Die digitale Welt hat uns ja bereits einiges vom Stress im Umgang mit Mitmenschen abgenommen: Ich muss eine aus der Ferne Angebetete nicht mehr persönlich ansprechen, sondern kann alles über sie auf ihrem Facebook-Profil erfahren und sie kontaktieren. Facebook, das ursprünglich vom Studenten Mark Zuckerberg dafür ins Leben gerufen wurde, aus der Studentenbude heraus das Äußere weiblicher Mitstudentinnen zu beurteilen, hat sich zum sozialen Netzwerk Nummer eins entwickelt. Das pubertäre Projekt von damals hat sich in eine Dollar-Druckmaschine verwandelt. Soziale Kontakte per Bits und Bytes regeln – eine Goldgrube.
Inzwischen helfen viele weitere Apps dabei, Menschen kennenzulernen. Herzklopfen beim ersten Ansprechen, die Angst, zurückgewiesen zu werden, alles perdu, dank Dating-Apps wie Tinder. Den Lebenspartner finden durch einen Wisch mit dem Finger nach rechts oder nach oben – wir verdanken dem Handy wirklich viel. Keine Angst mehr beim Kennenlernen, aber auch kein Risiko mehr bei der Eroberung eines wertvollen Schatzes, der eventuell für den Rest meines Lebens wichtig bleiben wird. Was früher unser Herz entschieden hat, übernehmen nun Algorithmen und Avatare.
Ganz einfach: Hohe Herzfrequenz spricht für schlechte Freundschaften
Die einen sehen in solchen Apps eine kalte digitale Berechnung, die anderen eine erfreuliche Effizienzsteigerung unseres sozialen Lebens. Um nicht zu viel Lebenszeit mit den falschen Freunden zu vergeuden, haben zwei New Yorker Künstler die App pplkpr ersonnen. Nach einem Treffen mit einem Freund oder einer Freundin kann der Nutzer angeben, wie positiv oder wie negativ das Treffen war. Das Progrämmchen empfiehlt uns daraufhin, diese Person öfter zu sehen – oder eben abzusägen. Die App kann zudem über eine intelligente Armbanduhr die Herzfrequenz messen. Hat sich der Puls bei einem Treffen erhöht, spricht das für Stress. Die Person ist nicht gut für uns. Die App kann Freunde per Kurznachricht einladen, mehr mit ihnen abzuhängen. Der Nutzer kann auch gleich im Kalender einen neuen Termin eintragen. Lästige Bekanntschaften kann sie blockieren oder gleich ganz aus dem Adressbuch löschen.
Lebenszeit ist wichtig, verkündet das Werbevideo zur App. Da sind Freunde, die uns nicht wirklich weiterbringen, nicht nur lästig, sondern auch gefährlich. Die moderne Kommunikationstechnologie, die Handys und das Internet, haben Freundschaften immer effizienter gemacht. Allerdings hat sie die Verbindungen auch immer brüchiger gemacht. Die saphirkristallklare Oberflächlichkeit obsiegt über die Qualität von Freundschaften, die tiefer gehen als die sieben Millimeter unseres Smartphones.
Ausgerechnet aus New York, der Hauptstadt der Singles, stammt nun die App pplkpr für die Rationalisierung unserer Freundschaften. Wenn wir wissen, dass wir bei einem Treffen von unseren Freunden bewertet werden wie ein Artikel bei ebay, vielleicht fühlen wir uns dann irgendwann auch wie Ware? Und: Wir strengen uns womöglich mehr an. Wer will schon schlecht bewertet werden? Ein fröhliches Lächeln wird doch sicherlich besser bewertet als ein stundenlanges Lamentieren über persönliche Probleme. Überhaupt: Probleme? Wer will die von seinen Freunden schon hören? Wenn ich die Absicht habe, meine Sorgen bei einem Freund loszuwerden, darf ich mich nicht wundern, wenn pplkepr dafür sorgt, dass ich sozial isoliert werde. Eine Person mit negativen pplkpr-Werten will niemand treffen.
Achtung, Langweiler voraus
Spinnen wir die Geschichte doch ein wenig weiter: Weil unsere Handys ohnehin schon immer wissen, wo wir uns gerade befinden, warum soll mich meine App nicht davor warnen, wenn da vorne nicht ein Negativ-Bekannter lauert? Ich kann früh genug Reißaus nehmen und meine Lebenszeit lieber mit jenen Menschen verbringen, die mehr Punkte auf der pplkpr-Skala haben. Eine Datenbrille a la „Google Glass“ kann mir demnächst permanent bei meinem Gang durch die Stadt No Go-Areas einblenden, wo ich nur auf Miesepeter stoße, und wo sich stattdessen die shiny happy people verbergen. Denn nur mit denen wollen wir ja unser Leben verbringen. Oder?
Ist die App wirklich ernst gemeint? Oder handelt es sich um ein Kunstprojekt? „Beides“, schreiben die Programmierer auf ihrer Webseite. Wer genau hinsieht, entdeckt dort einen kleinen Satz, der darauf hindeutet, dass die Macher sehr wohl wissen, dass ihre App eine „Provokation“ ist. Sie hoffen, sagen sie, dass sie die Menschen dazu bringen, kritischer über eine Zukunft nachzudenken, in der unser Leben immer mehr digitalisiert, gemessen, bewertet und gefiltert wird.
Eine Warnung sollte man vielleicht noch anfügen: Wenn die App anhand der Herzfrequenz unsere Haltung zu unseren Mitmenschen berechnet, sollte der Nutzer besser nicht mit seiner Bekanntschaft Joggen gehen. Oder andere Dinge tun, die den Puls nach oben treiben. Immer schon cool bleiben! Man könnte auch sagen, was die Mitmenschen angeht, immer schön kalt bleiben. (pro)