Jesuitenpater: „‚Letzte Generation‘ macht Topjob“

Der Jesuitenpater Jörg Alt beteiligt sich für den Erhalt der Schöpfung an Aktionen zivilen Ungehorsams. Die Aktionen und Blockaden der Letzten Generation begrüßt der engagierte Ordenspriester.
Von Norbert Schäfer
Jörg Alt

Jörg Alt hat durch die Beteiligung an Aktionen der „Letzten Generation“, „Extinction Rebellion“ und „Scientist Rebellion“ mediale Bekanntheit erlangt. Verschiedene Aktionen zivilen Ungehorsams und Widerstands haben dem Ordenspriester Strafermittlungsverfahren beschert. Das Amtsgericht München verurteilte Alt im Mai 2023 in erster Instanz mit zwei weiteren Aktivisten aufgrund einer Straßenblockade vor dem bayerischen Justizministerium wegen Nötigung zu Geldstrafen.

Der 61-jährige Jesuitenpater setzt sich ein für den Erhalt der Umwelt und des Klimas durch eine sozialökologische Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft. Seit März 2022 arbeitet Alt im Nürnberger „Ukamazentrum“ – „Ukama“ entstammt der Shona-Sprache und beschreibt die Beziehung zwischen der gegenwärtigen und den zukünftigen Generationen sowie den Ahnen – der Jesuiten für die sozial-ökologische Transformation.

PRO: Herr Alt, warum ist ein Institut für sozial-ökologische Transformation notwendig in einer Einrichtung wie den Jesuiten, die mit der Schöpfung spirituell innig verbunden ist?

Jörg Alt: Nun ja, auch Jesuiten machen Lernprozesse durch. Natürlich wussten wir über unsere Projektpartner im globalen Süden, dass mit dem Klimawandel ein Problem auf uns zukommt. Aber so richtig verstanden haben auch wir die Dramatik der Situation erst durch die Proteste der „Fridays for Future“ oder den Hungerstreik der „Letzten Generation“. Da hat unser Orden gesagt hat: Wahrscheinlich geht es vielen in der Gesellschaft ähnlich und wir müssen unseren Beitrag leisten, dass aus dem Wissen ein Verstehen wird, und aus dem Verstehen das Handeln. Also ein gut katholischer Dreischritt: Sehen, Urteilen, Handeln.

Es mangelt nicht an Wissen über die Probleme, sondern an der Bereitschaft, zu handeln. Mit dem „Ukamazentrum“ wollen wir noch gezielter versuchen, Wissen zu verbreiten, Handelnde zu vernetzen und entsprechende Spiritualität – oder Geisteshaltung – angesichts der Klimakatastrophe zu entwickeln, um mit den Herausforderungen klarzukommen, die hier auf uns zukommen.

Sie sagen „Sehen, Urteilen, Handeln“ sei gut katholisch und engagieren sich bei der „Letzten Generation“ unter der Trias „Sehen, Beurteilen und Stören“ …

Also, ich muss nochmal betonen, dass ich kein Mitglied der „Letzten Generation“ bin. Ich bin Jesuit und Ordenspriester und habe aufgrund der „Fridays for Future“, die mit einem Akt des zivilen Ungehorsams begonnen haben – dem Schulstreik – diese Aktionsform kennengelernt und mich als Sozialethiker damit beschäftigt. Wenn man sich als Sozialethiker mit zivilem Ungehorsam und zivilem Widerstand beschäftigt, steht natürlich irgendwann die Frage im Raum: Kann man sich nur intellektuell damit beschäftigen oder muss man dann auch konsequent sein und mitmachen, wenn der Anlass es nahelegt und rechtfertigt? Und insofern unterstütze ich diese Initiativen, die es gibt. Ich habe mit den „Fridays“ demonstriert und mit „Extinction Rebellion“ und „Scientists Rebellion“ blockiert. Meine erste Verurteilung als Straftäter ist ja aufgrund einer Blockade entstanden, die ich in München mit Wissenschaftlern von „Scientists Rebellion“ gemacht habe.

