Kardinal Schönborn wirbt zum Abschied für Mitgefühl

Nach 30 Jahren zieht sich der bald 80-jährige Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien zurück. Bei seiner Verabschiedung war der Stephansdom bis auf den letzten Platz gefüllt – und Schönborn ermahnte zu Mitgefühl gegenüber Flüchtlingen.
Von PRO

Der Stephansdom ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als dort am Samstag der Wiener Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn, mit seiner Gemeinde einen abschließenden Dankgottesdienst feiert. Um noch mehr Katholikinnen und Katholiken die Mitfeier zu ermöglichen, wird der Gottesdienst sogar noch in zwei weitere Kirchen in der Wiener Innenstadt und im ORF-Fernsehen übertragen – dort sahen am Samstag über 130.000 Österreicher zu.

Dass Gottesdienste auf ein so großes Interesse stoßen, ist in Österreich mittlerweile eine Seltenheit. Anders jedoch bei außergewöhnlichen Ereignissen wie diesem: Christoph Kardinal Schönborn wird als Erzbischof von Wien verabschiedet. Am Mittwoch feierte er nicht nur seinen 80. Geburtstag, auch nahm der Papst Schönborns Rücktrittsgesuch an. Über viele Jahre hatte er das christliche Leben in Österreich, wo Katholiken weiterhin mit großem Abstand die größte christliche Gemeinschaft sind, maßgeblich geprägt.

Schönborn warnt vor „Freichlichtmuseum“ der Kathedralen

Bereits seit Beginn seines Dienstes Mitte der 1990er-Jahre musste sich Schönborn mit einem Missbrauchsskandal, der ausgerechnet seinen Vorgänger als Wiener Erzbischof, Hans Hermann Groër, betroffen hat, beschäftigen. 2010 setzte er schließlich die frühere Landeshauptfrau (entspricht dem Amt einer deutschen Ministerpräsidentin) der Steiermark, Waltraud Klasnic, als Vorsitzende einer Opferschutzkommission ein. Schönborn habe damit „innerkirchlich weltweit Pionierarbeit“ geleistet, würdigte ihn der österreichische Bundespräsident, Alexander van der Bellen, der beim Abschlussgottesdienst im Wiener Stephansdom nach Schönborns Predigt eine Rede hielt und Schönborn darin nicht zuletzt, nicht ohne Ironie, als „Pontifex Austriacus“, also gewissermaßen als österreichischen Papst bezeichnete.

Nicht zuletzt aufgrund der Missbrauchsaffären musste sich Schönborn des Weiteren in seiner langen Amtszeit auch mit zahlreichen Austritten aus der katholischen Kirche beschäftigen, „allein 2023 waren es 85.000“, woran der Kardinal in seiner Abschlusspredigt selbst erinnerte. Dahingehend würden sich seltsamerweise laut Statistiken zwei Dritteln der Österreicher wünschen, dass Österreich weiterhin ein christliches Land bleibt: „Wie soll das alles zusammengehen?“, fragt sich dazu der scheidende Erzbischof in seiner abschließenden Rede. Und warnt davor, dass vom europäischen Katholizismus vielleicht irgendwann nur mehr Kathedralen wie der Wiener Stephansdom und die kürzlich wiederaufgebaute Notre Dame übrig bleiben könnten: „Wird Europa das Europa der Kathedralen und der Dome – ein großes Freilichtmuseum für Touristen aus aller Welt?“ Dennoch sei er hoffnungsvoll, meinte Schönborn. So habe eine Studie des ORF und der Universität Wien überraschenderweise „ein neues stärkeres religiöses Interesse bei der jüngeren Generation“ ergeben. Schönborn meinte: „Nun ganz so überraschend ist das nicht, wenn in jedem Menschenherzen die Suche nach Sinn und Erfüllung lebt.“

Indirekte Mahnung an die Politik

Teile von Schönborns Predigt konnten unterdessen auch als indirekte Mahnung an die wahrscheinlich nächste österreichische Bundesregierung aufgefasst werden, die erstmals von der teilweise rechtsextremen FPÖ angeführt werden könnte. So sagte Schönborn, der selbst aus einer nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem heutigen Tschechien vertriebenen sudetendeutschen Familie stammt: „Ein Herz für Flüchtlinge zu haben, gehört zur Menschlichkeit. Es kann auch unser Schicksal werden.“ In einem Abschiedsinterview mit der katholischen Nachrichtenagentur „kathpress“ wurde Schönborn, der sich stets von Rechtsaußenparteien abgegrenzt hat, auch noch einmal politischer. Er habe sich zu politischen Themen dann zu Wort gemeldet, wenn er die Grundrechte des Menschen in Gefahr sah – etwa bei einem Gesetzesvorschlag zu einer sogenannten „Sicherungshaft“, der die „Inhaftierung von Personen, die sich noch nichts haben zuschulden kommen lassen“ ermöglicht hätte. Insgesamt meinte er gegenüber „Kathpress“: „Es ist ein Glück, dass wir in einem Land leben, das rechtsstaatliche Prinzipien hat, eine gut funktionierende Justiz, eine öffentliche Sicherheit und bisher verfassungskonforme Parteien.“ Nachsatz: „Ich hoffe, dass das so bleibt.“

Im Stephansdom waren bei Schönborns letzter Predigt als Wiener Erzbischof und Kardinal jedenfalls ein halbes Dutzend aktiver und ehemaliger österreichischer Spitzenpolitiker vertreten, die sich von seinen mahnenden Worten angesprochen gefühlt haben könnten – von Van der Bellen und dem derzeitigen Interimsbundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) bis hin zu Ministern und dem Bürgermeister von Wien, Michael Ludwig (SPÖ). Insgesamt betonte der Kardinal in seiner abschließenden Predigt jedenfalls die Wichtigkeit von Mitgefühl und gegenseitigem Wohlwollen und meinte zum Schluss: „Warum gibt es dann so viel Hass und Leid in der Welt? Wo ist da Gott? Er ist in unserem Wohlwollen, das wir einander schenken.“ 

Von: Raffael Reithofer

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