Am Montag lief die erste Folge von "Abenteuer Afrika – Teenager beißen sich durch". In der Serie nach bekanntem RTL-Strickmuster sollen Jugendliche mit extremem Übergewicht bei einem Eingeborenenstamm in Namibia ihre Lebens-und Essgewohnheiten ändern. Über 2.000 Kandidaten hatten sich für die Serie bei RTL2 beworben, acht wurden ausgewählt. Sie alle wiegen über 100 Kilo und wollen abnehmen. Die "Teenies" sind zwischen 15 und 22 Jahre alt. Sie alle berichten von zerrütteten Familien, von Mobbingerfahrungen in der Schule, von Misserfolgen und von ihrer Sehnsucht, anerkannt zu sein. Zu Beginn zeigt die Kamera sie in Unterwäsche – mit einem Kameraschwenk von 360 Grad. Noch entwürdigender geht es wohl nicht. Vier Experten betreuen die acht Kandidaten, einer von ihnen ist der Theologe Dirk Höllerhage. Er leitet seit zehn Jahren die Jugend- und Kinderarbeit des Suchthilfeverbandes "Blaues Kreuz in Deutschland e.V." und betreut das Jugendprojekt "Xtra dry" in Schwelm.
pro: Herr Höllerhage, warum geben sich Jugendliche, die doch bereits genug Probleme in ihrem Leben haben, auf diese Weise der Öffentlichkeit preis?
Dirk Höllerhage: Ich war beim Casting nicht dabei, habe sie nur bei einer ärztlichen Untersuchung getroffen und sie dann in Namibia richtig kennengelernt. Bei allen war ein hoher Leidensdruck vorhanden, alle erhofften sich Hilfe. Eine 19-Jährige sagte klar: Ich will abnehmen, damit es mir gesundheitlich besser geht. Wenn ich es hier nicht schaffe, schaffe ich es gar nicht. Ich fürchte, ihnen allen war nicht klar, dass später im Fernsehen nicht immer die vorteilhaftesten Bilder und Szenen gezeigt werden.
Warum ausgerechnet Namibia? Abnehmen könnten die jungen Leute doch auch hier?
Dokusoaps sind Unterhaltung, klar. Und natürlich gab es auch einen Rahmen, ein Drehbuch. Namibia ist eben exotisch und aufregend.
Heißt das, alles war inszeniert?
Zu einem kleinen Teil. Für den Rest haben die Kandidaten selbst gesorgt. Wir waren alle erschrocken über das mangelhafte Sozialverhalten einiger Teilnehmer. Wir hatten eher erwartet, dass die Not die Gruppe zusammenschweißt, aber es kam von Anfang an zu Auseinandersetzungen. Bei so einem Streit hat der Kameramann natürlich direkt draufgehalten.
Drei Kamerateams waren von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang präsent. Konnte man der Kamera überhaupt entkommen?
Bei diesen Dreharbeiten ja, aber selten. Es gab einen Tag, an dem die Stimmung eskalierte, die Kandidaten blafften sich nur noch an, stritten unentwegt. Da habe ich darum gebeten, dass die Kameras ausbleiben. Das wurde dann auch so gemacht. Ich habe bei dem Fernseh-Team echtes Interesse für die Nöte der Jugendlichen erlebt.
Aber die seelsorgerlichen Gespräche wurden doch auch aufgezeichnet?
Nur zum kleineren Teil. Eigentlich sollte ich überhaupt nicht vor die Kamera, wollte nur die Jugendlichen betreuen. Als ich nach kurzer Zeit ein Mikrofon angesteckt bekam, war ich dann doch mitten im filmischen Geschehen. Das war schon eine Überwindung, vor der Kamera miteinander zu reden. Aber ich habe das gesagt, was ich sonst auch gesagt hätte. Allerdings gab es auch Dinge, die ich dem Gesprächspartner mitgeteilt habe, als die Kamera nicht dabei war. Das habe ich schon ausgewählt.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie als Experte dabei waren?
Die Mitarbeiter von Endemol, der Firma, die die Serie für RTL2 produziert, kannten mich aus einer früheren Sendung, bei der ich als Experte für Jugendliche und Alkohol eingeladen war. Bei dem Afrika-Format war von vorneherein abzusehen, dass es Schwierigkeiten geben könnte, also suchte man einen Seelsorger.
Haben Sie sofort zugesagt?
Nicht sofort, aber recht schnell. Ich wusste, ich kann den Jugendlichen helfen – durch Seelsorge und Begleitung als Christ und durch die Erfahrung, die ich in der Jugendarbeit gesammelt habe.
Hatten Sie keine Skrupel, bei einem derartigen Format mitzuarbeiten?
Persönlich sehe ich mir keine Dokusoaps an. Aber: Dokusoaps sind die Realität in unserer Gesellschaft – ob es uns gefällt oder nicht. Und ich will da hingehen, wo die Realität stattfindet. Dabei finde ich mich nicht besonders telegen. Es gibt bestimmt Menschen, die sich mehr darum reißen, ins Fernsehen zu kommen. Zu denen gehöre ich nicht.
Trotzdem – unterstützen Sie mit Ihrer Mitarbeit nicht ein fragwürdiges Format?
Nun ja, das Format wird so oder so gedreht, darauf habe ich keinen Einfluss. Also kann ich auch mitfahren und bewusst als Christ das tun, was ich hier auch tue: Für die Menschen da sein, ihnen helfen, wo ich kann.
Ist das nicht ein naiver Gedanke? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ich habe selten in so kurzer Zeit so viele seelsorgerliche Gespräche geführt wie in diesen Wochen in Namibia. Ich habe so manche Nacht mit den Jugendlichen, aber auch den Mitarbeitern geredet. Viele kamen mit ihren Sorgen und Problemen zu mir, suchten Hilfe und jemanden, der zuhört. Die Menschen sehnen sich nach echter Aufmerksamkeit und Zuwendung. Manche haben mir dort in der Wüste Dinge erzählt, die sie noch nie ausgesprochen hatten. Und ich habe versucht, die jungen Menschen auf den Alltag vorzubereiten und auch darauf, dass es nicht angenehm sein wird, wenn sie sich die Serie ansehen.
Die Dreharbeiten liefen ja bereits im April. Würden Sie nochmal mitfahren?
Ja, auf alle Fälle. Einige Kontakte sind auch entstanden, die mir sehr wertvoll sind. Eine Mitarbeiterin war so angetan von unserer Jugendarbeit, dass sie ihren Vertrag nicht verlängern wird, sondern sich in Zukunft für Kinder und Jugendliche engagieren will. Ich denke, für die Kandidaten, die durchgehalten haben, war es eine Zeit, die sie nie vergessen werden. Ich glaube, ich konnte ihnen abseits von den Dreharbeiten wirklich helfen und hoffe, dass ich ihnen etwas für ihr Leben mitgeben konnte.
Vielen Dank für das Gespräch!