„Wir fangen da an, wo Krimis aufhören: im Gefängnis.“ So stellen Mitarbeiter des „Schwarzen Kreuzes“ gerne ihre Arbeit vor. Die christliche Straffälligenhilfe, die am 9. Januar 100 Jahre alt wird, ist der Diakonie angeschlossen und überkonfessionell. „Nächstenliebe befreit“ lautet der Wahlspruch – vielleicht nicht aus einem Gefängnis aus Beton und Stahltüren, wohl aber aus einem dunklen Kreislauf im Kopf aus Einsamkeit und Sorgen.
Besuche in Justizvollzugsanstalten gehören ebenso zur Hilfsarbeit wie die Vermittlung von Brief-Kontakten sowie das jährliche Versenden von Weihnachtspaketen hinter Gitter. „Wir glauben, dass Gott alle Menschen liebt, auch und gerade die gesellschaftlich Gescheiterten“, heißt es in den Leitsätzen. „Wenn solch ein Mensch erfährt, dass er nicht aufgegeben ist, kann neues Leben möglich werden – nicht nur ohne neue Straftaten.“
Johannes Muntau gründete das „Schwarze Kreuz“ im Jahr 1925. Er war Strafvollzugspräsident am Oberlandesgericht Celle und Christ. „Ihm unterstanden 112 Haftanstalten, und ihm lag es am Herzen, dass die Gefangenen nicht nur verwahrt wurden, sondern dass sie neue Impulse bekommen“, erklärt Ute Passarge, die für die Koordinierung der ehrenamtlichen Mitarbeiter zuständig ist. „Er war überzeugt, dass Laienhelfer, wie er sie nannte, oft viel besser mit Inhaftierten sprechen können als Pfarrer.“
Der Name der Organisation lautete früher einmal „Schwarzes Kreuz auf grünem Grund“. Das Schwarz stand für das Leid, das Grün für die Hoffnung. „Der Name wurde zu sperrig, so wurde ‚Schwarzes Kreuz‘ daraus“, sagt Passarge, die manchmal nicht so ganz glücklich damit ist, erinnert er doch etwas missverständlich an finstere Gebräuche. „Eine Umbenennung ist aber schwierig“, sagt sie. „Unter dem Namen sind wir nun einmal bekannt.“ Derzeit arbeiten sieben Hauptamtliche am Sitz des „Schwarzen Kreuzes“ in Celle, hinzu kommen etwa 700 Menschen, die sich über Ehrenamt und/oder Mitgliedschaft verbunden fühlen.
„Ich fühlte mich frei, obwohl ich in Gefangenschaft bin“
„Vielleicht haben Sie selbst einmal Ihre Gedanken, Sorgen und Wünsche in einem Brief formuliert und wissen, wie gut das tut“, heißt es im Prospekt der christlichen Organisation. „Und haben Sie schon einmal Post in Ihrem Briefkasten gefunden, mit der sich ein anderer Mensch richtig Mühe gemacht hat? Dann kennen Sie die Freude, die das bewirken kann!“ An die Haftinsassen gerichtet, heißt es: „Möchten Sie, dass Ihnen jemand schreibt? Ein Mensch von ‚draußen‘, der ein offenes Ohr für Sie hat?“ Um die Vermittlung von Lebenspartnerschaften gehe es hier explizit nicht, klärt der Flyer auf.
Die meisten Straffälligen freuen sich zunächst einmal über einen ganz normalen, alltäglichen Austausch. „Da kann es um das normale Leben draußen gehen, um die Probleme mit dem pubertierenden Sohn, die Freundin, die der Inhaftierte vermisst, oder auch mal Fußball oder Kochrezepte“, sagt Passarge. Daraus können sich dann auch tiefere seelsorgerliche Hilfe und ein Austausch über den Glauben ergeben.
Im Unterschied zu den Seelsorgern der Justizvollzugsanstalten handele es sich bei den Helfern des „Schwarzen Kreuzes“ um Freiwillige, die in ihrer Freizeit aktiv werden und oft auch aus ihrem Privatleben berichten. „Während jene Gottesdienste und professionelle seelsorgerliche Betreuung anbieten, stehen wir sozusagen für den Kontakt zur ganz normalen Gesellschaft. Den können die Straffälligen mit uns üben“, sagt Passarge. Etwa 280 Briefkontakte zwischen Inhaftierten und Ehrenamtlichen gebe es derzeit.
Vor kurzem berichtete ihr ein Ehrenamtlicher von einem Brief seines Briefkontakts aus dem Gefängnis, der schrieb: „Ich saß neulich vor dem Fernseher und schaute einen Horrorfilm. Doch diesmal habe ich keine Faszination empfinden können. Ich empfand nur Mitleid mit der Schauspielerin. Ich dachte an unser Gespräch, als du mir gesagt hast, wie du deinen Weg zu Gott gefunden hast und was es bei dir bewirkt hat. Da habe ich auf einmal eine Veränderung gespürt, eine Art Gefühl, einfach meine Situation zu akzeptieren. Ich ließ los, fühlte mich frei, obwohl ich in Gefangenschaft bin. Eine Erleichterung ging durch den ganzen Körper, als ob ich eine Last abgeworfen hatte, die mich seit meiner Kindheit gedrückt hatte.“
„Ich fühle mich angeflirtet, was soll ich tun?“
Neben den Briefkontakten organisiert das „Schwarze Kreuz“ Arbeitskreise, die in die Gefängnisse gehen. Da gibt es christliche Gesprächsgruppen, aber auch Hobbyrunden sind möglich. In Chemnitz gebe es etwa einen Strickkreis unter Frauen, auch eine Dartgruppe gab es mal.
