Der Bundestag hat im Dezember eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen. Angestellte in Pflegeberufen müssen ab März 2022 gegen Covid-19 geimpft oder genesen sein. Kirchenvertreter hatten sich im Vorfeld für eine Impfpflicht ausgesprochen. PRO wollte von dem im Arbeitsrecht tätigen Juristen Klaus Schultze-Rhonhof wissen, ob der Sonderstatus von Kirche und Diakonie im Arbeitsrecht, der sogenannte Tendenzschutz, noch weiter reichende Maßnahmen eröffnen könnte.
PRO: Der Bundestag hat eine Impfpflicht beschlossen. Ab Mitte März 2022 müssen Angestellte in Gesundheitsberufen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen möglicher Gegenreaktionen bei einer Impfung gegen Covid-19 besitzen. Grundsätzlich: Darf es überhaupt eine Impfpflicht geben?
Klaus Schultze-Rhonhof: Das ist eine schwierige Frage. Vor dem Bundesverfassungsgericht sind nach wie vor Verfahren anhängig, in dem sich Eltern dagegen wehren, dass ihre Kinder nur mit Masernimpfung in die Kindertagesstätte dürfen. Allerdings hat das Gericht im vorgeschalteten Eilverfahren die vorläufige Einschätzung geäußert, dass die Freiheit der betroffenen Kinder „gegenüber dem Interesse an der Abwehr infektionsbedingter Risiken für Leib oder Leben einer Vielzahl von Personen zurücktreten“ muss.
Eine allgemeine Impfpflicht ist also nicht prinzipiell ausgeschlossen. Es müssen aber wie immer verschiedene Grundrechte gegeneinander abgewogen werden: Die körperliche Unversehrtheit der zu Impfenden wie der durch die Impfung zu Schützenden, die Handlungsfreiheit, die Menschenwürde, das Persönlichkeitsrecht, die Berufsfreiheit. Außerdem muss die Impfpflicht verhältnismäßig sein.
Was bedeutet in dem speziellen Fall „verhältnismäßig“?
„Verhältnismäßig“ heißt, dass die Impfpflicht geeignet sein muss, um die von Covid drohende Gesundheitsgefahr zu bekämpfen. Außerdem darf es kein milderes Mittel hierfür geben. Hier meinen Einige, eine engmaschige Testpflicht komme angesichts des Problems der Impfdurchbrüche zu einem mindestens gleichwertigen Ergebnis. Im Verhältnis zu dem Schutzzweck der Grundrechte, die durch die Impfpflicht eingeschränkt werden, muss das Interesse am Gesundheitsschutz zudem ein sehr hohes Gewicht haben.
Altbischof Huber sieht eine moralische Impfpflicht für Christen und begründete diese vor geraumer Zeit mit dem Dreifach-Gebot der Liebe – zu Gott, zum Nächsten wie zu sich selbst. Viele Angestellte der Kirchen arbeiten in Pflegeberufen. Für die gilt ab März 2022 die staatliche Regelung. Aber wie ist es mit dem übrigen Personal? Könnten sich kirchliche Arbeitgeber allein schon im Rahmen ihres Tendenzschutzes auf dieses christliche Gebot berufen und von ihren Angestellten die Impfung verlangen?
Klar ist, dass die Kirchen für ihre Beschäftigten eine Impfpflicht einführen dürfen, wenn auch der Staat das macht. Das ist nun „einrichtungsbezogen“ geschehen und betrifft vor allem Angestellte in Kliniken und Krankenhäusern, Tageskliniken, Reha-Einrichtungen oder Alten- und Pflegeheimen. Ob die Kirchen aber allein aufgrund ihres Sonderstatus als Kirchen und ohne die parlamentarisch legitimierte Regelung noch weiter „voran gehen“ dürfen – da bin ich skeptisch. Es sind ja auch bei weitem nicht alle ihre Beschäftigten Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, die das Gebot der Nächstenliebe für sich in Anspruch nimmt. Es geht um erhebliche Grundrechtseingriffe.
Dass die Kirchen ihre Beschäftigten anders behandeln dürfen als nichtkirchliche Arbeitgeber, hat das Bundesarbeitsgericht in den letzten Jahren nur noch für einen eng begrenzten religiösen Kernbereich erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht ist hier zweifellos großzügiger, aber der Kompetenzstreit ging zuletzt zugunsten des Europäischen Gerichtshofs aus, der den Kirchen weit weniger Sonderrechte zugesteht. So besteht die Möglichkeit der Kirchen, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen, vor allem darin, für Impfungen zu werben und argumentativ auf parlamentarische Entscheidungen hinzuwirken.
Datenschutz ist hierzulande ein sehr hohes Gut. Arbeitgeber übertragen den Impfstatus ihrer Angestellten in Chipkartensysteme, die zur Zeiterfassung und dem Nachweis der Zugangsberechtigung auf das Werksgelände dienen. Ist das rechtens?
Schon jetzt müssen Arbeitgeber bei jeder Person, die zur Arbeit erscheint, kontrollieren und dokumentieren, ob sie geimpft, genesen oder getestet ist. Das verlangt das Infektionsschutzgesetz. Daher müssen die entsprechenden Daten erfragt, erfasst und gespeichert werden. Sie dürfen allerdings nur zu diesem speziellen Zweck und für das betriebliche Hygienekonzept erhoben und verarbeitet werden. Sonst ist die Verwendung der Information nicht erlaubt. Also bietet es sich an, den 3G-Status der Belegschaft bei den Zugangskontrollmechanismen zu hinterlegen. Dabei muss sichergestellt sein, dass der Status sofort wieder gelöscht wird, wenn die Gesetzgebung das Zutrittsverbot für Ungetestete nicht mehr aufrecht erhält. Dasselbe gilt im Fall einer Impfpflicht. Da es ab März 2022 eine Impfpflicht gibt, muss sie auch kontrolliert und der Impfstatus zusammen mit der Zugangskontrolle notiert werden.
Vielen Dank für das Gespräch.