Filmkritik

Jauchzen! Frohlocken!

Wie das berühmte Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach entstanden sein könnte, davon erzählt ein neuer Fernsehfilm. Er legt den Fokus dabei auf das Familienleben Bachs und macht deutlich, dass es dem Komponisten um mehr ging als schöne Musik.
Von Jonathan Steinert
„Bach - Ein Weihnachtswunder“, Devid Striesow als Bach

Wer die Zeit vor Weihnachten als stressig empfindet, kann sich trösten: Es geht auch anderen so. Womöglich auch Johann Sebastian Bach und seiner Familie. Dezember 1734, es sind noch drei Tage bis Weihnachten: Der Kantor an der Thomaskirche in Leipzig schreibt Tag und Nacht an einem Weihnachtsoratorium, aber die Noten sind immer noch nicht fertig. Ein Organist fragt ungeduldig, welche Lieder denn nun zu den Weihnachtsgottesdiensten in den vier Hauptkirchen der Stadt gesungen werden. Bach nur: „Morgen fangen wir an zu proben.“

Doch ob Bach das Weihnachtsoratorium überhaupt aufführen darf, ist auch einen Tag vor dem Weihnachtsfest noch nicht sicher. Denn Stadtrat Christian Stieglitz verlangt von Bach, keine „opernhaften Oratorien“ mehr zu schreiben. Die „Matthäuspassion“, in der Bach die Passionsgeschichte entlang des biblischen Berichts anschaulich musikalisch nacherzählt, war nicht nur aufgrund ihrer Länge von drei Stunden eine Zumutung für die damaligen Hörer. Auch die Musik und die Form des Werkes waren revolutionär. Als der Stadtrat erfährt, dass das Weihnachtsoratorium Musik für ganze sechs Gottesdienste umfassen soll, wird es ihm zu viel.

Und damit nicht genug des Stresses: Denn bei Bachs zu Hause ist von friedlicher Weihnachtsstimmung auch wenig zu spüren. Geschweige denn, dass schon jemand einen Baum für das Fest organisiert hätte.

Die Musik entsteht in der Familie

Unter welchen Umständen das „Weihnachtsoratorium“ entstanden ist, die wohl bekannteste Musik zu diesem Fest, darüber weiß die Musikwissenschaft kaum etwas. Auch zum Familienleben und zur Persönlichkeit Bachs sind nur wenige Informationen überliefert. Wie es sich zugetragen haben könnte, das erzählt der fiktionale Film „Bach – ein Weihnachtswunder“. Die Koproduktion, an der unter anderem ARD und ORF beteiligt sind, stellt die Familie des Komponisten ins Zentrum und Bach mitten hinein in vielschichtige Spannungsfelder.

Die Figuren und Umstände sind dabei historisch, die Geschichte selbst fiktiv. „Bachs Musik entsteht nicht in der Abgeschiedenheit des Arbeitszimmers eines Genies, sondern sprichwörtlich zwischen der Küche und den Schlafräumen der Kinder. Sie findet ihre Mitte im täglichen Leben eines Familienvaters“, erklären die Produzenten Ernst Ludwig Ganzert und Mario Krebs. Das zu zeigen gelingt dem Film und seinen Darstellern wunderbar anschaulich, auch durch die ausgeprägten Charaktere der Figuren.

Da ist der selbstbewusste, zielstrebige, und manchmal aufbrausende Bach, überzeugend gespielt von Devid Striesow; daneben seine zweite Frau Anna Magdalena (ebenfalls stark: Verena Altenberger), die die Patchwork-Familie versucht zusammenzuhalten, eine bewunderte Sängerin, die ihren Mann nach Kräften unterstützt, ihn sogar vor dem Stadtrat verteidigt, aber sichtlich erschöpft ist – sieben ihrer Kinder mit Johann Sebastian sind in den vergangenen sieben Jahren gestorben, und nun ist sie wieder schwanger.

