Großschirma in Sachsen. Justus Geilhufe sitzt in seinem Arbeitszimmer. Auf dem Boden liegen Papierblätter. Das überquellende Bücherregal an der Wand ist gefüllt mit theologischer und philosophischer Fachliteratur. Auf dem kleinen hölzernen Rundtisch vor ihm steht ein Glas Wasser und eine French Press, bis zum Rand gefüllt mit frisch aufgebrühtem Kaffee. Die Haare des Zwei-Meter-Hünen sind zurückgekämmt. Über dem hellblauen Hemd trägt er ein Sakko. Ein zufriedenes Lächeln trägt der 33-Jährige im Gesicht. Die Müdigkeit sieht man ihm nicht an, obwohl er die halbe Nacht im Auto saß, wie er erzählt. Am Vorabend hat er in Greifswald einen Vortrag über sein im Herbst erschienenes Buch gehalten: „Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche“.
Was an diesem Morgen nicht sofort auffällt: Dieser Mann befindet sich gewissermaßen im Feindesland. Er kämpft einen Kampf, den viele als hoffnungslos, als nicht zu gewinnen bezeichnen würden. Sein Feind ist nicht aus Fleisch und Blut und dennoch spürbar, ja geradezu allgegenwärtig: der Atheismus. Das Schlachtfeld ist der weitestgehend entkirchlichte Osten. Das drohende Szenario: Ein gottloses Deutschland.
Die Verbindung zum Osten der Republik und damit sein Kampf gegen den Atheismus ist Geilhufe in die Wiege gelegt. Geboren und aufgewachsen ist er 1990 in Dresden. Sein Vater war dort als Pfarrer tätig und der Tagesablauf ganz nach dem Pfarralltag des Vaters ausgerichtet. Für Geilhufe war das eine „irre gute Erfahrung“, die ihn geprägt hat. Nicht zuletzt wegen der Dinge, die ihm der Vater vorgelebt hat, reifte in ihm der Wunsch, selbst Pfarrer zu werden. In Erinnerung ist Geilhufe vor allem die Zeit, als sein Vater auch als Krankenhausseelsorger aktiv war. Regelmäßig besuchte die gesamte Familie nach dem Sonntagsgottesdienst schwer krebskranke Menschen im Krankenhaus. Das Leben von Familie Geilhufe war „durchwirkt vom Dienst an den Anderen“, berichtet er. Diesen Lebensentwurf und die damit verbundene Weitergabe des Glaubens wollte er auch.
Rückkehr nach Sachsen
Ein freiwilliges Jahr direkt nach dem Abitur in der „Arche Gemeinschaft“ stärkte diesen Wunsch. Geilhufe studierte Theologie und Philosophie an den Universitäten Jena, Princeton, München, Leipzig und an der jesuitischen Hochschule für Philosophie in München.
Dass Geilhufe schließlich wieder zurück nach Sachsen kehrt, hat drei Gründe. Ohne es genau erklären zu können, habe er das Gefühl, eine „emotional atmosphärische Verbindung“ zu den Menschen im Osten zu haben. Zudem sieht er sich gewissermaßen in der Tradition von ostdeutschen Theologen, die nach dem Krieg im Westen studiert haben und bewusst und trotz der DDR zurückkehrten, „weil sie gebraucht worden sind“. Als Beispiel nennt er den früheren Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, Johannes Hempel, oder den früheren Superintendenten, Thomas Küttler. Auch jetzt herrsche ein akuter Mangel an Pfarrern im Osten. Und, fährt Geilhufe fort, „ich weiß genau, warum ich mit den Atheisten hier im Dorf zusammen bin“.
Mit der Familie zur Feuerwehr
Denn Geilhufes erklärtes Ziel als Pfarrer ist kein geringeres als dem Atheismus den Kampf anzusagen. Der Atheismus sei eine unmenschliche Art zu leben. Eine Gesellschaft, die versucht, ohne den Horizont des Glaubens auszukommen, sei keine Gute. „So kann man doch nicht leben“, sagt er. Doch der Pfarrer will niemanden verurteilen. Sondern unter ihnen leben, vom Glauben erzählen, ihnen zeigen, dass da mehr ist. Ihm sei bewusst, dass sein Kampf dem gegen Windmühlen gleicht und dass die Entwicklung der Kirchenmitgliedszahlen gegen ihn spricht. Doch gerade das mache seinen Dienst umso relevanter.
Und dabei erzielt der junge Theologe bereits erste Erfolge. In seiner Gemeinde liegen die Kircheneintrittszahlen über denen der Austritte. Es lassen sich mehr Menschen taufen, als sterben. „Wachsen gegen den Trend“, hatte der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber mal als Ziel ausgegeben. Quittiert wurde das in der Kirche mit ungläubigem Lächeln. Doch genau das geschieht hier in Großschirma in Mittelsachsen, einer Region, in der das Christentum schon lange auf dem Rückzug ist. Warum wächst die Kirche dort? Ein bestimmtes Erfolgsrezept hat Geilhufe nicht. Aber „die grundlegende Erfahrung der Menschen muss sein, dass wir sie suchen und, dass wir sie gernhaben“, erklärt er.
