Der in Annaberg-Buchholz lebende Künstler Glenn West hat ein Projekt zur Fußballweltmeisterschaft in Brasilien gestartet: Er formt Kruzifixe aus Kunstharz, bemalt und lackiert sie mit Hand. Der gekreuzigte Jesus trägt jeweils die Heimtrikots der 32 teilnehmenden Nationen. Für 80 Euro pro Stück verkauft er den Wandschmuck. Derzeit ist der aus England stammende West auf der Suche nach Galerien, die seine speziellen Kunstwerke ausstellen. Interessenten gebe es bereits.
Auf seiner Internetseite zitiert West den Philosophen Karl Marx, der einst sagte „Religion ist Opium für das Volk“. Der Künstler glaubt, „dass Fußball ein aktuelles Opiat darstellt“. Seine „Fußball-Jesus“-Figuren vereinten beide Philosophien in einem Bild. Das Kruzifix sei seit Jahrhunderten Gegenstand vieler Künstler, etwa Francis Bacon, Marc Chagall oder Salvador Dali. West sagt: „Jeder hat es in seiner eigenen Art und Weise interpretiert. Diese Figuren sind mein Beitrag dazu.“
pro: Herr West, was haben Fußball und Jesus gemeinsam?
Glenn West: In England gehen viel mehr Menschen am Wochenende Fussball schauen als in die Kirche. Zwischen Fußball und Kirche gibt es viele Parallelen: Die Treffen sind oft am Wochenende, bei beidem werden Lieder gesungen, es gibt Ikonen oder Idole und eine Art Lobpreis. Ich bringe diese beiden Aspekte in den Kruzifixen mit Fußball-Trikots in einem Kunstobjekt zusammen. Das ist für mich die beste Art der Kunst. Hier haben wir Kunst, Fußball und Kirche in einer Skulptur. Das ist für mich ein gutes Kunstwerk.Jetzt haben Sie erklärt, was Fußball und Kirche gemein haben. Das Kruzifix zeigt aber den gekreuzigten Jesus. Er ist Sinnbild für das Opfer Christi und für sein Leiden. Ihr Jesus trägt Fußball-Trikots. Das kann als blasphemisch wahrgenommen werden. Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, es ist keine Blasphemie, es ist nur eine moderne Version von Jesus. In anderen Epochen trägt Jesus in Kunstwerken Kleidung aus jener Zeit. Ich verstehe aber auch die Kritiker. Natürlich ist es ein schlimmes Symbol – es ist ein Mann an einem Kreuz mit Nägeln in den Händen, die bluten. Es gibt aber viele unterschiedliche Versionen dieses Symbols. Damit arbeite ich. Hier geht es nicht um das Leiden, auch wenn Jesus natürlich als Symbol für das Christentum gilt. Der Fußball-Jesus ist weniger ein leidender Jesus, als ein gesunder, muskulöser Fußball-Jesus. Der Jesus an diesen Kruzifixen ist sportlich, er hat einen Teint, er sieht gesund aus. Ich wollte ihn eher als einen Fußballer darstellen. Es weiß sowieso niemand, wie der echte Jesus aussah. Auf vielen Gemälden hat er lange Haare, weiße Haut, eine Dornenkrone. Ich möchte sage: Es gibt nicht das eine Kruzifix-Bild. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen des Kruzifix. Jeder Künstler bringt seine eigene Version davon.Bei Ihnen geht es also nicht so sehr um den Jesus der Christen, sondern um ein Verkaufsobjekt? Sie haben bereits in den 1990er Jahren Kruzifixe aus Gips mit Trikots von Manchester United oder Liverpool hergestellt. Aus welcher Motivation heraus sind die aktuellen Kruzifixe entstanden?
Dieses Jahr haben wir die Weltmeisterschaft in Brasilien. In Rio gibt es diese schöne Jesus-Statue. Ich dachte mir, dass es ein gutes Jahr ist für diese Kunst und eine neue Ausstellung mit den WM-Ländern. Der andere feine Aspekt ist: Ein richtiger Fußballfan sammelt alles: Tassen, Bettwäsche, Autoaufkleber – aber er hat kein Kruzifix mit den Teamfarben seiner Lieblingsmannschaft. Diese Kruzifixe sind etwas für einen religiösen Fussballfan. Ein anderer Punkt ist: In der Kunst gibt es Skulpturen, Ölbilder, die Jesu Kreuzigung darstellen. Viele Künstler haben in ihrem Leben ein religiöses Bild oder eine Skulptur geschaffen – etwa Picasso oder Dalí.Wie weit darf Kunst gehen?
Deutschland ist ein säkularer Staat, wir haben Meinungs- und Religionsfreiheit. Wenn du als Künstler versuchst, die Einstellungen oder Ansichten aller zu berücksichtigen, bleibt nichts. Dann kannst du keine Kunst machen. Ich persönlich habe Respekt gegenüber Religion. Ich würde sie niemals beleidigen. In der Vergangenheit gab es ein Kunstwerk eines amerikanischen Künstlers, das „Piss Christ“ hieß – entschuldigen Sie, dass ich das hier sage. Es zeigte ein Kruzifix in einem Glas, gefüllt mit dem Urin des Künstlers. Er wollte schockieren. In meiner Kunst geht es nicht darum, Menschen zu schockieren. Das verabscheue ich. Ich möchte Menschen zu etwas Schönem bewegen. Sie sollen etwas Schönes oder eine intelligente Idee sehen. Meine Kunst soll respektvoll sein. Ich versuche nicht, die Aufmerksamkeit durch Negatives zu bekommen.Sind Sie selbst gläubig?
Ich bin spirituell, weniger religiös. Ich würde mich nicht als Christ bezeichnen. Ich glaube nicht an den Mann mit dem weißen Bart, der in den Wolken sitzt. Ich glaube, dass das Leben nach dem Tod nicht vorbei ist. Ich glaube, es gibt etwas, von dem wir nicht wissen, dass es existiert. Aber ich bin kein großer Fan von organisierter Religion. Ich gehe nicht jede Woche in die Kirche. Ich liebe aber die Kunst und die Architektur, die organisierte Religion hervorgebracht hat. Es gäbe nicht viel Kunst, wenn es keine Religion gäbe. Michelangelo, Da Vinci, Raphael – deren Großkunde war die Katholische Kirche.Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martina Schubert. (pro)