Ist die Religion eine ungebetene Anwesende in der Gesellschaft? Ein hochkarätiges Podium hat sich beim Katholikentag in Münster am Freitag dieser Frage zum Thema „Störfaktor Religion – Wie viel Glaube verträgt die Öffentlichkeit?“ gewidmet. Unter anderem diskutierten die Geschäftsführerin der Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin, Seyran Ates, Baden-Württembergs Ministerpräsident, Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln, sowie der Kabarettist und Moderator Eckart von Hirschhausen.
Die Moschee-Gründerin erklärte in der Diskussion, Religion habe „grundsätzlich nichts mit Terror zu tun“. Aber es gebe Gewalt in jeder Religion. Islamistischer Terror geschehe jedoch „im Namen des Islams“. Damit müssten sich Muslime auseinander setzen. „Islamismus, der muslimische Terror, hat mit dem Islam zu tun“, äußerte sich die Muslima. Islamverbände in Deutschland hätten sich zum Terrorismus bislang „nicht ausreichend öffentlich geäußert“. Das störte Ates. Es brauche einen „reformatorischen Ruck“ bei den Verbänden.
Dauerschutz durch LKA
Sie erhalte Morddrohungen und brauche ständig Personenschutz. Auf dem Podium dankte sie Deutschland und dem LKA für den Schutz. Bei allem, was sie erlebt habe, sei sie „nicht mehr so mutig, dass ich das allein noch schaffe“.
An ihrer Moschee in der Hauptstadt störten sich viele Muslime, da dort Frauen Gebete sprechen dürfen, Männer und Frauen gemeinsam Gottesdienst feiern und Frauen teils kein Kopftuch tragen. Auch manche Juden und Christen empfänden Ates und ihre Moschee als Störfaktor, erklärte sie, „weil wir in der muslimischen Glaubensgemeinschaft Unruhe stiften würden“. Hier werde der Moschee-Gründerin vorgeworfen, Muslime wären für solch eine Entwicklung noch nicht soweit.
Einer Frage aus dem Publikum gab sie eine Absage, in der es um das Tragen von Kopftüchern bei Politikerinnen ging. „Als Verfassungspatriotin“ finde Ates es falsch, dass in Zukunft etwa eine Ministerin im Parlament ein Kopftuch trage.
Der Islam suche nach und ringe um Anerkennung. Dass Jungen in der Grundschule ihrer Lehrerin nicht die Hand geben oder Mädchen mit Kopftuch im Kindergarten sind, lehne Ates ab. Sie empfinde „es langsam überbordend“, was „wir derzeit in Europa erleben“: Im „Namen des Islam“ werde Religionsfreiheit eingefordert – und dies täten oft Menschen, die sich selbst nicht an Religionsfreiheit hielten. Die liberale Gesellschaft müsse aufpassen, dass sie nicht im Rahmen von Rücksicht gegenüber Religionen zu viel von ihren Freiheiten verliere.
Ates wünsche sich, „dass wir mehr Religion in der Schule als Unterricht haben, dass auch Agnostiker und Atheisten Religionen kennenlernen“. So werde „das Fremde aufgebrochen“.
Woelki: Kreuz nicht politisch einsetzen
Kardinal Woelki erklärte, Religion sei nicht nur etwas Öffentliches, sondern auch etwas Privates. Sie sei für viele „etwas Existenzielles“. Er könne aber damit leben, dass die Kirche als Institution kritisiert werde. Kirche und Religion hätten eine bedeutende Aufgabe. Beim christlichen Glauben spiele die Inkarnation eine große Rolle. Christen hätten einen nahen Gott. Und der Mensch habe als Abbild Gottes eine „wichtige Funktion“. Kirchen und Christen müssten ihre Stimme erheben, wo Menschenrechte missachtet werden, und sich für Arme, Bedürftige und Flüchtlinge einsetzen. Zum gesellschaftlichen Engagement gehöre für Christen auch dazu, sich für den „Schutz des Lebens am Anfang und am Ende“ einzusetzen oder sich wie Kretschmann politisch einzubringen.
