Kartenlegen und kassieren – das Prinzip Astro-TV

Am Samstag wird der Sender Astro-TV zehn Jahre alt. Tragen die Kirchen eine Mitschuld am Erfolg der dubiosen Kartenleger?
Von PRO
Kartenlegen und kassieren - das Prinzip von Astro TV
50 Cent kostet ein Anruf aus dem deutschen Festnetz bei Astro-TV. Wer vom Zufallsgenerator ausgewählt wird, oft erst nach vielen teuren Anrufen, wird live im Fernsehen „beraten“. Kartenleger, Kaffeesatzleser und „Channel-Medien“, die angeblich mit dem Jenseits in Kontakt treten können, geben Auskunft zu allen Fragen: Wann werde ich einen neuen Partner finden? Sollte ich einen Kredit aufnehmen? Ist mein Kind auf die schiefe Bahn geraten? Nur zu lebensbedrohlichen Krankheiten sollen die Hellseher offiziell keine Auskunft erteilen. Egal, zu welcher Tageszeit man einschaltet – die Anrufer sind immer Frauen in der zweiten Lebenshälfte, die Beratungen sind so kurios, dass man das ganze für eine geschickte Satire halten könnte. Noch irrer mutet der Online-Shop des Senders an, wo esoterische Produkte zu teils enormen Preisen feilgeboten werden. Für 99,95 Euro gibt es eine Geldbörse, auf der eine 11-stellige Zahl steht – ein „Reichtumscode“, der laut Beschreibung das Wasser in den Körperzellen in „Reichtumsschwingungen“ versetzt und so dem Besitzer ein besseres Gespür fürs Geldausgeben gibt. Kein Scherz.

330 Euro für eine Zauberpyramide

89,95 Euro kostet eine Glaskaraffe, die in ihr serviertes Wasser mit einer speziellen „Vitalenergie“ aufrüstet. Richtig teuer ist die „Universums-Pyramide“ (25 x 25 cm, 329,00 Euro). Dabei handelt es sich um ein recht häßliches „Raumenergieobjekt zur energetischen Aufwertung von Lebensräumen zur Verwirklichung von Lebensträumen“. Wie kommt es, dass sich für solche Produkte tatsächlich Käufer finden? „Die Menschen sind auf der Suche und haben eine tiefe Sehnsucht zu glauben“, erklärt Wilhelm Trienen, Pastor in einer evangelischen Freikirche in Hamburg. Er hat die Gruppe „Esos für Jesus“ gegründet, die unter anderem auf Esoterikmessen für Jesus Christus wirbt. „In ihrer Not, an irgendwetwas glauben zu wollen, nehmen die Menschen alles an, was ihnen vor die Flinte läuft – und seien es Kontakte zu ‚Vesuianern’ oder eben Tarotkarten“, sagt er.

„Wunderkaraffe besser als das, was die Kirchen bieten“

In ihrem Glaubensbedürfnis wendeten sich viele Mensche deswegen der Esoterik zu, weil durch den schwindenden Einfluss der traditionellen Kirchen ein Vakuum entstanden sei. „Gerade die protestantischen Landeskirchen lehren zu verkopft und liberal. Das heißt nicht, dass wir unseren Verstand an der Garderobe abgeben müssen, aber sie lehren eben nicht mehr die lebendige Beziehung zu Jesus Christus“, kritisiert Trienen. Die meisten Esoteriker, die sich in die Angebote von Astro-TV flüchten, seien ursprünglich in der Kirche sozialisiert gewesen. „Aber weil sie die Kirche als leer und kraftlos empfinden, bezahlen sie lieber für teure Beratungen, statt zum Gottesdienst zu gehen.“ Mit „Esos für Jesus“ hat Trienen ein Netzwerk von Christen aufgebaut, die den christlichen Glauben auf Esoterikmessen verbreiten. Mit Schlagworten wie „Heilen mit Jesus-Energie“ wählen sie dabei eine Sprache, die von der Zielgruppe angenommen werde. Mehrere Menschen seien durch diese Arbeit bereits zum Glauben gekommen und heute in verschiedenen Gemeinden integriert oder sogar aktiv.

Jesus als kosmische Inkarnation

Da die Besucher solcher Messen aktiv nach Glaubensangeboten forschen, seien sie offener als andere, berichtet Trienen. „Jesus finden sowieso die meisten super“, es gebe nur ein Problem: „Der Ausschließlichkeitsanspruch von Jesus ist ein ganz großer Stolperstein für sie“, sagt Trienen. „Sie sehen erstmal Wahrheit in allen Religionen und mehr als einen Weg zum Vater. Sie mixen sich ihren eigenen Glauben zusammen.“ Und so taucht eine mutierte Version von Jesus auch im Shop von Astro-TV auf – als „Christus Sananda“ auf Postern und Tassen. Sananda lautet angeblich der „kosmische Name“ von Jesus, und wer sein Poster für 19 oder 29 Euro aufhängt, kann laut Produktbeschreibung Einsamkeit und Negatives hinter sich lassen und wahre Herzenswärme spüren. Immerhin ein Anknüpfungspunkt für Wilhelm Trienen: „Die Esoteriker sollen den lebendigen Jesus und Gott als Vater kennenlernen.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/den-kindern-die-hilfe-nicht-verwehren-87102/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/buecher/detailansicht/aktuell/gefangen-in-der-esoterik-79981/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/mit-esoterik-in-die-ego-gesellschaft-80105/
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