Nach Ansicht der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sollten die Waffenlieferungen an die Ukraine von Bemühungen um Gespräche mit Russland begleitet werden. „Wir müssen uns davor hüten, das als Alternative zu sehen: Kämpfen oder Reden. Es braucht beides“, sagte die EKD-Chefin am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“.
Kurschus: „Ich bin überzeugt, dass keine Waffe Frieden schafft und dass man mit Gewalt keinen Frieden herbeibringen kann.“ Die christliche Friedensethik legitimiere jedoch den Einsatz von „rechtserhaltender Gewalt als Ultima Ratio“ zum Schutz von Leib und Leben von Menschen. Jede Waffe, die zur Verteidigung eingesetzt werde, töte auch.
„Jede Waffenlieferung kann aus christlicher Sicht nur dann verantwortbar sein, wenn sie eine Strategie bei sich hat, auf Frieden und Verhandlungen zu zielen und das Schweigen von Waffen.“
EKD-Chefin: „Keine christliche Pflicht zu radikalem Pazifismus“
Die Ratsvorsitzende hatte zuvor in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung erklärt: „Ich erkenne es grundsätzlich als eine christlich verantwortbare Entscheidung an, die Ukraine mit Waffen zur Verteidigung zu unterstützen“. Es gebe „keine christliche Pflicht zu radikalem Pazifismus und absolutem Gewaltverzicht“.
Alles Handeln müsse auf einen Waffenstillstand ausgerichtet sein, auch wenn nicht klar sei, wie dieser aussehen könne. Bereits bei der EKD-Synode Anfang November 2022 in Magdeburg hatte Kurschus die angekündigten Waffenlieferungen an die Ukraine verteidigt.
Anders die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Die Theologin ist Erstunterzeichnerin des umstrittenen „Manifests für Frieden“ der Publizistin Alice Schwarzer und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Darin heißt es unter anderem: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen.“
Das Manifest fordert vorbehaltlos zu Verhandlungen auf, wobei nach dem Verständnis der Initiatoren verhandeln nicht kapitulieren bedeutet, sondern „Kompromisse machen, auf beiden Seiten“. Das Manifest ist in der Öffentlichkeit auf Kritik gestoßen, weil einerseits auch rechte, russlandfreundliche Parteien die Einstellung von Waffenlieferungen begrüßen, aber auch, weil Kritiker darin eine Preisgabe der Ukraine und Unterwerfung gegenüber Russland sehen.
Am 26. Februar waren Tausende Menschen dem Aufruf der Initiatoren zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin gefolgt und forderten einen sofortigen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine sowie die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen. Käßmann war der Veranstaltung fern geblieben, weil unter anderem AfD-Politiker und Rechtsextreme ihre Teilnahme an der Kundgebung angekündigt hatten.
Kurschus: „Verantwortung, die mit Schuld zu tun hat“
Käßmann lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Die Theologin begründete unter anderem im Juli 2022 ihre pazifistische Haltung mit der Bibel. „Jesus war kein Revolutionär mit der Waffe in der Hand, sondern hat Frieden gepredigt“, erklärte Käßmann in einem Gespräch mit Domradio. „Und ich denke, deshalb ist es die Aufgabe von Christen, alles zu tun, zum Frieden zu rufen, nicht zu mehr Waffen zu rufen, sondern zu Verhandlungen, zu Phantasie für den Frieden.“
Im Podcast von PRO hatte sich Käßmann im Juli 2022 bedrückt zu den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine geäußert. Dass der Grundsatz der Außenpolitik, keine Waffen in Kriegs- oder Krisengebiete zu liefern, „so Hoppla-Hopp“ vom Tisch gefegt worden sei, empfand die Theologin als „belastend“. Käßmann hatte zudem der Befürchtung Raum gegeben, dass der Krieg in der Ukraine nicht mehr lokal einzudämmen sei, die NATO hinein gezogen werden könnte und so letztlich ein Atomkrieg drohe.
Jüngst verteidigte sie unter anderem in einem Zeit-Streitgespräch mit Petra Bahr, Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover und Mitglied des Deutschen Ethikrats, konsequenten Pazifismus und das Ende der Waffenlieferungen. Käßmann erklärte: „Durch die Lieferung von Waffen machen wir uns mitschuldig am Sterben in der Ukraine.“
Darauf bezugnehmend wollte Anne Will am Sonntag in der ARD-Sendung von Kurschus wissen, ob das zutreffe. „Ich werde dabei persönlich – aus meiner Sicht – ja, mitschuldig, wenn ich das für gutheiße“, gestand Kurschus ein. „Ich nehme in Kauf, dass durch die Waffen, die die Ukrainer verteidigen, russische Soldaten […] zu Tode kommen. Und ja, das ist eine Verantwortung, die mit Schuld zu tun hat.“