Bach - Ein Weihnachtswunder Foto: ARD Degeto Film/MDR/BR/ORF/EIKON Media/epo Film/Ricardo Gstrein
Die ganze Familie Bach arbeitet kurz vor dem Festtag auf Hochtouren: Emanuel (Ludwig Simon) und seine Stiefmutter, Bachs zweite Frau Anna Magdalena (Verena Altenberger)

Ihr zehnjähriger Sohn Gottfried ist ein schwieriges Kind, Tochter Elisabeth ein Sonnenschein. Die zwei erwachsenen Söhne Johann Sebastians aus dessen erster Ehe Friedemann (Dominic Marcus Singer) und Emanuel (Ludwig Simon, Striesows Sohn) kommen zu Weihnachten nach Hause; ihre Beziehung zueinander ist vor allem vom unterschiedlichen Verhältnis der Brüder zum Vater geprägt. Genug Stoff also für Konflikte, die auch nicht ausbleiben.

Doch wenn es um die Musik Johann Sebastians geht, hält die Familie zusammen. Alle gemeinsam sitzen sie um den Tisch und schreiben die Noten aufs Papier, die der Vater am Cembalo komponiert und diktiert. Die Söhne, selbst Musiker, setzen die Chorstimmen und leiten Proben, Anna Magdalena probt mit ihrem Mann Arien. Im ganzen Haus hängen die Notenblätter auf Wäscheleinen, damit die Tinte trocknen kann. Es ist anrührend, diesem beflissenen Treiben im Film zuzuschauen.

Für den himmlischen Herrscher

Am Weihnachtstag fehlt immer noch der Eingangschor. „Nach vier Wochen Adventszeit, nach vier Wochen Stille und dann: Der Heiland ist geboren, eine neue Zeit bricht an“, sinniert Bach. Sohn Emanuel stimmt daraufhin den Beginn einer weltlichen Kantate an, die Bach für die sächsische Kurfürstin Maria Josepha geschrieben hatte. „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“

Es ist der vorweggenommene Höhepunkt des Films, wie Bach mit seinen Söhnen und dem Texter Christian Henrici auf die Idee für den berühmten Eingangschor des Weihnachtsoratoriums kommen. An dem Punkt verdichten sich die emotionale und geistige Nähe der Figuren ebenso wie das Herzensanliegen des Komponisten. Bach nimmt die Musik für einen weltlichen Herrscher und widmet sie mit neuem Text dem himmlischen Herrscher. „Vielleicht war sie von Anfang an dafür bestimmt“, lässt Drehbuchautor Christian Schnalke Bach sagen.

Der Film macht deutlich, dass es Bach um mehr ging als um die Musik selbst oder gar um seine Person. Gegenüber den Herren der Stadt und der Kirche betont er, seine Kantaten seien „durchdrungen von tiefstem Glauben. Sie entspringen dem Glauben, sie überbringen den Glauben. Und sie erwecken den Glauben.“

Die Geistlichen argumentieren gegen Bach: Nur die Theologen dürften den Glauben überbringen. Die Musik Bachs lenke vom Inhalt ab, sei eitel und sündig. Doch Bach erwidert, mit den Worten würden die Geistlichen nichts bewirken. Die vielkritisierte „Matthäuspassion“ habe die Menschen verwirrt, aber eben auch ihr Herz für Gottes Wort geöffnet. Der Kapellmeister vom kurfürstlichen Hofe in Dresden ermutigt Bach in einer anderen Szene, es sei weise, dass er für Gott komponiere. Der wisse es zu würdigen.

Fast ohne Kitsch

Welche Rolle der Glaube auch unabhängig von der Musik in Bachs Leben gespielt hat, vertieft der Film nicht. Er erhebt auch nicht den Anspruch, ein Lebensbild des Komponisten zu sein. Er will sich dem Menschen hinter dem Meister der Musik annähern. Der Fokus auf die Familie ist dabei klug gewählt, weil sowohl zahlreiche von Bachs Vorfahren und Verwandten als auch mehrere seiner Kinder Musiker waren und sich teilweise ebenfalls große Namen gemacht haben.

