Katholizismus als Mode-Trend

Der Katholizismus wird unter hippen Angehörigen der „Generation Z“ immer mehr zum Mode-Trend. Was früher als rückständig galt, ist heute umso mehr angesagt.
Von Jörn Schumacher

Die New York Times betitelte einen Kommentar mit den Worten „New Yorks heißester Club ist die Katholische Kirche“. Der Autorin Julia Yost, die auch Chefredakteurin der katholischen, in New York ansässigen Zeitschrift „First Things“ ist, war aufgefallen, dass sich eine wachsende Szene unter New Yorks jungen Intellektuelle dem alten Glauben des Katholizismus zuwendet. Der sogenannte „Dimes Square“, eine Region zwischen Chinatown und der Lower East Side, sei eine Hochburg dieses „heißen“ Trends. Die Szene bestehe aus hippen Menschen der „Generation Z“, die man als „postliberal“ und „antiwoke“ bezeichnen könnte.

Das Ganze sei eher unpolitischer Natur, betonen Insider, doch gelte eine reaktionäre Haltung bei manchen durchaus mittlerweile als „chic“. Da tauchen Trump-Kappen ebenso auf wie antifeministische und sogar monarchistische Statements. Der Katholizismus sei oftmals die Spitze dieser reaktionären Provokation, die sich auch in der Mode äußere. Aber ist es wirklich nur eine Provokation?

Wahrscheinlich kommt dieser neue, alte Katholizismus unter jungen Menschen deswegen so gut an, weil er genau das Gegenteil von dem ist, was sie bei ihren Eltern erlebt haben, vermutet die Autorin Anika Jade Levy.

Sie selbst habe sich auf einer Italien-Reise über die Kunst dem Katholizismus zugewendet, sagte sie gegenüber der New York Post, und der Aufstieg des Katholizismus in Amerika zeige, dass die Menschen einen Wunsch immer nach dem hätten, was sie selbst nicht hatten.

Einst sei eine „progressive Moral“ die Antwort gewesen auf eine prüde, christlich geprägte amerikanische Kultur, so die New York Times. Der Protestantismus hat das Land mit begründet, der Katholizismus ist die – fast schon rebellische – Alternative dazu. Laut einer Umfrage des Pew Research Centers aus dem Jahr 2021 waren 23,5 Prozent der US-Amerikaner Katholiken und 42,4 Prozent Protestanten.

Laut Pew bezeichnete sich 2015 einer von zehn US-Amerikanern als „katholisch“, obwohl er keiner oder einer anderen Religion angehörte. Es handelt sich eher um „Cultural Catholics“, also Menschen, die sich aufgrund ihrer Erziehung oder ihres Umfelds kulturell als katholisch „fühlen“, ohne den Glauben konkret auszuleben.

„Katholizismus ist eine sehr ästhetische Religion“

Die Autorin der New York Times versucht sich an einer Erklärung: „Eine Entfremdung von der progressiven moralischen Mehrheit – kombiniert mit der historischen Fähigkeit des Katholizismus, sich kulturellen Umstürzen anzupassen – hat zu einem ‚in-your-face‘-Stil (‚jetzt erst recht!‘) des Traditionalismus geführt.“

Soll heißen: Es gehe hier nicht um einen Katholizismus, wie ihn noch die Großmutter praktizierte. Sondern auch um eine gewisse theatralische Zurschaustellung einer traditionalistischen Weltsicht ohne wirkliche innere Verpflichtung. Dennoch stecke in der Bewegung das Potenzial, „die Kirche für junge, gebildete Amerikaner zu erneuern“, ist die Journalistin überzeugt.

Die Moderatorin des angesagten Podcasts „Wet Brain“, die 23-Jährige Honor Levy, ist vor einiger Zeit zum Katholizismus konvertiert. Nun spricht sie offen über ihre „Todsünden“ und ihre Beichten. In einer Folge sagte Levy über den Katholizismus: „Man vollzieht die Rituale, und auf einmal wird es echt, auch wenn man anfänglich gar nicht daran glaubt.“ Sie fügt hinzu: „Das ist es, worum es bei Religion geht.“

Ihr Co-Moderator Walter Pearce stimmte dem zu und ergänzte: „Es gibt kein Problem in der Welt, das man nicht mit drei Ave Marias lösen könnte.“

Auch Dasha Nekrasova, eine zum Katholizismus rückkonvertierte gebürtige Belarussin, sprach in ihrem beliebten Podcast „Red Scare“ über esoterische Tendenzen im Katholizismus. Die Schauspielerin, die unter anderem in der HBO-Serie „Succession“ mitspielte, sprach über Sedisvakantismus, eine ultra-traditionalistische Strömung, derzufolge der Papst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eigentlich illegitim ist.

Ihre Co-Moderatorin Anna Khachiyan verteidigte traditionelle Religion und sagte, sie bringe „Zurückhaltung und Einschränkung in die Leben der Menschen“. Nekrasova ergänzte: „Keine Hölle, keine Würde.“ In einem Interview sagte ihre Kollegin Nekrasova: „Katholizismus ist nett, denn er umfasst viele Dinge außerhalb der Bibel – es ist eine sehr ästhetische Religion.“

Das Anbandeln mit dem Katholizismus unter Menschen, die sonst eher für eine linksgerichtete Kritik an der Gesellschaft bekannt sind, könnte schlicht auch ironisch gemeint sein. Nekrasova etwa sagt von sich, sie sei „Katholisch, so wie Andy Warhol“. Der 1928 geborene Pop Art-Künstler, Sohn slowakischer Einwanderer, sagte von sich, katholisch zu sein, er reiste sogar zu einer Papst-Audienz nach Rom.

