„Jesus liebt dich“ zeigt das Scheitern der Evangelikalen

Was passiert, wenn ein Kino einen kritischen Film über Evangelikale zeigt, und anschließend einen "taz"-Redakteur, Kirchenvertreter, Regisseure und einen religionsfeindlichen Filmemacher darüber diskutieren lässt? pro-Autorin Anna Wirth war bei der Aufführung des Films "Jesus liebt dich" und erlebte ein Potpourri der Klischees und Peinlichkeiten.
Von PRO

„Willst du Gottes Armee beitreten? Da gibt es keine Demokratie mehr“, ruft Tilmann Pforr in den Gottesdienstraum. Er ist gefüllt mit Christen aus aller Welt. Die jubeln dem jungen Pastor zu, als sie seine Worte hören, beten gemeinsam, singen Lobpreislieder. Pforr lebt in Bayern. Doch in diesem Sommer ist er im wahrsten Sinne des Wortes mit einer Mission unterwegs. Wir schreiben das Jahr 2006. Es ist Fußball-WM. Millionen Fans reisen nach Deutschland, eine Chance, die der charismatische Pastor nutzen will. Gemeinsam mit Freiwilligen aus aller Welt geht er mit dem Netzwerk „Jugend mit einer Mission“ auf die Straße, um Fußballfans für Gott zu begeistern.

Sind Evangelikale gefährlich für die Gesellschaft?

Der Film „Jesus liebt dich“ dokumentiert die „Mission“ Pforrs und seiner Mitstreiter. Der Film von Lilian Franck, Matthias Luthardt, Michaela Kirst und Robert Cibis feierte bereits auf der letzten Berlinale Premiere. Seit dieser Woche läuft er in verschiedenen Kinos Deutschlands. Zur ersten Vorführung lud die Berliner „Volksbühne“ nicht nur zum Popcorn Knabbern ein, sondern brachte zwei der Regisseure, Vertreter der Kirchen, „taz“-Redakteur Philipp Gessler und den schwulen Filmemacher Rosa von Praunheim zusammen, um im Anschluss die Frage zu stellen: Sind Evangelikale gefährlich für die deutsche Gesellschaft? Doch dazu später mehr.

Zunächst zum Film: „Jesus liebt dich“ erzählt von Christen, die etwas riskieren. Gershom Sikaala etwa. Der Südafrikaner hat die Reise zur WM selbst finanziert. In Deutschland hofft er auf Begegnungen mit andern Christen, vor allem aber will er junge Menschen zum Glauben führen. Oder Cody Mui. Der New Yorker stammt aus einer buddhistisch geprägten Familie. Sein Missionstrip nach Berlin ist eine Premiere. Denn eigentlich schätzt er sich selbst als zu schüchtern ein, um mit Menschen über den Glauben zu sprechen. Und „Jesus liebt dich“ erzählt von Scott Rourke, dem Prototyp des modernen charismatischen Pastors. Auch er stammt aus New York, seine „411 Church“ wurde aus Spendengeldern für „9/11“ errichtet. Er mag Rockmusik und setzt auf Modernität statt traditionelle Kirchenliturgie.

So hätte aus „Jesus liebt dich“ ein netter Streifen über menschliche Zusammenkünfte oder eine sachliche Reflexion missionarischer Tätigkeit werden können. Doch der Film zeigt anderes. Er will aufdecken, aufrütteln und aufklären. Sind Evangelikale gefährlich für die Gesellschaft? Regisseurin Lilian Franck beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja.

Beten? „Erst nach der Nationalhymne.“

Nun wirken die vier Protagonisten in dem 80-Minüter alles andere als Angst einflößend. Die Macher filmen die jungen Christen beim Beten, bei fehlschlagenden Missionsversuchen oder beim Bibelverteilen im Park. Die meisten ihrer Bekehrungsversuche scheitern, wenn sie Bibeln verteilen, landen diese meist im Müll, von den meist angetrunkenen Fußballfans hören sie Sätze wie: „Der Alkohol ist mein Gott!“. Gelegentlich schaffen es die Christen mit einigen WM-Besuchern zu beten, allerdings „erst nach der Nationalhymne“, wie sie von einem jungen Mann aufgefordert werden.

Sikaala muss erleben, dass in Deutschland mit dem Glauben gänzlich anders umgegangen wird als in seiner Heimat Afrika. Als er mit einigen seiner Mitstreiter im Zug Lobpreislieder anstimmt, wird er harsch darauf hingewiesen, dass man das nicht mache. „Seid nicht so intolerant!“, wirft ihm ein Mitfahrer vor. So haben sich wohl auch viele der anderen Missionare ihren Trip anders vorgestellt. Die „Mission“ endet – zumindest im Film – ohne große Erfolge.

