Etablierte Medien müssen selbstkritischer mit sich und ihrer Berichterstattung umgehen – und sollten auch vor Kontroversen nicht zurückschrecken. Das fordert die ehemalige Chefredakteurin der Deutschen Welle, Ute Schaeffer, im Interview des Branchendienstes kress.de. Für ihr neues Buch „Fake statt Fakt – Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen“ (DTV) bewegte sie sich fast zwei Jahre lang in unterschiedlichen Echokammern in sozialen Netzwerken, etwa in rechtsgerichteten oder türkischen.
Echokammern sind etwa Facebook-Gruppen oder Netzwerke in den Sozialen Medien, in denen sich Internetnutzer begegnen; durch den verstärkten Austausch mit Gleichgesinnten über bestimmte Themen und politische Fragen kann sich so die eigene Weltsicht verengen. Traditioneller Journalismus müsse offener sein für Themen, die in diesen „alternativen“ Medien von zahlreichen Menschen diskutiert werden, ist eine Erkenntnis Schaeffers.
Leser vermissen Themen in Tagesschau und Zeitung
„Wenn man Themen weglässt, befeuert man nur den Vorwurf der ,Lügenpresse‘. Wir brauchen mehr Kontroversen, sonst verlagern sich die in die Sozialen Medien“, erläutert die Autorin im Interview des Mediendienstes. Aus ihren Erfahrungen in den virtuellen Echokammern stellt sie mit Blick auf den Journalismus fest: „Wenn ich in meinen Recherchenewsfeeds oder den Gruppen wütende Debatten verfolgen konnte, die sich auf die Festnahme eines mutmaßlichen Gewalttäters aus Afghanistan beziehen – und das Thema dann in der Tagesschau oder in Zeitungen nicht vorkommt, dann vermisse ich etwas.“
Werde ein Thema so intensiv diskutiert, sei dies ein Kriterium, es journalistisch zu bearbeiten. Schaeffer fragt, ob es in den Redaktionen ein „umfängliches Bild der Meinungsbildung in unserem Land“ gebe. „Nehmen wir wahr, was in der Echokammer ,der anderen‘ diskutiert wird und haben wir journalistische Methoden, damit umzugehen? Bisher eher nicht.“ Das sei ihr durch das Projekt klar geworden.
„Zu nah dran an der Regierungspolitik“
Die Journalistin führt im kress.de-Interview als Negativbeispiel die Berichterstattung über Flüchtlinge an. Viele Medien hätten bei dem Thema „keine vollumfängliche Arbeit geleistet“. Sie waren „zu nah dran an der Regierungspolitik, berichteten zu wenig darüber, was vor Ort oder in konkreten Fällen zu Schwierigkeiten führte“. Die Berichterstatter hätten hier einen zu einfachen Weg gewählt. Das sei „immer schlecht“, auch weil „es Platz lässt für andere Interpretationen, die sich jetzt in diesen Echokammern zeigen“.
Für die Zukunft und den digitalen Wettbewerb erteilt Schaeffer einem Journalismus aus der Distanz eine Absage. Eine transparente Nennung der Quellen sei nur ein zu beachtender Punkt. „Wir sollten einen Unterschied machen – in unserer Sprache, bei Sorgfalt, Quellen, Recherche, kurzum Faktentreue“, macht die Autorin ihren Punkt.
Von: Martina Blatt