Manche sahen in seinem Katholizismus allerdings eher eine Art Provokation, so wie andere „Performances“ von ihm. Vielleicht sei die Zuwendung zum Glauben unter den jungen hippen Intellektuellen ja so etwas wie ein „Live-Rollenspiel“, bei dem sich die Teilnehmer verkleiden und in eine andere Rolle schlüpfen, mutmaßt die Autorin.

Spiel mit den Symbolen: Religion und Sexualität

Ein Auslöser für ein Wiedererwachen des Interesses am Katholizismus liegt mehreren Beobachtern zufolge auch an einer Ausstellung im berühmten Metropolitan Museum of Art im Jahr 2018: Hier wurden unter dem Titel „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“ liturgische Ikonographie mit der Mode aus der Sadomaso-Szene in Verbindung gebracht.

„Der Katholizismus umarmt das typische Geben-und-Nehmen zwischen Sünde und Vergebung und formalisiert es im Sakrament der Beichte“, versucht sich Yost an einer Erklärung. Zur Eröffnungsgala kam der Schauspieler Jared Leto als Jesus, eingekleidet von Gucci, mit einer goldenen Krone, Sängerin Rihanna erschien in einem teuren Perlenkleid und mit einer Kopfbedeckung, die aussah wie die Mitra eines Bischofs, auf dem Kleid der Sängerin Ariana Grande waren Gemälde aus der Sixtinischen Kapelle abgebildet.

Die Journalistin Rebecca Jennings vom Magazin Vox wunderte sich im vergangenen Jahr in einem Artikel über Trends auf Sozialen Plattformen wie TikTok und Instagram, Videos über die Überlegenheit der Katholischen Kirche gegenüber der protestantischen zu machen.

Sie macht zudem auf die Modemarke mit dem namen „Praying“ aufmerksam, die knappe Bikinis namens „Holy Trinity“ und enge Tops mit der Aufschrift „God’s favorite“ (Gottes Liebling) verkauft. Die Autorin kommt zu dem Schluss: Auch falls dieser Katholizismus eine bloße Modeerscheinung sei, täte man gut daran, den Glauben dieser Avantgarde nicht als unecht abzuwerten. Sie könne die katholische Kultur bereichern.

„Die Kirche hat schon immer Theatralität umarmt, und auch Konvertiten aufgenommen, deren Motivation keine religiöse war, etwa wenn jemand vor einer Hochzeit den Glauben des Ehepartners annehmen wollte.“ Yost fügt hinzu: „Sich authentisch und im Inneren zu bekehren ist keine katholische Anforderung, sondern eine protestantische.“

Kreuz statt Federschmuck

Die österreichische Tageszeitung Der Standard schrieb über den Modetrend des „Catholic Aesthetic“ ebenfalls verwundert, immer mehr Amerikaner trügen Kreuze, Rosenkränze und Marienabbildungen in der Öffentlichkeit als Accessoires, ohne wirklich gläubig zu sein. „Wie lässt sich diese neuerliche Hinwendung weißer privilegierter junger Menschen zum Katholizismus als Lifestyle erklären?“, fragt die Autorin und sieht eine Antwort im Wandel der alternativen Modeszenen.

„Vor gut einem Jahrzehnt konnten sich (die meist weißen) Hipsters noch an den traditionellen Stilelementen indigener und unterdrückter Kulturen bedienen. Tribal-Muster und Federschmuck verschwanden zusehends mit dem Aufkommen der Diskussion über kulturelle Aneignung Mitte der 2010er-Jahre. Wie sollen sich die weißen alternativen Kids also von den Normalos abgrenzen, ohne Minderheiten zu beleidigen?“ Der „katholische“ Look bot sich als Alternative an: Haarschleifen, lange Röcke, helle Spitzenblusen, Seidenkleider und ein Kreuzkettchen.

Als der amerikanische Reality-Star Kourtney Kardashian im vergangenen Sommer den Schlagzeuger der Band Blink-182 in Italien heiratete, lief die Zeremonie nach katholischer Tradition ab. Die Trendsetterin trug einen Schleier mit dem Emblem der heiligen Maria und rief einige Proteste hervor.

Dasselbe Bild trägt ihr Gatte als Tätowierung auf dem Kopf. Der Musiker bezeichnet sich selbst als katholisch, ebenso Kardashian. Doch die „Mutter des Spiels mit der katholischen Ästhetik“ sei zweifelsohne Pop-Sängerin Madonna, urteilt der Standard. Sie spielte schon in den 80er Jahren mit den Symbolen der Katholischen Kirche und der Popkultur.

Im Song „Like a Prayer“ und dem Musikvideo dazu spielte sie auf einen Zusammenhang von Religion und Sexualität an. Die Pop-Ikone mit italienischen Wurzeln löste einen Skandal aus, aber schon zuvor spielte sie mit dem Klischee des katholischen Mädchens, etwa in „Like a Virgin“.

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