Jacqueline und Evariste – die Überlebende und der „Peace Champion“

Vor 30 Jahren wurden hunderttausende Menschen in Burundi ermordet. Das Leid dauert bis heute an. Doch es gibt Hilfe, berichtet Uwe Heimowski.
Von PRO

„Sie kamen einfach und töteten meinen Vater. Auch mich haben sie schwer verletzt.“ Es ist schon für den Zuhörer schwer zu ertragen, wenn Jacqueline ihre Geschichte erzählt, was muss es in ihr selber auslösen? Jacqueline ist eine Überlebende des Völkermordes von 1994 und lebt in Burundi. Ein vergessenes Land in diesem Zusammenhang. Wenn, dann ist uns eher Ruanda gegenwärtig. Über den Genozid in Burundi wissen wir wenig, dabei war das Nachbarland Ruandas nicht weniger betroffen, hatte aber weniger internationale Unterstützung dabei, die Verbrechen aufzuarbeiten.

Im Februar hatte ich in Burundi die Gelegenheit, mit „Survivors“ zu sprechen, Überlebenden, wie sich selber nennen. Das Wort „Opfer“ vermeiden sie, – und mit „Peace Champions“, die die traumatisierten Menschen begleiten.

Jacqueline war 14 Jahre alt, als die mordenden Banden in ihr Dorf einfielen. Der Konflikt zwischen den sogenannten Hutu und Tutsi – von den deutschen und belgischen Kolonialherren eingeführte rassistische Kategorien – schwelte seit Jahrzehnten, nun eskalierte es. Mit Macheten bewaffnet drangen Männer willkürlich in die Häuser ein. Wild schlugen sie auf die Menschen ein und töteten wahllos. Im Blutrausch fielen alle Hemmungen. Frauen und Mädchen wurden brutal vergewaltigt und verstümmelt. Mehrere hunderttausend Menschen wurden allein in Burundi zu Opfern des Völkermordes.

Das ist mehr als dreißig Jahre her. Doch die bittere Realität ist: Was Jacqueline damals erleiden musste, erleben derzeit wieder Millionen Frauen, Kinder und Männer im Sudan und anderen Kriegsgebieten dieser Erde. Doch während wir den Fernseher wieder ausschalten können, müssen Menschen wie Jacqueline mit ihrem Trauma weiterleben – und häufig ist ihr Leidensweg damit noch nicht zu Ende.

Für Jaqueline bedeutete das in den darauffolgenden Jahren: Flucht aus dem eigenen Land, verstoßen werden vom eigenen Ehemann, allein für drei Kinder verantwortlich sein, extreme Hungerperioden meistern – und all das mit einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung.

Wie „Peace Champions“ helfen

Wie soll ein Mensch das ertragen? Wie sollen Kinder mit einer solchen Geschichte die Kraft haben, nicht nur das eigene Leben zu meistern, sondern ihre eigenen Kinder zu erziehen, und mehr noch: ein gespaltenes, zerstörtes Land friedlich neu aufzubauen?

In Jaquelines Dorf hat die Kirchgemeinde eine erfolgreiche Friedensarbeit entwickelt. Dort hat Jacqueline Evariste kennengelernt. Er ist 38 Jahre alt und einer der Ehrenamtlichen, die sich zu „Peace Champions“ haben ausbilden lassen. 

Was hat den jungen Mann dazu bewegt? Evariste und seine Familie waren vom Genozid verschont geblieben. Doch er hat als Kind und Jugendlicher gesehen, welche Folgen die Vergangenheit für die Menschen hatte, wie dramatisch die Zustände im Land bis heute sind. Als er die Chance hatte, die Ausbildung zu machen, sagte er sofort zu.

In einer Reihe von Kursen lernen Peace Champions wie Evariste Konzepte von Frieden kennen. Dazu gehören Formen der Konfliktlösung ebenso wie Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Sie lernen die theoretischen Grundlagen von Gewaltfreiheit, Mediation und Verhandlungstechniken – und wenden diese praktisch an.

Die biblische Botschaft der Versöhnung

In Burundi wird die Ausbildung um Aspekte der Traumatherapie erweitert. Evariste wurde gezielt darin geschult, Menschen wie Jaqueline zu begleiten. Er besucht sie regelmäßig und bietet wöchentliche Gesprächsgruppen an, wo über Wut, Verletzungen und Verzweiflung gesprochen wird. Entscheidend ist, dass die Survivor diese Themen selber zur Sprache bringen, ein falsches Insistieren von außen kann auch nach vielen Jahren zu Retraumatisierungen führen.

In der Kirchgemeinde geht es auch um die biblische Botschaft der Versöhnung – mit sich selbst, mit anderen und mit Gott. Die Erfahrung, dass Jesus Heilung und Vergebung schenken kann, ist zentral für diese Arbeit. Aber allen Beteiligten ist bewusst, dass das ein langer und sehr schmerzhafter Prozess ist, den sie mit viel Geduld gehen müssen.

In Burundi, einem der ärmsten Länder der Welt, bieten die Kleingruppen der Kirchgemeinden auch einen sozialen Halt, und die Peace Champions organisieren praktische Hilfe für die Frauen, von der Hilfe beim Lebensunterhalt bis zur Schuluniform für die Kinder. Für Jaqueline hat sich alles verändert, seitdem ein „Peace Champion“ in ihr Leben kam. Nicht nur für den Alltag, den es täglich zu meistern gilt, sie hat auch wieder Hoffnung, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben werden.

„Das Schönste ist, dass sich mit den Müttern auch die Kinder verändern“, sagt auch Evariste mit einem Strahlen, „sie fassen wieder Hoffnung in die Zukunft, wenn sie sehen, wie ihre Mütter sich verändern“.

Von: Uwe Heimowski

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