Obwohl die Kombination aus Familie, Weihnachten und Musik dazu verführt, kommt „Bach – ein Weihnachtswunder“ weitestgehend ohne Kitsch aus. Nur an einer Stelle gibt der Film dieser Versuchung nach, als die ganze Familie mehrstimmig einen Choral aus dem Weihnachtsoratorium singt und den Stadtrat umzustimmen versucht.

Etwas unstimmig wirkt eine Szene, in der Bach seinen etwas einfältigen Sohn Gottfried wegschickt, weil der vor sich hin summt. In einem Haus, wo fast immer und überall Musik war, würde sich Bach wohl kaum vom Summen eines Kindes beim Komponieren gestört fühlen.

Ein wenig irritiert zudem, dass Bachs Frau und sein Sohn Friedemann erkennbar einen österreichischen Einschlag in ihrer Sprache haben. Das ist zwar sympathisch, aber mag nicht recht zu einer Familie passen, die fast nur in Thüringen und Sachsen lebte. Der Film „Louis van Beethoven“, den ebenfalls Ernst Ludwig Ganzert als Produzent verantwortete, berücksichtigte dieses sprachliche Detail: Dort hatte der junge Beethoven aus Bonn einen rheinischen Zungenschlag und sein Lehrer Christian Neefe aus Chemnitz einen sächsischen.

Das „Weihnachtsoratorium“

Das „Weihnachtsoratorium“ von Johann Sebastian Bach umfasst insgesamt sechs Kantaten für Chor, Orchester und Gesangssolisten. Er schrieb sie als Kantor an der Leipziger Thomaskirche für die damals noch üblichen drei Weihnachtsfeiertage, den Sonntag nach Weihnachten, Neujahr und Epiphanias. 1734/35 wurde das zyklische Werk erstmals aufgeführt. Bach erzählt in den Kantaten die verschiedenen Aspekte der Weihnachtsgeschichte nach und vertieft sie inhaltlich in den Arien und Chorälen. Musikalisch greift er dabei zum Teil auf Stücke zurück, die er zu anderen, weltlichen Anlässen komponiert hatte, und versieht sie mit neuen Texten. Gedacht war die Musik für den Gottesdienst. Heute werden häufig mehrere Kantaten des „Weihnachtsoratoriums“ am Stück in Konzerten aufgeführt.

Dennoch ist „Bach – ein Weihnachtswunder“ ein sehr sehenswerter, warmherziger Film, der nah an seinen Figuren ist. Gespickt ist er mit einigen humorvollen Akzenten und getragenen von einer Grundspannung aus den zahlreichen Konflikt-Konstellationen und dem Zeitdruck bis Weihnachten.

Warum genau nun Weihnachten gefeiert wird, spielt für den Film keine größere Rolle. Aber wenn am Ende der Eingangschor des Oratoriums erklingt – mit den markanten Paukenschlägen und der ebenso markanten, einstimmigen Aufforderung des Chores „Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage! Lasst das Zagen, verbannet das Klagen!“ –, dann bleibt diese Frage im Raum: Ja, warum eigentlich? Die Umstände damals boten wohl ebenso wenig Grund dafür wie die heutigen. Genau darin liegt das Wunder von Weihnachten: Das Jauchzen und Frohlocken über den Heiland ist nicht von den äußeren Umständen abhängig.

„Bach – ein Weihnachtswunder“ ist ab 13. Dezember in der ARD-Mediathek zu sehen und wird am 18. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Die Zukunftswerkstatt der Kirche und Diakonie „midi“ hat für den Film Begleitmaterial entwickelt, die sich dafür eignen, den Film in einer Gruppe anzuschauen und darüber zu sprechen.

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