Näher zu Gott

Johnny Cash war Country-Star, Junkie, Prediger. Frauenheld und Gospelsänger. Am 12. September 2023 jährt sich der Todestag des „Man in Black“ zum 20. Mal. Uwe Birnstein hat auf der Suche nach der frommen Seite Cashs Erstaunliches entdeckt.
Von PRO

„Er brachte nur eine Requisite mit: das alte Kirchengesangbuch seiner Mutter.“ Für den Fotografen Andy Earl hielt jedes Fotoshooting mit dem kranken Johnny Cash Überraschungen bereit. 1996 fotografierte er dessen alte Hände, die das abgenutzte „Heavenly Hymns Book“ seiner methodistischen Mutter hielten. Kurz vor seinem Tod nahm Cash noch 15 Lieder daraus auf: In seiner brüchigen Stimme schwingen Erinnerungen mit an damals, Ende der 1930er Jahre in Dyess, dem kleinen Ort in Arkansas, einem der Südstaaten der USA.

Familie Cash pflückte Baumwolle. Die Finger bluteten, der Rücken schmerzte. Es wurde etwas leichter, wenn Mutter Cash Gospels anstimmte: „Der Herr gibt mir Kraft, wenn er mir seine Hand aus dem Himmel entgegenstreckt.“ Der Glaube, die ärmlichen Verhältnisse, der Familienzusammenhalt: Sein Leben lang verarbeitete J.R. Cash – so sein offizieller Geburtsname – diese Erfahrungen in seinen Liedern.

Country-Sänger wollte er schon als Kind werden. 1954, nach der Zeit als US-Soldat im bayerischen Landsberg, geht er selbstbewusst ins SUN-Records-Studio in Memphis. Mit seiner tiefen Stimme und seinem smarten Aussehen wird er schnell zum Star. Bald fordert der Ruhm Tribut. Cash wird medikamentenabhängig. Mit der eigenen wöchentlichen TV-Show steigt der Druck; zudem zerbricht seine Ehe.

Cash spürt in einer Höhle Gottes Nähe

1965 will er sich das Leben nehmen; er kriecht in eine finstere Höhle. Doch er stirbt nicht, sondern spürt Gottes Nähe. Plötzlich wird ihm klar: „Ich würde sterben, wann Gott es für richtig hielt, nicht wann ich es wollte!“ Auf wundersame Weise findet Cash zum Ausgang zurück, wo seine Geliebte June ihn besorgt erwartet.

Uwe Birnstein: „Walk on, Johnny Cash!“, Neue Stadt, 160 Seiten, 20 Euro.
Vom Autor des Textes erschien „Walk on, Johnny Cash!“, Neue Stadt, 160 Seiten, 20 Euro

In Entzugskliniken versucht er nun, seine Sucht zu überwinden. Der Glaube an Gott hilft Johnny Cash. Als er in einem baptistischen Gottesdienst Larry Gatlin den Song „Help me“ singen hört, geht er zum Altar, kniet nieder und übergibt sein Leben erneut Jesus. Danach wird er quasi zum Prediger: In Israel dreht er einen Film über Jesus. „The Gospel Road“ floppt jedoch an den Kinokassen.

Cash besucht Bibelkurse und schreibt ein Buch über den Apostel Paulus („The Man in White“). Er liest das Neue Testament für ein Hörbuch ein und geht mit dem damals bekanntesten Prediger der USA, Billy Graham, auf Missionsreisen durch riesige Stadien. Graham und Cash werden enge Freunde.

Mithilfe eines anderen Pastors erfüllt Cash sich einen Wunsch: Er tritt im „Folsom State Prison“ auf, einem der brutalsten Gefängnisse der USA. Im Januar 1968 gibt er dort ein denkwürdiges Konzert. Ein weiteres im „San Quentin State Prison“ folgt. Beide werden aufgenommen, die LPs verkaufen sich Millionen Mal. Es sind Dokumente von atemberaubender Intensität. Als Cash dort seinen Gospel „Peace in the Valley“ singt, wissen die Gefangenen: Diese christliche Hoffnungszusage gilt uns.