Extinction Rebellion

Extinction Rebellion (dt.: Rebellion gegen das Aussterben) ist eine radikale Umweltschutzbewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, durch zivilen Ungehorsam Maßnahmen gegen das Massenaussterben von Tieren, Pflanzen und Lebensräumen sowie das mögliche Aussterben der Menschheit als Folge der Klimakrise durchzusetzen.

Scientists Rebellion

Scientists Rebellion (dt.: Rebellion der Wissenschaftler) ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern, das sich mit Mitteln des zivilen Ungehorsams für stärkere Maßnahmen gegen Erderwärmung und Artensterben einsetzt.


Wo ist nach Ihrem Empfinden eine rote Linie für den Protest, für Blockade, für die Behinderung des öffentlichen Lebens im Kampf gegen den Klimawandel gesetzt?

Das ist für alle der von mir genannten Gruppen eindeutig die Frage von Gewaltlosigkeit. An dieses Kriterium halten sich alle akribisch. Vor der Zulassung zu diesen Protestformen gibt es interne Aktionstrainings, wo Menschen rechtlich, psychologisch und praktisch über die Implikationen aufgeklärt werden und lernen, wie sie mit Aggressionen oder Drohungen umgehen. Es ist jedem, der in einer Blockade auf der Straße sitzt, nicht einmal erlaubt, sich selbst zu verteidigen, wenn er angegriffen wird. Was uns erlaubt ist, ist ,unseren Körper zu schützen.

Es ist nach Ihrem Empfinden in Ordnung, wenn sie mit ihren Aktionen Aggression und Gewalt bei ihrem Gegenüber induzieren?

Die ganze Idee von zivilem Widerstand beruht nicht darauf, einen Beliebtheitswettbewerb in der Gesellschaft zu gewinnen, sondern auf Missstände so hinzuweisen, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Das Problem ist, dass die Wissenschaft in immer schrilleren Tönen vor der Klimakatastrophe warnt, die Gesellschaft aber lieber auf Wirtschaft und Politik hört, die ihr wiederum klarmacht: „Alles nicht so schlimm, haben wir im Griff.“ Das stimmt einfach nicht und deswegen müssen wir so protestieren, dass wir nicht ignoriert werden, um klarzumachen: So wie der Klimawandel später für Disruptionen sorgt, so versuchen wir jetzt schon, diese Störungen vorwegzunehmen.

„Demonstrationen, Petition und offene Briefe schreiben, das haben wir 40 Jahre lang gemacht und es hat nichts geholfen.“

Für mich war ein Durchbruch in meiner eigenen Beschäftigung mit dem Thema der Zuspruch aus dem globalen Süden. Der Klimawandel im globalen Süden stellt Disruption dar. Es werden Straßen überflutet, es stürzen Bäume um, der Strom fällt aus. Unsere Projektpartner im globalen Süden sagen: „Schön, dass ihr mit dieser Protestform auch die Menschen im globalen Norden zwingt, innezuhalten und über dieses Problem nachzudenken. Denn euch wird es auch erwischen.“ Jetzt haben wir noch die Chance, das Ganze irgendwie abzumildern, abzuschwächen. Und diese Chance müssen wir nutzen. Und wenn es wirklich nur mit dieser Protestform geht – und uns fällt nichts Besseres ein – dann sind wir ethisch-moralisch verpflichtet, diese Protestform anzuwenden.

Jeder, der über diese Protestform meckert, soll uns was Besseres sagen, was besser funktioniert, oder gleich gut, und was nicht schon 40 Jahre lang vergeblich angewendet wurde. Demonstrationen, Petition und offene Briefe schreiben, das haben wir 40 Jahre lang gemacht und es hat nichts geholfen. Aber seitdem wir diese Proteste haben, diskutiert die Gesellschaft erbittert – nicht nur über die Proteste, sondern auch über die Motivation dazu. Und ich glaube, das ist ein ganz großer Erfolg.

Was würden Sie an Aktionen der „Letzten Generation“ selber auch kritisieren?

