Die vier Kinder im Alter von acht bis 14 Jahren wurden am 29. August zwangsweise in staatliche Obhut genommen. Wie das Darmstädter Echo berichtet, seien dazu Mitarbeiter des Jugendamts, Gerichtsvollzieher und Polizisten gemeinsam angerückt. „Der Einsatz ist sehr gut gelaufen, die Polizei hat mit Augenmaß gehandelt“, erklärte Klaus Behnis, Abteilungsleiter des Jugendamts des Landkreises Darmstadt-Dieburg. Auf unverhältnismäßige Gewalt habe man verzichtet, lediglich gegenüber den Kindern sei „milder körperlicher Einsatz“ ausgeübt worden, weil diese sich geweigert hätten, ihr Haus zu verlassen.
Die sechsköpfige Familie wohnt im südhessischen Wembach, einem Stadtteil von Ober-Ramstadt bei Darmstadt. Der Vater, Dirk W., bezeichnete den Polizeieinsatz als „Überfall“. Mindestens 20 Behördenvertreter hätten sein Haus „gestürmt“, teilte er mit. Die Polizisten hätten ihn in einen Sessel geschubst und ihm zunächst verboten, einen Telefonanruf zu tätigen. Schon bei kleinen Bewegungen hätten ihn die Beamten festgehalten, „als sei ich ein Terrorist“. Sowohl die Kinder als auch die Nachbarn der Familie seien durch „diese Invasion traumatisiert" worden.
Kinder nur wenige Wochen in der Schule
Bis es dazu kommt, dass die Behörden Kinder von ihren Eltern trennen, muss einiges passieren. Laut Behnis ist das in diesem Fall geschehen: „Der Staat hat einen Erziehungsauftrag, dem sich die Eltern nicht entziehen können“, erklärte er. Die Kinder der Familie W. seien in ihrem Leben insgesamt nur wenige Wochen in der Schule gewesen. Die Eltern lehnten jedes Schulsystem ab und unterrichteten ihre Kinder zu Hause.
Behnis sagte im Darmstädter Echo, die Behörden hätten gegenüber Dirk und Petra W. viel Entgegenkommen gezeigt und immer wieder das Gespräch gesucht. Die Kooperation sei jedoch in der Vergangenheit mehrfach gescheitert. „Die Familie setzt sich über geltendes Recht hinweg und die Kinder haben verinnerlicht, dass unsere gesellschaftliche Ordnung feindlich ist“, erklärte er. Laut Spiegel Online handelt es sich beim Fall der Familie W. um ein ellenlanges Verfahren, in dem auch schon Ordnungsgelder gegen die Eltern verhängt worden sind. Seit Mitte 2012 seien die Eltern darüber informiert gewesen, dass ihnen das Sorgerecht entzogen werden soll. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt hätten sie erfolglos beim Oberlandesgericht Frankfurt Beschwerde eingelegt.
Die Eltern hätten außerdem die Bitte des Jugendamts, den aktuellen Bildungsstand der Kinder durch Tests festzustellen, abgelehnt. Dirk W. verteidigte diese Haltung: Die staatlich angeordnete „Lernstandserhebung“ diene nicht nur dazu, die Leistung der Kinder zu bewerten, sondern auch, sie einem Schultypus zuzuordnen. In dieser Maßnahme sieht W. ein „Eintrittstor“ für den Schulbesuch seiner Kinder. Frank Horneff, Pressesprecher des Landkreises Darmstadt-Dieburg, sagte: „Die Eltern hatten signalisiert, die Kinder freiwillig nicht herauszugeben und sich auch weiterhin zu weigern, eine Schulpflicht für ihre Kinder zu akzeptieren.“
Familie ist konfessionslos – „Unser Ziel ist der Himmel“
Dirk W., von Beruf Gärtner, erklärte zum christlichen Weltbild seiner Familie: „Bildungsabschlüsse spielen bei uns keine Rolle. Unser Ziel ist der Himmel.“ Die Familie gehöre keiner Konfession an, so das Darmstädter Echo, Jesus Christus sei aber von „großer Bedeutung“ für sie. Der Hessische Rundfunk berichtet, die Eltern hätten ihre Kinder von der Außenwelt abgeschottet und es auch abgelehnt, sie an einer staatlich anerkannten christlichen Privatschule unterrichten zu lassen.
