Seit vielen Jahren gibt es kluge Bücher, die deutlich vor den möglichen Negativauswirkungen der technischen Entwicklung und namentlich Künstlicher Intelligenz (KI) warnen. Man denke etwa an das Buch „Die Antiquiertheit des Menschen“ des Philosophen Günther Anders, das bereits 1956 Erkenntnisse formuliert und Gefahren prognostiziert hat, die heute nur bestätigt werden können, oder an das Buch seines Kollegen Gernot Böhme „Invasive Technisierung. Technikphilosophie und Technikkritik“ von 2008, oder aber an das vor einem halben Jahrzehnt erschienene Buch von Armin Grunwald „Der unterlegene Mensch. Die Zukunft der Menschheit im Angesicht von Algorithmen, künstlicher Intelligenz und Robotern“ (2019).
Auch einige Fernsehsendungen haben in letzter Zeit bereits intensiv und eindrucksvoll vor den teils bedrohlichen Folgen der KI-Technologie gewarnt. Deshalb ist es einerseits erstaunlich, wie wenig solch breite Kritik bei Einzelnen und gesamtgesellschaftlich ausrichten konnte und kann.
Andererseits ist das gar nicht verwunderlich. Hat doch schon Günther Anders seinerzeit dargelegt, wie unerwünscht Kritik an der technologischen Entwicklung in unserer fortschrittsbegeisterten Welt grundsätzlich ist, ja, wie sie sogar zu Ausgrenzungen führt. Gleichwohl wird die Kritik namentlich an KI in unseren Tagen immer lauter, weil die mit ihr einhergehenden Gefahren unübersehbar am Tage liegen.
Hinzu kommen die globalen Gefahren der KI hinsichtlich ihrer selbstlernenden Entwicklung hin zu einer sogenannten Superintelligenz. Immer mehr seriöse KI-Experten warnen inzwischen davor, dass KI die Menschheit auslöschen könnte – etwa 2023 Sam Altman als „OpenAI“-Chef zusammen mit anderen führenden Fachleuten. Wenig später äußerten namhafte Persönlichkeiten um den Multimilliardär Elon Musk in einem Offenen Brief, alle Technologie-Labore sollten die Entwicklung von KI-Systemen sofort unterbrechen: Solange nicht einmal die Hersteller die Maschinen wirklich verstünden, seien die Risiken zu groß, dass die Systeme im Zuge erworbener Selbstständigkeit eine inhumane Ausrichtung annehmen.
Auf dem KI-Sicherheitsgipfel 2024 in Seoul warnten 25 weltweit führende KI-Forscher, diese Technik mache rasche Fortschritte in kritischen Bereichen und könne schon bald beispiellose Kontrollprobleme aufwerfen. Mahnend äußerten sich heuer auch der deutsche Top-Manager Jan Leike sowie Ilya Sutskever, ein Mitbegründer von OpenAI, die enorme Macht einer „Superintelligenz“ könnte zur Entmachtung der Menschheit oder sogar zu ihrem Aussterben führen.
Regeln für KI versprechen wenig Erfolg
Natürlich gibt es viel Gutes an der KI, sonst wäre sie nicht entwickelt und immer weiter getrieben worden. Ein großer Nutzen zeigt sich unter anderem auf medizinischem Gebiet. Faszinierend ist zudem insbesondere ChatGPT: Kein Zweifel, mit dieser KI kann man sich im Alltag manche Mühe sparen. Aber die Dinge sind häufig doch recht ambivalent: Sie schenken und sie rauben uns Freiheit. So bezahlen wir für mancherlei Bequemlichkeiten oft mit dem Abbau eigener Fähigkeiten. Viele Arbeitsabläufe kann die KI den Menschen abnehmen – aber gehen dadurch nicht auch erschreckend viele Arbeitsplätze und auch Fertigkeiten verloren?