Nichts! Die machen alles richtig.

Die machen alles richtig?

Ja. Unter den gegebenen, beschissenen Umständen leisten die einen genialen Topjob.

Was halten Sie von dem Ansatz, statt Protest mehr beim Konsum anzusetzen?

Das ist der von der fossilen Industrie gesponserte Versuch, das Problem zu individualisieren. Das Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“ hat beispielsweise BP erfunden und in die Diskussion gebracht. Das reicht aber nicht! Selbst wenn wir alle Veganer werden, nicht mehr fliegen, nicht mehr autofahren, können wir nur 20 Prozent unseres ökologischen Fußabdrucks verringern.

Aber die großen Stellschrauben sind unsere Industrie, Verwaltung, Infrastruktur und Bundeswehr. Da müssen wir ran. Man merkt es ja auch, dass diese Appelle wie „Fahrt freiwillig 100“ einfach nicht funktionieren, weil der Verkehr auf der Straße dermaßen chaotisch ist, dass eben derjenige, der versucht, dann verantwortungsbewusst zu handeln, der Dumme ist. Über den individuellen Konsum verändern wir gar nichts.

Was denken Sie, würde Jesus heute tun, wenn er hier wäre und Kenntnis von den aktuellen Forschungsergebnissen hätte?

Also man darf ja nicht vergessen, dass auch Jesus Gesetze gebrochen hat, wenn er am Sabbat geheilt hat. Und, dass Jesus auf drastische Zeichenhandlungen gesetzt hat, die zu seiner Zeit nur Kopfschütteln verursacht haben. Ich bin mir relativ sicher, dass er bei der Austreibung der Händler aus dem Tempel die Geißel nicht in der Luft gewedelt hat, sondern auch zugeschlagen hat. Jesus konnte schon drastisch werden, wenn das Wohl des Menschen aus seiner Sicht gefährdet war oder wenn der Mensch eben Götzen angebetet hat statt Gott.

Wenn man das auf heute überträgt, bin ich mir durchaus sicher, dass Jesus auch heute zweigleisig fahren würde: Er würde versuchen, mit der Kraft des Wortes, der Gleichnisse, der Analogien, der Predigt, Bewusstsein zu bilden. Aber er hätte auch Zeichen gesetzt. Ich glaube durchaus, dass Jesus auch auf der Straße geklebt hätte.

Sie sind der Überzeugung, Jesus hätte sich mit Kunstharz auf den Asphalt geklebt?

Das wäre auf keinen Fall ein so schlimmer Gesetzesbruch wie damals die Heilung an einem Sabbat.

„Ich glaube durchaus, dass Jesus auch auf der Straße geklebt hätte.“

Hat die Klimabewegung mitunter nicht auch religiöse Züge? Das 1,5-Grad-Ziel zum Beispiel ist unantastbar – ein Sakrileg.

Also erst einmal ist das 1,5-Grad-Ziel nicht willkürlich gewählt, sondern es ist vom wissenschaftlichen Konsens der besten Experten mitgetragen. Und es gab selten in der Menschheit einen wissenschaftlichen Konsens, der so umfassend gewesen ist wie die Klimafolgenforschung, die gesagt hat, was passiert, wenn die Erde 1,5 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter liegt. Das ist ja alles bekannt. Das ist keine Meinung, sondern es sind harte Fakten. Und deswegen ist die Klimabewegung durchaus nicht vergleichbar mit anderen ideologischen Protestbewegungen wie Corona-Leugnern oder Migrationsfeinden oder Rassisten, denn die können sich eben nicht auf Wissenschaft stützen, sondern das ist pure Ideologie und pure Willkür. Das gilt es, auf jeden Fall zu unterscheiden. Also im Prinzip ist die Klimabewegung eine hochwissenschaftliche, hochintellektuelle Bewegung, die nur eines möchte, nämlich: Dass man auf die Wissenschaft hört und nicht auf Interessengruppen oder Lobbyisten.

Denken Sie, dass eine „Bottom-Up“ Bewegung wie die „Letzte Generation“ erfolgreich sein kann?