Deswegen ist Geilhufe im Ort präsent. Zu Veranstaltungen, wie dem Fest der Freiwilligen Feuerwehr, „geht man halt als Pfarrer hin“. Für ihn sind das nicht nur 15-minütige Dienstbesuche. Ganz in Tradition seines Vaters bringt er seine ganze Familie mit, „und zwar immer“. Eine weitere Idee von Geilhufe war die Gründung eines Kinderchors. Während andere die Kinder unterrichten, nutzt er die Zeit, um im Garten mit den Eltern Kaffee zu trinken und ins Gespräch zu kommen. „Jeder in der Gemeinde und jeder Pfarrer begegnet im Monat drei oder vier Leuten, die auf der Suche sind“, ist Geilhufe überzeugt. Mit denen gilt es, ins Gespräch zu kommen. Er selbst erzählt von einem Mitarbeiter des örtlichen Bestattungsunternehmens, den er zu seinen Glaubenskursen mitgenommen hat. Warum? Er habe gemerkt, dass er sich dafür interessiert, „was wir hier machen“.
Alles muss einen missionarischen Charakter haben
Diese Art würden vor allem Christen im Osten als übergriffig empfinden, weil sie gelernt haben, sich in der Rolle einer Minderheit zu fügen, erklärt der Pfarrer. Doch Geilhufe kennt diese Hemmungen nicht. Er fragt sogar Leute, ob sie sich taufen lassen wollen, wobei diese Frage „den absoluten Übergriff“ für so manchen Christen darstelle. Doch wenn die Taufe die Bedeutung habe, die sie zweifelsfrei habe, müsse Menschen doch dieses Angebot gemacht werden. Diese missionarische Grundeinstellung vermisst Geilhufe vielerorts im Osten. Stattdessen solle in der Regel alles so bleiben, wie es ist. Mission bedeute aber, dass „gar nichts so bleibt, wie es ist“, dass viele neue Menschen den Weg in die Gemeinde finden, dass sie getauft werden.
Als Geilhufe frisch in seine Gemeinde kam, habe er von Anfang an kommuniziert, dass er keine neuen Projekte ins Leben rufen wolle, die keinen missionarischen Charakter hätten. Oder in seinen Worten: „Ich will Dinge machen, die an die gerichtet sind, die da draußen sind“.
An der Strategie der Kirche, um Außenstehende für sich zu gewinnen und Mitglieder zu halten, zweifelt Geilhufe indes. Die Gleichung sei: „Je mehr wir uns der Welt öffnen, umso näher kommt uns die Welt.“ Ganz offensichtlich gehe diese Gleichung jedoch nicht auf. Empirisch betrachtet sei sie sogar widerlegt, sagt er. Zwar gebe es Momente, in denen die Kirche weltoffen und politisch sein müsse, aber es sei der falsche Weg, alles Alte über Bord zu werfen. Geilhufe bezeichnet sich selbst als konservativ. Für ihn und seine Gemeinde sind Gottesdienste nicht nur Milieu-Veranstaltungen und die Bibel hat ein Alleinstellungsmerkmal. „Auch wenn die Welt sicher nicht nur in sechs Tagen erschaffen wurde, sind die biblischen Texte mehr als Metaphern. Es sind heilige Texte, die wahr sind.“ Und Geilhufe hat eine „ganz hohe Wertschätzung“ für die Liturgie, in der für ihn große Tiefe und Wahrheit liegt. Für ihn sei Liturgie weder austausch- noch verhandelbar.
Vielleicht sind es die in seiner Gemeinde erzielten Erfolge, die Geilhufe nüchtern, ja fast schon gelassen auf die Zukunft seiner Kirche blicken lassen. Vielleicht ist es aber auch das greifbare Gottvertrauen, das er ausstrahlt und das in seinen Worten mitschwingt. „Im Vertrauen auf die christliche Theologie hat die Kirche die DDR überlebt. Dann wird sie auch den Atheismus des 21. Jahrhunderts überleben.“ Oder die Überzeugung, am richtigen Ort die richtige Arbeit zu machen. Geilhufe erfindet die Kirche nicht neu, testet nicht den nächsten „Erprobungsraum“ aus. „Ich verliere mich auch nicht in Hyperaktivität, in völlig kreativen und losgelösten Projekten“, wie er sagt. Er macht die Basics. Und das offensichtlich gut.
Plötzlich stellt Geilhufe seine Tasse Kaffee ab und blickt auf die Uhr. Es ist mittlerweile später Vormittag. Und er muss los. Religionsunterricht in der Schule steht an, sagt er mit einem Lächeln, während er schon auf den Weg nach draußen ist. Und der sei „mega missionarisch“.