Selbst intime Gebetsmomente gefilmt

Erstaunlich ist, dass die jungen Missionare die kritischen Filmemacher ohne Ausnahme am Geschehen bei der WM teilhaben lassen. Selbst intime Gebetsmomente werden aufgezeichnet – und gänzlich ohne Kommentierung widergegeben. Das mag wie eine neutrale Darstellungsweise wirken, doch der Schein trügt. Immer wieder werden die Christen in für sie unangenehmen Situationen gezeigt, etwa wenn der Südafrikaner Sikaala versucht, eine Frau in ein Gespräch über den Glauben zu verwickeln und sich nicht merken kann, wie ihr Heimatland heißt. Bulgarien, von diesem Ort hat er noch niemals zuvor gehört. Eine junge Missionarin verteilt Bibeln im Park und weist junge Leute daraufhin: „Das ist eine neue Bibel, nicht etwa so eine katholische.“

Zu den unkommentiert dokumentierten Situationen zählt auch die Predigt Pforrs, in der er von der „Armee Gottes“ spricht. Ein gefundenes Fressen für die religionskritischen Regisseure. Während Pforr seine Worte spricht, die auch als Werbeslogan für den Film dienen, zeigen sie ein Kind, das mitten in der Menge der Zuhörer mit Plastiksoldaten spielt. Immer wieder fängt die Kamera den Opferkorb ein, der sich während des Gottesdienstes mit immer mehr Geld füllt, schließlich zeigen die Bilder Pforr und einige seiner Mitstreiter, wie sie die Scheine zählen.

Was genau mit dem Geld passiert, wird nicht erwähnt. Wie viel die einzelnen Protagonisten geopfert haben, um bei der WM dabei sein zu können auch nicht. Kein Wort der Erklärung zum christlichen Glauben fällt, und der Film dokumentiert nicht ein Erfolgserlebnis der Missionare. Dabei bekehren sich laut Machern 52.000 Menschen weltweit täglich neu zum „evangelikalen Christentum“. Wer „Jesus liebt dich“ gesehen hat, wird anhand des Films keine Indizien dafür finden. Denn Evangelikale sind fanatisch, intolerant, nicht besonders gebildet und gefährden die Demokratie – so vermittelt es der Streifen.

Evangelikale in der Defensive

Es ist die Metapher der Armee Gottes, die „Jesus liebt dich“ prägt und die Diskussion am Ende des Abends rechtfertigen will. Man mag unterstellen, dass Pforr den Vergleich im Eifer der Predigt hinausrief, ohne tatsächlich zu glauben, er befände sich im Krieg. Für die Filmemacher und nicht zuletzt für Rosa von Praunheim, der 1970 mit dem Dokumentarfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ bekannt wurde, bieten Pforrs Worte ein gefundenes Fressen, auch wenn Petra Bahr, Kulturbeauftragte der EKD, mehrfach betont, dass keinerlei Kriegsanalogien in der Bibel zu finden seien.

Dank Praunheim und nicht zuletzt Dank Diskussionsleiter und „taz“-Redakteur Gessler ist der einzige Evangelikale auf der Bühne, Werner Nachtigal, Pastor in der Pfingstgemeinde „Kirche am Südstern“, von Beginn der Diskussion an in der Defensive. So bittet ihn Gessler etwa als einzigen in der Runde, fünf Fragen mit Ja, Nein oder maximal einem Satz zu beantworten. Darunter etwa „Sind Homosexuelle heilbar?“ oder „Verfügen sie über die Gabe der Heilung?“. Praunheim hingegen wird weit mehr als ein Satz zugestanden, um sich vorzustellen und seine Thesen klar zu machen: „Religion ist Gehirnwäsche und diktatorisch angelegt“, erklärt er, oder auch: „Die Kirche ist archaisch und sexistisch, das sind die meisten Religionen“.

„Jesus wäre kein Evangelikaler gewesen“

Christen dürften sich mehr als peinlich berührt gefühlt haben, wenn sie an diesem Abend etwa Regisseur Robert Cibis lauschten, der betonte: „Jesus wäre kein Evangelikaler gewesen“ oder „Der Gedanke der Mission ist bei den Evangelikalen so stark ausgeprägt, dass sogar der Glaube verbreitet ist, man komme in die Hölle, wenn man nicht missioniert“. Was die Gäste bei dieser Vorführung erleben, gleicht einer bizarren Mischung aus Hexenjagd und Mission. Letztere nämlich scheint das einzige Mittel zu sein, das Nachtigal den fortwährenden Angriffen von allen Seiten entgegenzusetzen hat. Einzig über den Film wird in dieser quälend langen Stunde am Ende des Abends kaum gesprochen. Stattdessen bemühen sich die Teilnehmer geflissentlich, Klischees zu wälzen. Bezeichnend für diesen Abend klingt die Frage eines Zuschauers nach der Diskussionsrunde: „Wer sind eigentlich die Evangelikalen?“ Das klärt „Jesus liebt dich“ nämlich nicht, und auch Diskussionsleiter Gessler verschwendet wenige Worte an eine Begriffserläuterung.

„Der Film soll eine Möglichkeit zum Dialog schaffen“, erklärt Regisseur Cibis dem am Ende des Abends größtenteils entnervten Publikum. Wenn dies tatsächlich das Ziel des Films gewesen sein sollte, so hat er es verfehlt. Im Rückblick wirkt der Abend ebenso tragisch-komisch, wie das Handeln der Missionare in „Jesus liebt dich“. (PRO)

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