Die vier Kinder sind momentan in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Sollten die Eltern glaubhaft sicherstellen, dass die Kinder von nun an zur Schule gehen, könnten sie das Sorgerecht zurückerhalten, erklärte Johanna Müller-Frank vom Amtsgericht Darmstadt. Der Fall soll noch im September bei einer nicht-öffentlichen Gerichtsverhandlung zur Sprache kommen.
Der Anwalt der Familie, Andreas Vogt, sagte am Mittwochabend im Hessischen Rundfunk, die Eltern hätten ihre Kinder mitnichten isoliert. „Die Kinder sind nicht in der Schule, dass ist richtig. Aber sie sind ja dadurch nicht aus der Welt. Die Kinder sind in der Welt, sie sind gut integriert.“
US-Medien: „Deutschland missachtet Menschenrechte“
Mehrere amerikanische Online-Medien haben mit Befremden über den Fall aus Deutschland berichtet. Der christliche Fernsehsender CBN strahlte in seiner Nachrichtensendung einen Beitrag seines Europa-Korrespondenten Dale Hurd inklusive Interview mit Dirk W. aus. Bereits in der Anmoderation heißt es: „Deutschland, eine Nation mit dunkler Vergangenheit, hat erneut seine völlige Missachtung der Menschenrechte gezeigt.“
Im Beitrag selbst sind die Kinder der Familie W. beim Spielen und Lernen zu sehen. Der einzige Vorwurf gegen die Familie sei es, die Kinder selbst zu unterrichten, es gebe keine weiteren Beschuldigungen wie etwa Vernachlässigung oder Missbrauch. Dirk W. erklärt in einem bereits 2012 aufgezeichneten Interview, er sei bereit, ins Gefängnis zu gehen: „Ich mache mir keine Sorgen, das ist nur für meine Familie traurig. Aber ich gehe mit einem Lachen. Ihr könnt tun, was ihr wollt, aber meine Kinder gehen nicht zur Schule.“
Homeschooling in vielen Ländern erlaubt
Während es in Deutschland eine Schulpflicht gibt, ist das so genannte Homeschooling in zahlreichen Staaten, die lediglich eine Bildungspflicht haben, erlaubt. Wie stern tv berichtete, sei Heimunterricht beispielsweise in Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien und Österreich erlaubt. Deutschland und Schweden seien die einzigen Staaten in Europa, in denen dies eindeutig nicht möglich sei.
Bereits in der Vergangenheit sorgten Verfahren und Sorgerechtsprozesse rund um Homeschooling für Schlagzeilen (pro berichtete). Zu einer breiten Diskussion in der Medienöffentlichkeit führte der Fall des Ehepaars Dudek aus Archfeld, das seine Kinder über elf Jahre zu Hause unterrichtet hatte und dafür verurteilt worden war. Zum Fall aus Darmstadt erklärte Rosemarie Dudek gegenüber pro: „Ich halte es für einen guten Kompromiss, wenn die Kinder auf eine christliche Bekenntnisschule gehen würden. Das ist besser, als wenn sie ihre Eltern nicht wiedersehen.“ Es mache für Dirk und Petra W. keinen Sinn, „sich weiterhin querzustellen“.
Ein anderes bekanntes Beispiel für Homeschooling in Deutschland ist der Fall der Familie Romeike, die in den USA Asyl für politisch Verfolgte beantragt hatte. 2010 bekamen sie ein temporäres Visum und zogen nach Tennessee. Laut CBN News setzt sich die Regierung Obamas für eine Ausweisung der Familie ein. (pro)