In seiner Amtszeit als Präsident des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland (ZdK) war Alois Glück auch mit der Debatte um sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche konfrontiert. Glück wertet die Krise rückblickend als Chance für einen Neubeginn, während die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch weiterhin Gefahr sieht.
Von PRO
Foto: pro / Norbert Schäfer
Andreas Püttmann, Wolfgang Thierse, Moderator Joachim Frank, Alois Glück, Bettina Jarasch und Peter Klasvogt (v.l.n.r.) diskutierten darüber, was es heißt, „politisch und katholisch“ zu sein
Auf einer Podiumsdiskussion der Katholischen Akademie am Montag in Berlin sagte der ehemalige ZdK-Präsident Alois Glück: „2009 war die Kirche im Stadium der Erstarrung.“ Es habe seinerzeit keine angstfreie Kommunikation mehr in der Kirche gegeben. „So schrecklich die Wirklichkeit war, die Krise wurde zur Chance“, ohne die Verkrustungen nicht gesprengt worden wären, erklärte der CSU-Politiker.
Den derzeitigen Papst Franziskus bezeichnete Glück als einen „Eisbrecher für angstfreie Kommunikation“, der das „freie Atmen in der Kirche“ wieder möglich gemacht habe. Seiner Meinung nach suchten Menschen heute nach wie vor Sinn und Orientierung. Diese Suche würde mit den Kirchen verbunden. Das Eintreten etwa für den Lebensschutz entstehe dabei nicht aus der Motivation heraus, Kirchenpolitik zu betreiben oder um der Christen willen, sondern weil die Kirche der Überzeugung sei, dass es gut sei für ein gelingendes Leben. In der Debatte um die Suizidbeihilfe hätten die beiden christlichen Kirchen eine gemeinsame Position vertreten und so einen wesentlichen Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Kirchen geleistet.
Moral birgt Fallhöhe
Das sah Bettina Jarasch anders. Nach Ansicht der Grünen-Politikerin, ebenfalls Mitglied im ZdK, hat die Katholische Kirche die Chancen aus der Krise bislang „noch nicht genug genutzt“, auch wenn die Phase der Erstarrung überwunden sei. Das ZdK vertrete zwar mutig Initiativen, allerdings sei die Kirche noch nicht so weit, dass man sich selbst mit der Lebenswirklichkeit konfrontiere. Hoffnung in dieser Hinsicht setzt Jarasch ebenfalls in den neuen Papst. Jarasch warnte die Kirche davor, sich auf ihren „Ruf als moralische Anstalt“ zu verlassen – der sei nämlich „angekratzt“. Aus der eigenen Partei wisse sie um die Nachwirkungen aus der Aufarbeitung der Phädophilivorwürfe. Nach dem Skandal und in der Aufarbeitung seien „Leute zum ersten mal auch mit Verachtung zu den Wahlkampfständen gekommen“. Die Partei habe erfahren, wie tief man fallen könne, wenn man zuvor auf einem so hohen moralischen Ross gesessen habe. Die Kirche müsse innerkirchlich noch „mehr aufräumen“, um glaubwürdig zu bleiben. Zudem gelte es Bündnisse zu schließen mit allen Menschen, die guten Willens seien.
Kirche in der Wirklichkeit angekommen
Wolfgang Thierse, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages, vertrat die Auffassung, dass „die Kirche angekommen ist in der Pluralität der Gesellschaft“. „Wenn die Kirche eine Botschaft weiter zu geben hat, die politisch und gesellschaftlich relevant ist, dann die unüberbietbare Botschaft von der Nächstenliebe“, sagte der SPD-Politiker. Leidenschaft für politisches Engagement erwachse aus dem Umstand, mit etwas nicht einverstanden zu sein. Thierse appellierte daran, sich um die „Förderung des demokratischen Nachwuchses“ zu kümmern und diesen zu einem verbindlichen Engagement zu führen.
Der Journalist und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann vertrat die Auffassung, dass die engagierten Minderheiten in der Kirche kein Paradebeispiel für die geforderte Kompromissfähigkeit darstellten. Diese seien „zehnmal so aktiv dabei, ihre Positionen durchzusetzen“ als moderate Katholiken. Es gelte den „katholischen Normoptimismus“ zu bewahren, aber in der Demokratie weiter kompromissfähig zu bleiben. In der Bevölkerung sei „sehr robust die Vorstellung verbreitet, dass die Kirche gut ist für die Moral“.
Hinsichtlich des Machtverlustes der Katholischen Kirche sagte Peter Klasvogt, Direktor der Katholischen Akademie Schwerte: „Wir werden zurückgestutzt auf das Maß, das wir wirklich sind“. Die Kirche habe „das Deutungsmonopol verloren“ und sei in der Wirklichkeit angekommen. „Wir müssen nicht ständig mehr scheinen wollen als das, was wir wirklich sind.“ Klasvogt plädierte für eine Kultur gegenseitigen Lernens. Da die Kirche keine perfekte Gemeinschaft sei, könne sie durchaus „bei der Welt in die Schule gehen“. Klasvogt wünscht sich Begleitung und Förderung junger Menschen, die sich in der Gesellschaft und in der Politik als Christen engagieren möchten.
Am 20. November 2015 endete die Amtszeit von Alois Glück als Präsident des ZdK. In seine Amtszeit fiel neben dem Skandal um den ehemaligen Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst auch die Debatte um sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche. Glücks Nachfolger ist der CDU-Politiker Thomas Sternberg. (pro)
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