Rezension

Israels unvergesslicher Albtraum

Die ZDF-Dokumentation „Tatort-Israel“ rekonstruiert auf bewegende Weise die dramatischen Ereignisse des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Zu Wort kommen Angehörige der Geiseln, Betroffene, Zeitzeugen und Geheimdienstinsider.
Von Petra Kakyire
Rafaela Treistman, die ihren Verlobten am 7. 10 verloren hat, steht am Gelände, wo die Schreckentag war.

Israel. In der westlichen Negev-Wüste, etwa fünf Kilometer von der Sperranlage um den Gazastreifen entfernt, findet das Open-Air-Festival Supernova Sukkot Gathering statt. Rafaela Treistman, eine Anfang 20-jährige Jüdin, die aus Brasilien eingewandert ist, und ihr Verlobter Ranani Glazer machen sich am 6. Oktober 2023 auf den Weg zu dem Open-Air-Festival, das gegen 22 Uhr beginnen soll. Mehrere Bühnen, ein Zeltplatz, Drinks an der Bar und reichlich Essen: Für Treistman ist das Festival ein großes Erlebnis. Bis in die frühen Morgenstunden feiern die Festivalbesucher. Um 6.30 Uhr verstummt plötzlich die Musik. Der Raketenalarm ertönt. „Alarmstufe Rot“, sagt einer der DJs des Festivals. Mit diesem Satz beginnt für Rafaela Treistman, ihren Freund und die rund 4.000 anderen Festivalbesucher ein Albtraum. Raketen schlagen ein. Die Festivalbesucher suchen Schutz in Bunkern und Büschen und rennen zum Ausgang.

Auch Treistman und ihr Verlobter suchen Schutz in einem der Bunker. Auf engstem Raum verstecken sie sich mit etwa 40 weiteren Festivalbesuchern vor den Terroristen. Doch auch die Bunker sind Ziel der Hamas-Angriffe. Gasgranaten und Handgranaten werden in die Bunker geworfen, Menschen erschossen, Leichen verbrannt. Wer flieht, wird ermordet. Treistman bleibt liegen, wegen des Rauchs können die Terroristen nicht sehen, wer noch lebt. Aber ihr Verlobter hält es nicht mehr aus. Er sagt: „Meine Zeit ist gekommen. Ich muss etwas tun.“ Dann ist er weg. Stundenlang. Als Treistman nichts mehr hört, geht sie hinaus. Es ist still. Auf dem Boden liegen überall Leichen. Darunter auch ihr Verlobter.

Die ZDF-Dokumentation „Tatort Israel“ rekonstruiert die Geschichte des Terrorangriffs der radikal-islamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Die Sendung ist seit Freitag, den 20. Oktober in der ZDF-Mediathek abrufbar, seit Dienstag, den 24. Oktober, läuft die dreiteilige Serie auch im Fernsehen. Überlebende des Angriffs, Zeitzeugen, Geiseln, Angehörige von Geiseln sowie Anwohner an der Grenze zum Gazastreifen berichten darin über die Ereignisse des Schreckenstages und ihre persönlichen traumatischen Erfahrungen. Auch israelische Soldaten, die an der Grenze zum Gazastreifen stationiert sind, kommen zu Wort. Privataufnahmen und Propagandavideos der Hamas, die mit den Körperkameras der Terroristen aufgenommen wurden, lassen den Zuschauer miterleben, was sich dort abspielt.

Israel und Palästina: Mangelnde politische Beziehung

Wie konnte der israelische Geheimdienst den Angriff nicht kommen sehen? Wo war die israelische Armee? Warum wurde so spät reagiert? Fragen, die hier gestellt, erklärt und zu beantworten versucht werden.  Seit vielen Jahren ist das Verhältnis zwischen Palästina und Israel angespannt. „Zwischen 2009 und dem 7. Oktober gab es keinen ernsthaften Versuch, mit den Palästinensern ins Gespräch zu kommen“, sagt der ehemalige Analyst des israelischen Militärgeheimdienstes Yohanan Tzoreff in der ZDF-Dokumentation. Die Israelis seien überzeugt gewesen, der Hamas überlegen zu sein.

Die israelische Regierung habe die Hamas am Leben gehalten, indem sie Hilfslieferungen aus Katar durchgelassen habe. Gleichzeitig habe das jahrelange Scheitern der Verhandlungen mit der Hamas zu einem immer schlechteren Verhältnis zu der Terrororganisation geführt. Dabei habe die Hamas das Verhalten der israelischen Regierung beobachtet, analysiert und sich auf den Angriff vorbereitet, sagt Hamas-Sprecher Ahmad Abdelhadi. Ein Video, in dem eine Generalprobe für den Angriff auf Israel am 7. Oktober zu sehen ist, stellten sie sogar schon Wochen vorher ins Internet. Die Dokumentation zeigt auch die Reaktion Israels: die Angriffe auf den Gazastreifen, um die Hamas zu vernichten, und die Deals, um die Geiseln zu befreien.

„Tatort Israel“ – emotional, real und kritisch

„Tatort Israel“ ist eine bewegende Dokumentarserie. Die wahren Geschichten von Geiseln, Augenzeugen und Festivalbesuchern nehmen den Zuschauer mit in deren tiefste traumatische Erlebnisse. Besonders der Jubel der Terroristen, als sie die Israelis erschießen, geht durch Mark und Bein. Die Videoaufnahmen der Körperkameras der Terroristen erinnern an Videospiele, in denen es darum geht, möglichst viele Ziele abzuschießen. Nur dass es sich hier nicht um ein Spiel handelt.

Positiv fällt auf, dass auch politische Hintergründe, wie die mangelnden Verhandlungen Israels mit Palästina, aufgegriffen und von Experten erklärt werden. So erhält der Zuschauer einen kleinen Einblick in die politische Geschichte des Nahen Ostens. Ein tieferer Einblick in die Geschichte des Nahostkrieges und eine zeitliche Einordnung hätten die Dokumentation noch etwas abgerundet. Dafür wäre allerdings mehr Sendezeit notwendig gewesen.

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