Jugend-Trend SMS: Süchtig nach Information

Handykonzerne verbuchen neue Rekorde. Das Verschicken von Kurznachrichten ist zum Trend geworden, birgt aber auch Gefahren. Experten meinen: Übermäßiges "Simsen" kann zur Sucht werden, Aufmerksamkeitsstörungen hervorrufen und die soziale Entwicklung Heranwachsender stören.
Von PRO

Im Jahr 2008 wurden in Deutschland rund 29 Milliarden SMS verschickt. Ein neuer Rekord, meldet die Bundesnetzagentur. Eine Umfrage des „Instituts für Demoskopie Allensbach“ ergab, dass nur 36 Prozent der 14- bis 19-Jährigen ein persönliches Gespräch einer E-Mail oder SMS vorziehen. Nach einer Erhebung des Marketingkonzerns „Nielsen“ sendeten und empfingen US-Jugendliche im vierten Quartal 2008 ganze 2.272 SMS pro Monat, das macht 75 pro Tag, also etwa fünf pro Stunde, Schlafzeiten nicht mitgerechnet. Das sind doppelt so viele Kurznachrichten, wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. „Damit hat die SMS-Nutzung bei Handy-Usern im Alter zwischen 13 und 19 Jahren in den Vereinigten Staaten einen neuen Rekordhöchststand erreicht“, schreibt die Zeitung „Die Welt“.

Rafaela Tschöp, Pressesprecherin des Online-Handytarif-Beraters „Teltarif“, erklärte gegenüber dem Nachrichtenportal „Pressetext“: „Bei Teenagern ist diese Kommunikationsform derart beliebt, dass sie mittlerweile eine Art eigener ‚SMS-Sprache‘ entwickelt haben, die auf zahlreichen Abkürzungen beruht.“ Bei Teenagern ist das „Simsen“ angesagt. Experten aber warnen: Gerade bei einer heranwachsenden Zielgruppe kann extrem häufiges SMS-Verschicken unangenehme Nebenwirkungen haben. “ Das massive Schreiben von Textnachrichten, wie es bei manchen Jugendlichen üblich ist, könne zur Sucht werden und mache krank, sagen amerikanische Pädiater“, schreibt „Die Welt“.

Ferngesteuert durch SMS

Sherry Turkle ist Professorin für Sozialstudien und Technologie am „Massachusetts Institute of Technology“ in Boston und hat das SMS-Verhalten Jugendlicher drei Jahre lang erforscht. Sie ist überzeugt: Das Kommunikationsmittel stört die Entwicklung Heranwachsender. Durch die permanente Möglichkeit, sich bei Anderen rückzuversichern, lernten Jugendliche nicht mehr, eigene Entscheidungen zu treffen. Außerdem führe das „Simsen“ zu Konzentrations- und Lernstörungen: „Wer alle paar Minuten zugetextet wird und sofort antworten muss, kann keinen klaren Gedanken zu Ende entwickeln“, schreibt „Die Welt“.

Auch Martin Joffe, Pädiater aus Greenbrae in Kalifornien, untersuchte das Kommunikationsverhalten Jugendlicher an zwei Highschools. Laut der Zeitung „New York Times“ fand er einzelne Schüler, die täglich Hunderte von SMS verschicken, also alle paar Minuten eine. Jugendliche hätten ihm außerdem berichtet, dass sie auch spät nachts auf Nachrichten antworteten. Schlafprobleme sind laut Joffe eine Folge dieser Nachtaktivitäten.

Wie aufregend das Nachrichten Verschicken und Erhalten für Konsumenten ist, erklärten jetzt kanadische Wissenschaftler: Schon das Signal einer ankommenden SMS führe zur Ausschüttung von Glückshormonen, heißt es in der Zeitung „Wirtschaftswoche“. Trendforscher Peter Wippermann erklärte dort: „SMS ist wie der Sandkasten ein Ort, der freigegeben wird von den Eltern, damit die Kinder ihr eigenes soziales Netz aufbauen und einander Achtung zuweisen oder nehmen. Das kann man gut bei Schülern beobachten: Während früher Hänseln oder üble Nachrede auf dem Schulhof stattfand, findet es heute per SMS im Unterricht statt.“

Sozialer Druck per Handy

Der Hamburger weiß auch, warum das „Simsen“ zu sozialem Druck führen kann: „Wer unter den Jugendlichen über zwölf Jahren kein Handy hat, wird nicht mehr wahrgenommen. Schlimmer ist nur noch, ein Handy zu besitzen und niemand ruft an. In dem Moment, wo man den Beweis hat, dass man erreichbar wäre, aber keine SMS bekommt, weiß man, dass man aus der sozialen Gemeinschaft, zu der man gehören möchte, ausgeschlossen ist.“ Eine Suchtgefahr sieht er im Gegensatz zu amerikanischen Wissenschaftlern nicht. Ähnliches berichtet auch der Psychotherapeut Michael Hausauer der „New York Times“: Teenager seien überdurchschnittlich interessiert an allem, was ihre Freunde tun. „Das Texten kann eine riesige Hilfe sein. Es macht Gemeinschaft und Verbundenheit möglich.“ Gleichzeitig könnten Jugendliche dadurch, dass jeder weiß, was sie selbst gerade tun, auch bloßgestellt werden.

Ausschlaggebend für die gewaltigen Zuwachsraten der SMS-Nutzung bei Teenagern ist laut „Pressetext“ vor allem der zunehmende Preiskampf in den Reihen der Mobilfunkanbieter, die mit vergünstigten SMS-Konditionen und speziellen Flatratetarifen auf Kundenfang gehen. (PRO)

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