„Good Morning, Sir!“ So habe ich den ergrauten älteren dunkelhäutigen Mann begrüßt, der mich an einem glühend heißen Sommertag mit einem Shuttle von Chicago O’Hare Airport zum Hotel brachte. Er schaut ein wenig verdutzt drein, so als würde er sonst anders oder überhaupt nicht begrüßt. Und so habe ich mich auch am Zielort verhalten. Als er mein Gepäck in die Lobby getragen hat, bedanke ich mich mit fünf Dollar und verabschiede mich mit einem „Thanks a lot, Sir, and have a nice day. God bless you!“.
Als ich eingecheckt habe, sehe ich ihn noch an seiner offenen Bustür stehen, als wollte er noch was loswerden. Ich gehe auf ihn zu und höre ihn in etwa sagen: „Nun bringe ich seit ein paar Jahren Flugpassagiere zum Hotel und wieder zurück, aber noch nie hat mich ein Gast mit ‚Sir‘ angeredet. You’ve made my day!“
Nachdenklich suche und finde ich mein Zimmer. Und ich frage mich, wie lange es her ist, dass Martin Luther King mit „I have a dream“ die Apartheid überwunden hatte. In diesen Tagen zeigt sich, dass der längst überwunden geglaubte Hass auf farbige Bürger nie tot war. Amerika versinkt in Rassismus und Polizeigewalt.
Jeder, der als Ausländer in den USA mit einem Mietwagen unterwegs ist, der sollte wissen, dass die Cops absolut keinen Spaß verstehen. Wenn sie dich anhalten, dann steig auf keinen Fall aus, dreh die Scheibe runter, leg beide Hände sichtbar oben aufs Lenkrad und warte, bis die Sheriffs dich auffordern, auszusteigen. Sonst findest du dich auf dem Boden wieder, mit dem Knie des Polizisten im Genick. Wer in den USA gelebt hat, der hat wunderbare Menschen kennengelernt. Menschen mit einem gesunden Stolz auf ihr Land: liebenswert, Ausländern freundlich zugewandt – es sei denn, es handelt sich um Lateinamerikaner („Hispanics“) oder ganz einfach Schwarze.
Aus Respekt das Knie beugen
Donald Trump stellte sich in diesen Tagen mit der Bibel in der Hand vor die ehrwürdige Kirche, in der Abraham Lincoln seinen Amtseid gesprochen hat. Eine Lästerung ohnegleichen und ein durchschaubares Manöver. Das evangelikale Magazin Christianity Today titelt aktuell: „Lieben weiße Evangelikale die Polizei mehr als ihre Nächsten?“
Da lobe ich mir Eric Garcetti, den Bürgermeister von Los Angeles, der den bei seiner Festnahme durch die Polizei ums Leben gekommenen Afroamerikaner George Floyd mit einem Kniefall geehrt hat. Während einer Demonstration vor dem Polizeihauptquartier in Los Angeles beugte Garcetti am Dienstag ebenso wie mehrere Polizisten das Knie. Geistliche ermutigten alle Teilnehmer, dem Aufruf von Floyds Familie zu folgen und friedlich zu protestieren.
Und was hat Franklin Graham dazu zu sagen, der Mann, der Europa in diesem Jahr zeigen wollte, wie man erfolgreich evangelisiert, und dessen Dienst sich durch Corona und diverse Konflikte verschiebt? Er verehrt bis dahin Donald Trump und sieht in dem grimmigen Kommandeur der Nationalgarde „the best President America ever had.“
Lieber Franklin, du hast eine große Chance verpasst, dich in dieser nationalen Krise in klarer Abgrenzung zu deinem politischen Idol auf die Seite der Gedemütigten zu stellen. Aber bei Gott gibt es immer eine zweite Chance. Das war jedenfalls das Anliegen deines Vaters Billy Graham, dem ich persönlich viel verdanke. Alle Ehre dem alleinigen Gott! Keine Ehre dem Präsidenten, der vor allen Dingen sich selbst präsidiert.