Abendmahl mit Cracker und Saft

Seit den 1980ern wird es ruhiger um den Star. Oft muss er in die Klinik und sagt Konzerte ab. Ist er fit, geht er auf Tournee. Dann spricht ihn der Erfolgs-Produzent Rick Rubin an: Ob er nicht nochmal etwas ganz anderes machen wolle. Cash fasst Vertrauen. Er singt seine Lieblingssongs anderer Künstler, komponiert auch neue. Die so entstandene CD bricht alle Rekorde und läutet Cashs Alters-Comeback ein.

Rubin und er werden Freunde. Auch über Glaubensfragen sprechen sie. Rubin staunt: Bislang hielt er Cash für einen streng bibeltreuen Christen. Doch der eröffnet ihm, dass er auch die Gedanken des spirituellen Schriftstellers Khalil Gibran schätzt: Nicht nur eine, sondern alle Religionen verkünden Wahrheiten des Glaubens. Gibran gilt bis heute als Brückenbauer zwischen Christentum, Islam und fernöstlichen Religionen. Eigentlich ein No-Go für Evangelikale.

In den Aufnahmepausen spricht Cash eine Auswahl der Texte aus „The Eye of the Prophet“ als Hörbuch ein. Die Stimme, die sonst biblische Glaubenssätze besingt, trägt nun interreligiöse spirituelle Poesie vor. Seit Mitte der 1960er Jahre habe sein Vater immer ein Buch Gibrans in der Nähe gehabt, berichtet Cashs Sohn John Carter: „Er und meine Mutter verbanden sich auch über dieses Buch und seinen spirituellen Inhalt.“

Vier CDs entstehen, auf denen Cash mit alterswunder Stimme singt. Der Song „Hurt“ wird zum faszinierendsten Hit. „Was ist aus mir geworden, mein liebster Freund?“, fragt der Sänger und sieht sich in der Rolle eines leidenden Gottesknechts, der eine Dornenkrone trägt. Ein Video zu dem Song entsteht. Es zeigt Cash von Krankheit und Alter gezeichnet. Während er vom Schmerz singt, laufen Bilder aus seinem Leben ab, auch die Kreuzigung Jesu ist zu erkennen.

Dann schließt Cash den Klavierdeckel und streicht darüber, als habe er trotz allem seinen Frieden gefunden. Im Frühjahr 2003 erscheint das Video. Einen ersten Preis dafür nimmt June für Cash entgegen. Der sitzt zu Hause mit Rick Rubin vor dem Fernseher. Rubin berichtet Cash von einem christlichen TV-Prediger.

Dieser hatte erzählt, er sei nur durch ein tägliches Abendmahl von einer Krebserkrankung geheilt worden. John möchte es probieren: Mit dem Juden Rubin teilt er Cracker und Traubensaft. Das ist keineswegs als Entwürdigung der heiligen Handlung gemeint. Das Ritual bedeutet ihnen viel und sie wollen es auch am Telefon täglich fortführen.

Gestorben in der Gewissheit, seine Liebsten wiederzusehen

Cashs Körper rebelliert zusehends, eine Parkinson-ähnliche Nervenkrankheit. Dazu schwächt ihn die Trauer um June, die im Juni 2003 stirbt. Doch er singt weiter. Am 21. August nimmt er den letzten Song auf, „Engine 143“. „Nearer my god to thee“ – so lauten die letzten aufgenommenen Worte Johnny Cashs. Am 12. September stirbt er in einer baptistischen Klinik in Nashville – mit der unzähligen Male besungenen Überzeugung: Jenseits des Jordans wird er alle seine Liebsten wiedersehen. June, seine Eltern, und auch seinen geliebten, früh verstorbenen Bruder Jack, den er immer so schmerzlich vermisst hat.

Uwe Birnstein

Der Artikel erschien zuerst in Ausgabe 4/2023 von „PRO – das christliche Medienmagazin“. Sie können das Magazin kostenlos hier bestellen oder online lesen. 

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