Der Dokumentarfilm „Gesund durch Jesus? Exorzismus und Heilungsdienste 2.0“, produziert vom ARD-Team „Y-Kollektiv“, wirft einen kritischen Blick auf die Praxis des Exorzismus und der Heilung durch göttliche Rituale, insbesondere innerhalb der katholischen Kirche. Er ist seit Montag in der ARD-Mediathek abrufbar.
Matthias Prieber stellt einen Korb mit Tüchern auf einen Stuhl. Dazu kommen Schüsseln. Reporterin Jana Gareis fragt, wofür die Tücher gebraucht werden. Er antwortet: „Ab und zu fällt jemand um – durch die Kraft Gottes. Und gerade wenn es Frauen sind, würden wir sie dann zudecken. Wenn ein Hemd hochrutscht, sind sie dann geschützter vor den Blicken der Leute.“ Einmal im Monat veranstaltet Prieber in der Dortmunder Josua-Gemeinde einen Heilungsgottesdienst. Dabei werden Krankheiten als vom Teufel verursacht angesehen und Heilung durch Gebet versprochen. Dabei gehe es nicht darum, Dämonen auszutreiben, sondern darum, von Krankheiten befreit zu werden.
Neue Exorzismus-Richtlinien
Parallel dazu beschäftigt sich die Journalistin mit einem Fall aus Unterfranken aus den 70er Jahren, bei dem eine Frau nach einem monatelangen Exorzismus und mehreren Sitzungen mit katholischen Priestern starb. Bei ihr war Epilepsie und später eine Psychose diagnostiziert worden. Ihre Familie war katholisch und entschied sich, den Fall den Priestern anzuvertrauen.
Der Vorfall zeigt, wie der Glaube an dämonische Besessenheit bei psychischen Erkrankungen gefährliche Folgen haben kann, da die religiösen Praktiken der Priester wissenschaftlich anerkannten medizinischen Behandlungen vorgezogen wurden. Die Dokumentation beleuchtet auch die juristischen Folgen: Die Priester und die Eltern wurden wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Monaten Haft verurteilt, was zu einer Verschärfung der Exorzismus-Richtlinien der katholischen Kirche führte.
Die Reporterin konfrontiert den katholischen Theologen Matthias Neff mit den Praktiken des Exorzismus, insbesondere in der katholischen Kirche. Menschen hätten schnell Bilder aus dem Fernsehen im Kopf, die versuchten, den Exorzismus zu beschreiben. Der große Exorzismus sei eine besondere Form des Gebets und der Befreiung vom Bösen. Ein Exorzist sei aber nicht mehr zeitgemäß, erklärt Neff.
Sie spricht mit einer Frau, deren Bruder als Kind eine Teufelsaustreibung erlebt hat, und mit einem Mann, der von körperlichen Schmerzen durch Heilung berichten kann. Doch Gareis bleibt skeptisch. Um selbst Heilung zu erfahren, lässt sie beim Heilungsgottesdienst in der Josua-Kirche für sich beten. „Ehrlich gesagt, spüre ich nichts. Keine Spontanheilung. Und wie sich später herausstellt, auch langfristig nichts“, sagt Gareis in der Dokumentation.
Exorzismus-Praktiken bleiben ein Kirchenkonstrukt
Abschließend stellt Gareis fest, dass sie persönlich nicht an die heilende Kraft Jesu glaubt, aber anerkennt, dass viele Gläubige Trost in ihrem Glauben finden. Sie warnt jedoch vor der Gefahr, dass Glaube und religiöse Heilpraktiken die medizinische Versorgung ersetzen.
Insgesamt bietet die Dokumentation einen Einblick in die Praxis des Exorzismus und der göttlichen Heilung. Sie regt zum Nachdenken über unterschiedliche Exorzismuspraktiken in Kirchengemeinden an. Die Dokumentation hätte jedoch von einer ausgewogeneren Darstellung der positiven Aspekte dieser Praktiken profitieren können, um eine umfassendere Sichtweise zu vermitteln. Die Dokumentation bleibt einseitig, da sie sich vor allem auf die negativen und gefährlichen Aspekte des Exorzismus konzentriert und alternative, möglicherweise heilsame Erfahrungen zu wenig beleuchtet. Eine breitere Darstellung positiver Erfahrungen oder langfristiger Erfolge dieser Praktiken wäre von Vorteil.
Ein weiterer Punkt ist die Frage der psychischen Gesundheit. In der Dokumentation wird von einem Fall berichtet, in dem ein selbsternannter Exorzist seine Macht einsetzt, um eine Frau von einer psychischen Krankheit zu befreien. Dies sei vor allem für die Betroffene gefährlich. Es wird nicht erwähnt, dass die allermeisten Konfessionen auf Seelsorge und Psychotherapie setzen, statt eine psychische Krankheit „auszutreiben“. Die Betroffenen können selbst entscheiden, ob sie diese in Anspruch nehmen oder andere Hilfe suchen. Hier fehlt eine Stimme von Betroffenen. Dennoch ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es extreme Exorzismuspraktiken gibt, die zum Schaden werden können.