Das ist ja das Schöne an der Bewegung des zivilen Ungehorsams, dass es ohne dieses Bocken und Blocken von kleinen Minderheiten weder zur Sklavenbefreiung noch zum Frauenwahlrecht, noch zur Sozialgesetzgebung, noch zu den kolonialen Unabhängigkeitsbewegungen oder zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gekommen wäre. Also, dass kleine nervigen Minderheiten eine Gesellschaft auf einen anderen Kurs bringen können, ist in der Geschichte sehr gut belegt.

Denken Sie, dass wir uns zum Erreichen der Klimaziele von unserem Wohlstand verabschieden müssen?

Das ist ein ziemlicher Unfug. Das, was wir für Wohlstand halten, ist das, was wir 40 Jahre lang als Wohlstand eingeredet bekommen haben. Wenn man die Menschen fragt: „Was ist dir wichtig im Leben?“, dann kommen nicht „mein Auto“, „mein Urlaub“ und „mein Bankkonto“, sondern „meine Familie“, „meine Stadt“, „meine Straße“, „meine Gesundheit“ als Antwort. Das sind die eigentlichen Wohlstands-Assets, die es zu verteidigen gilt. Und genau die sind gefährdet, weil wir viel zu viel auf die anderen achten und schielen. Es geht hier nicht um einen Wohlstandsverlust, sondern es geht einfach darum, dass wir das, was wir als wertvoll erachten, auch verteidigen gegen alle Angriffe und Bedrohungen.

Das große Problem ist, dass bei den Menschen Dinge so fest im Kopf sind, die der Neoliberalismus uns 40 Jahre lang durch Werbung und Manipulation eingepflanzt hat. Dass wir einfach vergessen haben, was wirklich wichtig ist und was anders sein könnte und anders sein müsste. Und da ist natürlich jetzt der Klimawandel wahrscheinlich das letzte Warn-Signal, wo wir diese Kurve noch kriegen können. Denn sonst, das merken wir jetzt schon, wo Spanien kurz vor einem Verlust der Ernte steht und auch in Italien zunehmend Ernteverluste eintreten: Es geht ums Überleben. Und zwar eben nicht nur in Afrika, sondern das sind die Dinge, die auch auf uns zukommen. Wenn wir das nicht verstehen, dann möchte ich zu denen gehören, die in zehn Jahren sagen: Ich habe es versucht.

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Wie bewerten Sie Ansinnen, wie etwa die „Letzte Generation“ vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen?

Ich finde es einfach nur absurd, dass der Staat Reichsbürger und Neonazis an der langen Leine lässt, dann aber, wenn da einige Leute sich dem Auto in den Weg setzen, auf einmal seine schärfsten Waffen ausgereift. Das ist unverhältnismäßig. Es zeigt, dass diese Menschen den Nerv getroffen haben, da die Politik als nackter Kaiser entlarvt wird. Denn nur dann kommt ein solcher Reflex, der sagt: Lieber sperren wir die Leute weg, als dass wir uns ihren Argumenten aussetzen. Dass Menschen, die wirklich aus Idealismus auf eine Karriere, auf ihr Bankkonto, auf ihr gutes Führungszeugnis verzichten, dann noch kriminalisiert oder ins Gefängnis gesperrt werden sollen, finde ich unsäglich.

Da stehe ich gerne auf deren Seite und wenn ich ins Gefängnis gehen soll, dann freue ich mich drauf. Denn uns wird es in zehn Jahren sicherlich besser gehen als all jenen, die uns heute bekämpfen. Gandhi ist ein ganz großes Vorbild für uns. Er hat die Abfolge von solchen zivilen Protestbewegungen vorhergesehen, indem er gesagt hat: Zuerst ignorieren sie dich, dann belächeln sie dich, dann bekämpfen sie dich und am Ende gewinnst du. Und aktuell sind wir in der dritten Phase angekommen. Und jetzt hoffen wir auch, dass wir die vierte noch schaffen.

Danke für das Gespräch.

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