Zum Autor
Dr. Werner Thiede, geboren 1955, ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Pfarrer i. R. der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. In zahlreichen Veröffentlichungen hat er sich theologisch unter anderem mit technologischen Entwicklungen befasst. Zum Thema erschien etwa 2021 „Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen“ in 2. Auflage. Im vorigen Jahr publizierte Thiede überdies seine gesammelten christlichen Lieder unter dem Titel „In Ängsten – und siehe, wir singen“. Sein jüngstes Buch „Himmlische Freude. Vom tiefen Glück des Glaubens“ ist diesen Sommer erschienen. Weitere Informationen: werner-thiede.de.
Mit Blick auf all die Risiken und Nebenwirkungen künstlicher Intelligenz gibt es mittlerweile international diverse Versuche, KI zu regeln oder zu reglementieren. Was hilft es aber, die eine oder andere rote Linie zu benennen, wenn effektive Regelungen und Sanktionen bei näherem Hinsehen eher zu bezweifeln sind? Haben wir es bei KI nicht vielfach mit „Black Boxes“ zu tun, mit uneinsehbaren Algorithmen, die sich kaum kontrollieren lassen? Gibt es nicht politische Lager rund um die Welt, die einander bekämpfen, so dass „globale“ Regelungen nur zum Teil und zum Teil heuchlerisch akzeptiert werden? Haben wir es nicht rund um den Erdball mit zum Teil recht unterschiedlichen Ethik-Systemen zu tun?
Zu nennen wäre hier insbesondere auch das militärische Gebiet: Seit 2018 gibt es den Versuch eines Regulierungsprozesses auf UN-Ebene, aber der gilt bereits jetzt als gescheitert! Bis heute verbietet kein einziges Abkommen den Gebrauch autonomer Waffensysteme, die ja das Töten nur immer weiter beschleunigen und maschinell präzisieren.
Wohin führt KI waffentechnisch am Ende? Womöglich zur restlosen Ausschaltung des menschlichen Herzens bei militärischen Entscheidungen, wenn die Frage nach dem Erstschlag minütlich oder gar sekündlich entschieden werden muss? Hier sei erinnert an den russischen Offizier Stanislaw Petrow, der am 26. September 1983 einen verheerenden Atomkrieg in letzter Sekunde noch abwenden konnte – wo also das menschliche Herz noch eingeschaltet oder „dazwischengeschaltet“ war. Militärische Entscheidungen müssen notwendigerweise in immer noch kürzerer Zeit getroffen, also zwangsläufig mehr und mehr an KI-gesteuerte Maschinen übergeben werden. Wir alle sitzen da mittendrin in einer regelrechten Fortschrittsfalle.
Außer Kontrolle
Gar nicht auszudenken, wenn einst eine wirklich autonom gewordene KI im militärischen Einsatz ist! Prinzipiell kann sich KI als Allgemeine KI schon relativ bald menschlicher Kontrolle entziehen, nämlich sich als Superintelligenz zu einer im wahrsten Sinn des Wortes unberechenbaren Macht entwickeln. Karl von Wendt hat über KI promoviert; er warnte kürzlich in der Zeitschrift „Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis“: „Uns bleiben mit Glück noch höchstens zwei Jahrzehnte, wenn wir Pech haben, nur noch wenige Jahre. KI könnte dafür sorgen, dass sie nicht mehr abzuschalten ist!“
Diesem deutschen Experten zufolge ist der optimale Weltzustand, den KI auf Basis ihres Ziels anstrebt, „höchstwahrscheinlich nicht mit unseren Wünschen und oft auch nicht mit unserem Überleben vereinbar“. Eine Gefahr gehe vor allem von Allgemeinen KIs aus, die nahezu beliebige Probleme lösen und langfristige Pläne schmieden können: „Solche ‚Universalgenies‘ brauchen wir eigentlich gar nicht.“ Ab einem bestimmten Punkt der Leistungsfähigkeit ist es von Wendt zufolge unmöglich, bei einer Allgemeinen KI vorauszusagen, ob und wann sie unkontrollierbar wird.
