Am Donnerstag haben sich zwei katholische Politiker mit öffentlichen Briefen an die deutschen Bischöfe gewandt: Monika Grütters (CDU), Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, und der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse (SPD). In der Wochenzeitschrift Die Zeit vom Donnerstag fordern die Politiker Veränderungen angesichts der Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche.
„Neustart der Sexualmoral“
Am vergangenen Wochenende hatten namhafte Theologen und Katholiken einen offenen Brief in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) an Kardinal Marx veröffentlicht, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Darin forderten sie unter anderem einen „Neustart mit der Sexualmoral“ in der Katholischen Kirche. Grütters und Thierse erhöhen mit ihren Briefen vom Donnerstag den Druck auf die deutschen Bischöfe, Veränderungen in der Kirche herbeizuführen. Der Hintergrund: Papst Franziskus hat die Vorsitzenden sämtlicher Bischofskonferenzen vom 21. bis zum 24. Februar nach Rom einbestellt. Der Papst will mit den Bischöfen über Konsequenzen der Missbrauchsskandale in der Katholischen Kirche beraten. Im Vorfeld der Konferenz in Rom werden in Deutschland die Forderungen nach einer Wende in der Katholischen Kirche immer lauter.
Grütters fordert Lockerung des Zölibats
Grütters stellt in ihrem Brief fest, dass die Bindung vieler Menschen an die Katholische Kirche unter anderem deshalb bröckele, weil diese auf die Sehnsucht nach Orientierung und Halt im Zuge der Globalisierung keine Antworten biete. Das Ausmaß des Missbrauchs durch katholische Geistliche sei eine „Erschütterung“ und „fundamentale Krise“. Reparaturen an der Fassade genügten nicht mehr, es sei an der Zeit, „die Grundfeste“ zu erneuern. Dazu rechnet Grütters neben der Einführung einer Gewaltenteilung in der Katholischen Kirche auch die Möglichkeit für Frauen, Weiheämter zu bekleiden.
Strukturellen Problemen, die sexuellen Missbrauch in der Kirche begünstigen, soll durch die Lockerung des Zölibats begegnet werden. Diözesanpriester sollen Grütters’ Meinung nach ihre Lebensform frei wählen dürfen. „Um künftig glaubwürdig zu sein, muss meine Kirche sich endlich öffnen für eine fundamentale Erneuerung“, schreibt sie.
Thierse will, dass die Justiz eingeschaltet wird
Wolfgang Thierse unterstützt in seinem Brief die Forderungen vom Sonntag, „die die systematischen Gründe des Missbrauchs in unserer Kirche beheben wollen“. Thierse nimmt Bezug auf Forderungen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, das solche Forderungen von Veränderungen bereits im vergangenen Herbst an Kardinal Marx herangetragen hätte. Thierse zeigt sich in dem Schreiben enttäuscht. Kirchenreformen gingen „viel zu langsam voran“. Er schreibt: „Denn viele deutsche Bischöfe sehen offenbar die Dringlichkeit der Missbrauchsaufklärung und der daraus folgenden notwendigen Kirchenreform noch immer nicht ein.“
Thierse bedauert den zögerlichen Fortschritt in der Aufarbeitung und die Zerstrittenheit der Deutschen Bischofskonferenz beim Thema Missbrauch. Die Bischöfe seien „weniger mutig, als der Papst es erlaubt“, schreibt Thierse und fordert „unmittelbare Konsequenzen des vielfachen sexuellen Missbrauchs und seiner Vertuschung“. Thierse möchte, dass die Missbrauchsfälle der staatlichen Justiz übergeben werden. Sexueller Missbrauch sei kein rein kirchliches Problem. „Aber die Kirchen müssen zeigen, wie man mit solchen Verbrechen konsequent umgeht.“
Von: Norbert Schäfer