Außerdem führt die Organisation regelmäßig Weihnachtspaketaktionen durch: Das „Schwarze Kreuz“ gibt für Paketspender eine Anleitung und eine Liste mit Dingen heraus, die in die Pakete hinein dürfen. Sie schicken sie direkt an die Haftanstalten, die sie dann ihrerseits an besonders bedürftige Gefangene weitergeben. Dazu gehören häufig Strafgefangene, die aus gesundheitlichen Gründen oder wegen eines hohen Alters nicht mehr arbeiten können und darum besonders wenig Geld haben. Im letzten Jahr seien 1.632 Pakete zusammengekommen, sagt Passarge.
Stolz ist man im Schwarzen Kreuz auch auf den Wochenkalender. Originelle Fotonotive und Bibelverse werden durch Gedankenanstöße ergänzt, mal kurze Sprüche, mal längere Impulse. „Der Kalender erreicht ungefähr 10.000 Inhaftierte“, sagt Passarge. „Das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass es derzeit insgesamt rund 45.000 Strafgefangene in Deutschland gibt.“
Wer beim „Schwarzen Kreuz“ als Briefeschreiber mitmachen möchte, bekommt zunächst einmal Informationsmaterial zugeschickt, es folgt ein längeres Telefonat, dann bekommt der Bewerber vier Studienhefte mit wichtigen Infos: Wie ist der Strafvollzug aufgebaut, wie geht es einem Inhaftierten, wie sieht sein Tagesablauf aus? Bei einem Online-Kurs wird dieses Wissen noch einmal vertieft. Die Briefeschreiber können sich auch jederzeit bei Fragen an das Team in Celle wenden. Etwa: „Ich fühle mich angeflirtet, was soll ich tun?“ Oder: „Der Gefangene würde gerne mit mir telefonieren, ich möchte aber nicht. Was sage ich ihm?“
„Wichtig ist uns bei den Ehrenamtlichen ein christlicher Hintergrund. Recht viele Gefangene legen darauf Wert“, sagt Passarge. „Christsein scheint bei ihnen auch für Vertrauenswürdigkeit zu stehen. Manchmal sind Mitarbeitende aber auch übereifrig. Statt vor allem eine vertrauensvolle und verlässliche Beziehung aufzubauen, neigen sie dazu, Jesus zur einfachen Lösung aller Probleme zu machen.
Die inhaftierten Briefpartner aber erhoffen vor allem ein offenes Ohr und wollen nicht, dass an ihnen christliche ‚Überzeugungsarbeit‘ geleistet wird, wie es mal einer formulierte. Insgesamt jedoch sind unsere Ehrenamtlichen sehr sensibel für diese Problematik und achten darauf.“ Passarge zitiert Mutter Theresa: „Anfangs glaubte ich, bekehren zu müssen. Inzwischen habe ich gelernt, dass es meine Aufgabe ist zu lieben. Und die Liebe bekehrt, wen sie will.“
„Gott begegnet einem in Haft anders“
Passarge weiß zu berichten: „Die Umstände der Haft begünstigen es vor allem bei langen Strafen, dass sich manche Straffällige viele Gedanken über Gott, Schuld und den Sinn im Leben machen. Sie leben abgeschottet von der Welt und haben weniger Ablenkungsmöglichkeiten. Handys sind verboten. Man ist also mehr mit sich allein. Anscheinend begegnet Gott einem dort anders.“ Sie hätte schon öfter von echten Bekehrungserlebnissen in Haft gehört.
Nach der Entlassung sei es dann aber gar nicht immer so leicht, die ehemaligen Insassen in eine Gemeinde zu integrieren, weiß Passarge. Es gebe viele Ängste. Die eine oder andere Handtasche wird auf einmal noch etwas enger am Körper gehalten, berichten Pastoren. Andere Gemeinden seien da besser geschult und stellten sich besonders auf ehemalige Gefangene ein.
Werden die Mitarbeiter des „Schwarzen Kreuzes“ eigentlich häufig auf den Umstand angesprochen, dass die christliche Straffälligenhilfe ausgerechnet ihren Sitz im Ort mit dem Namen Celle hat? Passarge lacht: „Es kommt schon mal vor, dass ich privat sage, dass ich mit Gefangenen arbeite und in Celle wohne, und dann macht jemand einen Witz dazu. ‚Da bist du ja genau richtig!‘ Aber mir selbst fällt es schon gar nicht mehr auf. Der offizielle Begriff ist übrigens ‚Haftraum‘, wir sprechen nicht von der ‚Zelle‘.“