Daher wäre es nach seinem Rat das Klügste, vorläufig auf die Weiterentwicklung einer solchen KI zu verzichten und Energie und Investitionen stattdessen in spezialisierte KIs zu stecken. Doch kennt man denn die Macher fortschrittlichster Technologien als verzichtsbereite und vorsichtig agierende Leute – oder nicht viel eher als Zeitgenossen, die schon aus wirtschaftlichen Gründen und mit Blick auf die Konkurrenz nach dem Motto handeln: „Was gekonnt wird, wird gemacht“?
Wo die KI zum Gott wird
KI verführt außerdem dazu, menschliche Intelligenz und überhaupt die menschliche Seele immer mehr aus dem Blick zu verlieren. Die menschliche Person wird zunehmend umgebaut in einen Cyborg mit fraglicher Identität. Die Menschenwürde ist angesichts transhumanistischer Maximen zunehmend in Gefahr.
Nicht zuletzt in religiöser Hinsicht gibt es angesichts von KI berechtigte Sorgen. Je mächtiger technologische Systeme werden, desto mehr gewinnen sie Züge einer Ersatzreligion. Virtuelle Welten werden quasi zu Ersatzgöttern. Da wird beispielsweise eine materialistisch erzeugte Unsterblichkeit versprochen, die es so gar nicht geben kann, wenn man an die Vergänglichkeit der Welt insgesamt, also auch der KI denkt. Im Silicon Valley hat der Robotik-Experte Anthony Levandowski vor einigen Jahren eine „Church“ gegründet, die unter dem Namen „Way of the Future“ eine KI als Gottheit verehrt.
Aus christlicher Sicht ist die in technizistischen Kreisen beliebte philosophische Richtung des Transhumanismus entschieden zu kritisieren. Sie ist so ausgerichtet, dass sie den Menschen nicht nur immer vollkommener machen, sondern über den Menschen hinauskommen, ja irgendwann den Menschen als veraltet zurücklassen will. Der zentrale christliche Glaube, dass Gott in Jesus Christus ein- für allemal Mensch geworden ist, kann zu solchem Denken nur Nein sagen.
Erneuert wird der Mensch durch Jesus Christus
Darum, liebe Zeitgenossen, vergesst nicht bei allem verständlichen Nutzen von KI die Ambivalenz dieser wunderbaren Technologie! Versucht möglichst die Kontrolle zu behalten, statt euch immer mehr kontrollieren und überwachen zu lassen! Die Verführungsmacht ist bei der Digitalisierung insgesamt groß – und erst recht bei KI.
Bewahrt also, wenn irgend möglich, eure Freiheit! Denkt bei allem Gebrauch an die verborgenen Dimensionen von KI! Wendet eure menschliche Intelligenz an, um nicht am Ende der künstlichen Intelligenz global, aber auch im eigenen Leben zu erliegen! Lasst euch von ChatGPT nicht das eigene Denken abnehmen und abgewöhnen! Geht also bewusst sparsam mit KI um – schon allein deswegen, weil es sich um eine tendenziell wirklich gefährliche, apokalyptisch anmutende Technologie handelt!
Die Lage ist ernst. Wohl dem, der eine Hoffnung kennt, die größer und stärker ist als die zunehmenden Siege der Technik! Die Reich-Gottes-Botschaft steht dafür, dass Gott selber in Jesus Christus Mensch geworden ist; diese wunderbare Botschaft gibt es in keiner anderen Großreligion. Die Besinnung darauf hilft in unserer technikbegeisterten Epoche, den Menschen nicht etwa technisch verbessern und gar am Ende überwinden zu wollen, sondern anzustreben, dass er durch Gottes Geist erneuert und schlussendlich aus Gnade vollendet wird.