie ihre Contenance verlieren und sich manche von ihnen sogar bis hin zu strafbaren Äußerungen hinreißen lassen.“ Das sei von den Autoren der Fake-Nachrichten beabsichtigt: „Solche gezielten Falschmeldungen werden absichtlich ins Netz gesetzt, um ein Klima der Wut zu fördern.“

Seiten wie „Mimikama“ können hier laut der Journalistin gegensteuern, die Faktenchecker-Plattform sei die erste Anlaufstelle im deutschsprachigen Raum, um den Wahrheitsgehalt von Postings zu überprüfen. Es gebe allerdings einen Teil von Bürgern, „den man in gewissen Fragen mit Fakten nicht mehr erreichen wird“. Brodnig spricht hier den sogenannten „Backfire Effect“ an. Dieser zeige, dass Richtigstellungen bei manchen mitunter dazu führten, dass sie sich „in ihrer Position umso mehr verbarrikadieren und noch weniger glauben wollen, was man ihnen sagt“. Allerdings gelte das nur für eine Minderheit. Dass Seiten wie „Mimikama“ falsche Nachrichten entlarven und richtigstellen, ist nach Ansicht von Brodnig „absolut sinnvoll“. (pro)

Der Verein „Mimikama“ klärt über Falschinformationen im Netz und Internetmissbrauch auf. Auf seiner Seite mimikama.at veröffentlicht der Verein Richtigstellungen, Hintergründe zu Nachrichten sowie Hinweise, wie man Falschmeldungen erkennt. Dort können Nutzer auch Anfragen zu verdächtigen Beiträgen stellen.
Tom Wannenmacher/Andre Wolf: „Die Fake-Jäger“, Komplett-Media, 272 Seiten, 18 Euro, ISBN 9783831204410 Foto: Raffael Reithöfer
Tom Wannenmacher/Andre Wolf: „Die Fake-Jäger“, Komplett-Media, 272 Seiten, 18 Euro, ISBN 9783831204410

Dieser Artikel ist in Ausgabe 1/2017 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441 915 151, per E-Mail an info@kep.de oder online.

Von: rr

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen