Horden schwarz gekleideter Fans rocken zu dröhnenden Bässen, trinken Bier in Strömen und liefern sich Schlammschlachten auf den Campingplätzen. Die schleswig-holsteinische 2.000-Seelen-Gemeinde Wacken war vorige Woche wieder Hauptstadt der harten Musik. Von Donnerstag bis Samstag fand dort mit 75.000 Besuchern das nach Veranstalterangaben weltgrößte Metal-Festival statt, das Wacken Open Air.
Auf der Bühne stehen Bands wie Annihilator, Grave Digger und Megadeth. Während sie getreu dem Festival-Motto „harder, faster, louder“ ihre Gitarren heulen lassen, recken die Fans vor der Bühne ihre Hände in die Höhe und formen mit zwei Fingern die Hörner des Teufels, den „Metal-Gruß“. Wer gerade nicht zum Konzert geht, vertreibt sich die Zeit mit Trinkspielen oder Schlammschlachten.
Der Wahnsinn macht auch vor der Wackener Kirche nicht Halt: Am Mittwochabend lud die evangelische Gemeinde zum Metal-Gottesdienst ein. Als ein Gospelchor „Engel“ von Rammstein anstimmte, brachen die 250 Besucher in Jubel aus. Als am Ende der Andacht der letzte Ton der Orgel verklungen war, ließ sogleich der dröhnende Sound einer Bassgitarre das Gotteshaus erbeben – die Metal-Band Aeverium spielte zum Konzert.
Metal-Texte mit christlichen Inhalten
„Es wird doch mal Zeit, dass Kirche sich öffnet“, sagte eine 23-Jährige. Sie selbst sei vor einigen Jahren ausgetreten: „Würde die Kirche mehr von solchen Dingen machen, dann würden ihr auch nicht die Mitglieder weglaufen.“
Die Wackener Pfarrerin Petra Judith Schneider macht seit vier Jahren ihr Gotteshaus zum Auftakt des Festivals zur „Metal-Church“ mit Gottesdienst und Konzert. „Es gibt viele Metal-Texte, die christliches Gedankengut enthalten. Das sind Verbindungspunkte zwischen Kirche und Festival, über die wir ins Gespräch kommen möchten.“ Natürlich gebe es auch Lieder mit lebensverneinender Einstellung. Damit müsse man sich kritisch auseinandersetzen. „Aber das heißt ja nicht, dass die Kirche nicht erst einmal offen ist für die Metal-Fans.“
„Wertschätzendes Zuhören“
Rückendeckung bekommt die Pfarrerin von ihrer Landeskirche, der evangelischen Nordkirche, die ein Team von 19 Seelsorgern entsendet. „Festivalseelsorge“ steht auf dem großen Banner am Gesprächszelt unweit der Hauptbühnen. „Wertschätzendes Zuhören“ sei Hauptaufgabe seiner Mitarbeiter, sagt Landesjugendpastor Tilman Lautzas. Manche Ratsuchende seien überfordert mit der Festivalsituation, andere brächten Sorgen von zu Hause mit.
Weitere kirchliche Gruppen machen im Dorf auf sich aufmerksam. Entlang der Hauptstraße, durch die sich in diesen Tagen ununterbrochen Massen von langhaarigen Metallern schieben, stehen immer wieder Anhänger verschiedener Freikirchen, die die Vorübergehenden ansprechen: „Hast Du schon eine Metal-Bibel?“ Der ein oder andere nimmt dankend das Büchlein an und lässt sich auf ein Gespräch ein. „Wir möchten auf diesem Weg den Menschen die gute Botschaft nahe bringen“, sagt Thomas ter Haseborg, Pastor und Leiter der Aktion.
Die Metal-Bibel enthält neben der Heiligen Schrift persönliche Glaubenszeugnisse etwa von Nicko MacBrain, Schlagzeuger der Band Iron Maiden. Schwedische Freikirchler erfanden sie im Jahr 2011 eigens fürs Wacken Open Air. Damals durfte das Büchlein noch auf dem Festivalgelände verteilt werden, was der Veranstalter ein Jahr später verbot.
Seelsorge am Tag danach
Auch Martin Lörsch, katholischer Pastoraltheologe an der Universität Trier, beurteilt die Aktion der Freikirchen kritisch. „Die Bibel muss nicht immer gleich in Druckbuchstaben daherkommen.“ Viele Menschen würden es als „zu aggressiv“ empfinden, wenn sie von Kirchenvertretern angesprochen werden. Die landeskirchlichen Angebote von „Metal-Church“ und Seelsorge begrüße er dagegen: „Kirche muss raus aus geschlossenen Räumen und sich auch auf Orte wie Festivals zu bewegen.“
Passt das kirchliche Engagement denn zu harter Musik und viel Alkohol? „Klar ist das nicht ganz der christliche Weg, und man muss dieser Praxis nicht zustimmen“, sagt der Professor. Aber gerade deshalb sei die Präsenz von Kirche wichtig: „Es gibt ja auch den Tag nach dem Alkoholkonsum – spätestens dann kommt der ein oder andere zum Festivalseelsorger.“ (pro/kna)
Von: KNA/Michael Althaus