Journalisten kritisieren fehlenden Diskurs

Journalisten in Deutschland berichten und kommentieren oft sehr ähnlich, findet der ehemalige TV-Moderator Wolfgang Herles. Bei einer Diskussion in Berlin wurde diese These kritisch diskutiert.
Von PRO
Stefan Schulz, Wolfgang Herles, Anne Wizorek, Thomas Leif (Moderator), Katrin Gottschalk und Albrecht von Lucke (v.l.n.r.) debattierten beim Mainzer Mediendisput in Berlin über den Wert des Diskurses in der Demokratie
In Medien und Politik fehlt es an kontroversem Meinungsaustausch. Um diese These ging es auf einer Podiumsdiskussion beim Mainzer Mediendisput in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin. Eine Ursache liegt nach Meinung des ehemaligen ZDF-Journalisten Wolfgang Herles im Versagen des Parlamentes. „Es gibt eine Monotonie des Etablierten, des Mainstreams“, sagte er. Bei den Medien liege eine Ursache in den Schwierigkeiten des Marktes. „Die meisten Tageszeitungen werden populistischer in dem Sinne, dass sie gefallen wollen, sie wollen der Mehrheit ihrer Leser das bieten, von dem sie glauben, dass es gern gelesen wird“, sagte Herles. An diesem Trend beteiligten sich auch die öffentlich-rechtlichen Medien, obwohl diese durch die Gebühren finanziert würden und damit diesem Markt nicht angehören müssten. So komme es, dass in Zeitungen wie der Welt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der Süddeutschen Zeitung „überall das Gleiche drinsteht“. Dies gelte explizit auch für die Kommentarseiten, behauptete der ehemalige Fernsehmoderator, der für seine Thesen schon mehrfach in der Kritik stand. Für Herles spiegelt sich dies auch in der Politik wider, die sich nach seiner Wahrnehmung noch nie zuvor so stark von Umfragewerten habe leiten lassen. Mit Äußerungen in der Flüchtlingspolitik habe sich auch Kanzlerin Merkel populistisch verhalten, indem sie mit Gefühlen Politik gemacht habe. Auch im Fernsehen werde alles der Prämisse unterworfen, es müsse unterhaltsam sein. Herles konstatierte „eine Nachlässigkeit, ein Vergessen, des politischen medialen Auftrages“ der Rundfunkanstalten. Das öffentlich-rechtliche System schaffe es nicht, das eigene Dogma zu diskutieren. Wer an dem Dogma, Marktführer zu bleiben, zweifle, werde ausgesondert. Der gesellschaftliche Auftrag sei nicht die Quote, vielmehr die Organisation des Diskurses. Der eigentliche Skandal sei, dass „die Herzkammer der Demokratie“, das Parlament, nicht mehr funktioniere. Im Bundestag würden die Debatten nicht mehr geführt. „Wir glauben, das, was in einer führenden Talkshow […] gesagt wird, gilt mehr als das, was im Bundestag besprochen wird.“

„Journalisten können mit fremden Lebenswelten nicht umgehen“

Katrin Gottschalk, stellvertretende Chefredakteurin der Tageszeitung taz, konstatierte, dass man in den Redaktionen langsam keine Lust mehr habe über jedes Stöckchen zu springen, die vonseiten der Politik hingehalten würde. „Die Medien merken, in welcher Spirale sie hängen“, sagte Gottschalk. Ihrer Meinung nach finde derzeit ein Umdenken statt. Journalisten fehle „ganz oft die Sprache, über Themen zu berichten, die ihnen bisher fern sind“. Journalisten lernten nicht „diskriminierungsarm zu schreiben oder zu sprechen“ und mit Lebenswelten umzugehen, die mit der eigenen nichts zu tun hätten. Der Publizist und Autor Stefan Schulz wies darauf hin, dass das Bundespresseamt mehr als 400 Personen beschäftige, mehr als die größten Tagezeitungsredaktionen zusammen. „Die stellen die Fragen selbst, an denen sich Merkel orientiert. Es ist ein Trugschluss zu glauben, in der Morgenlage spielen redaktionelle Medien noch eine große Rolle“, sagte Schulz. Heute erreichten Inhalte auf sozialen Medien Reichweiten, die man bei den etablierten Medien überhaupt nicht mehr kenne. „Wir haben einen monothematischen, emotionalen Journalismus“, stelle Schulz fest. Die Medienberaterin und Autorin Anne Wizorek erkannte eine Ursache für den mangelnden Diskurs in der „Verkürzung, die sich etabliert hat“. Dies sei unter anderem erkennbar an den Teilnehmern, die zu den Talkshows eingeladen würden. Die komplexen Themen müssten verständlicher aufbereitet werden. Wizorek wertete die Bemühungen der Kanzlerin die Zugänglichkeit zu Themen zu schaffen, etwa durch YouTube-Interviews, als positiv. Der Politologe Albrecht von Lucke erklärte, dass sie Politik seit etwa zehn Jahren mit einer „Überholung von Krisen“ zu tun habe, die jeweils die Aufmerksamkeit fokussierten. Lucke sieht die Gefahr, dass der Diskurs „völlig gleichgeschaltet“ sei, nicht. Die Politik sei derzeit enorm unter Druck. Von Lucke bemängelte das Fehlen der Opposition im politischen Diskurs gegenüber der geschlossenen Front der Regierungsparteien. An den politischen Rändern hätten unterdessen Populisten enorme Vehemenz entfaltet. In der Flüchtlingsfrage habe sich die Zustimmung „in Gänze“ im Parlament abgebildet. Der einzige Diskurs in dieser Frage habe sich innerhalb der CDU/CSU abgespielt. Der außerparlamentarische Protest habe sich so über die AfD in der Öffentlichkeit entwickelt, die über die Thematisierung der Zuwanderung wieder einen Aufschwung erlebt habe. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/frey-journalismus-braucht-immer-wieder-selbstkritik-96242/
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