Auch das gemeinsame Abendmahl beziehungsweise die Eucharistie von Katholiken und Protestanten war ein Thema in der Runde. Woelki wisse, dass es eine Belastung für evangelisch-katholische Ehen sei, das Abendmahl nicht gemeinsam einzunehmen. Seine Kirche biete dafür seelsorgerische Betreuung.
Mediziner Hirschhausen, der als „komödiantischer Störer“ und „Pausenclown“ die Diskutanten herausfordern sollte, sagte zu Woelki: „Entweder, Sie geben mir die Hälfte meiner Kirchensteuer zurück, oder Sie geben mir eine Oblate.“ Der Kabarettist entschuldigte sich am Tag nach der Diskussion für seine Äußerungen zur Eucharistie. Er habe niemanden verletzten oder beleidigen wollen. Der Mediziner ist evangelisch und mit einer Katholikin verheiratet. Mit seinen Steuerabgaben sei er ein „unfreiwilliger Sponsor“ von Woelki und habe deswegen Anspruch auf ein gemeinsames Abendmahl, sagte Hirschhausen dem Geistlichen.
Woelki konterte: „Ich würde niemals von einer Oblate sprechen.“ Für ihn sei „die Eucharistie das Allerheiligste“. Diese Feier habe „eine bekenntnis- und kirchenbildende Dimension“. Wer die Eucharistie empfange, sage etwa auch Ja zum Papst. Wie letztendlich die Lösung aussehen werde – Hirschhausen ist dankbar für den Glauben seiner Frau: „Ich bin froh, dass meine Frau Christin ist. Wenn sie gar nichts glauben würde, hätte ich ganz andere Probleme.“
Hirschhausen: „Sie nehmen lieber Männer ohne Abitur als Frauen“
Hirschhausen sagte auch: „Die Erde hat Fieber.“ Diskussionen über das Abendmahl raubten Zeit, die man eigentlich für die wichtigen Themen nutzen müsste wie die „Bewahrung der Schöpfung“.
An die Adresse Woelkis richtete sich auch Hirschhausens Kritik an einer Stellenausschreibung der Katholischen Kirche mit dem Titel „Ruf mitten im Beruf – Priester werden ohne Abitur“. Plakate dieser Werbung hängen aktuell in ganz Münster aus. Der Kabarettist sagte zu dem Geistlichen: „Sie nehmen lieber Männer ohne Abitur als Frauen.“ Dafür erhielt er tosenden Applaus des Publikums.
Hirschhausen: „Jesus hat sich getraut, radikal zu denken“
Hirschhausen, der auch als Fernsehmoderator tätig ist, ging zudem auf Populismus in der Politik ein. Er schäme sich für Leute, die stolz seien auf die Zeiten von 1933 bis 1945. Er „könnte kotzen“, wenn jemand sagt, Deutschland müsse wieder stolz sein auf den Zweiten Weltkrieg. Hier wünsche er sich einen stärkeren und „klareren“ Einspruch von den Kirchen.
Jesus sei da ein gutes Vorbild. „Jesus war ein Störer. Er war jemand, der sich getraut hat, radikal zu denken.“ Konflikt gehöre dazu. Der Moderator störe sich zudem am Kreuz-Erlass von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Dies sei „CSU-Bullshit“, um am rechten Rand Publikum einzukassieren. Hirschhausen wünsche sich, dass die Kirchen sagen: „Wir wollen nicht, dass Politik die Kirche und das Kreuz instrumentalisiert.“
Für Kretschmann sind Menschen „ein Störfaktor“, die Religion missbrauchen. In einer pluralistischen Gesellschaft sei es „ganz normal, dass man sich streitet“. Die Frage sei nur wie. Ein „zivilisierter Streit hält die Gesellschaft zusammen“, unzivilisierte Streits brächten sie auseinander. Für den Politiker ist Toleranz, „dass ich etwas ertrage, was mir nicht gefällt“.
Von: Martina Blatt