Es ist Sonntag, der 3. Juni. Mit ganzer Kraft bricht der „Volcán de Fuego“ – der Feuervulkan – im Süden Guatemalas aus. Zur selben Zeit sind Christen im nahe gelegenen San Miguel de los Lotes zusammengekommen und feiern Gottesdienst. Der Lavastrom fließt mit einer zerstörerischen Kraft und überrascht die Gläubigen während ihrer Zusammenkunft. Sie können nicht entkommen und sterben im Gottesdienst.
Der Ausbruch des Feuervulkans richtete viel Schaden an, zerstörte mehrere Dörfer komplett. Das kostete mindestens 110 Menschen das Leben. Der Pastor Hans-Claus Ewen lebte selbst mehr als zehn Jahre in Guatemala und hat viele Kontakt in das zentralamerikanische Land. Von seinem Freund, Bill Strickland, erfährt er von der Geschichte der Christen, die während ihres Gottesdienstes ums Leben kamen. Strickland lebt schon lange in Antigua Guatemala, im Süden des Landes. Die Kleinstadt liegt rund 20 Minuten vom Feuervulkan entfernt.
Gemeinden an entlegenen Orten
Ewen erläutert: „Da Guatemala eine recht hohe Zahl an evangelikalen Gemeinden hat und diese, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch an den entlegensten Orten zu finden sind, kann man davon ausgehen, dass auch eine große Zahl unserer Glaubensgeschwister gestorben sind oder jetzt vor der Herausforderung stehen, alles verloren zu haben, wobei dies teilweise auch die Felder betrifft, die sie bestellt haben.“
Ewens Freund Strickland berichtet auch von logitischen Problemen. Die Hauptverbindungsstraße von Antigua Richtung Pazifikküste (Escuintla) wurde durch einen Lavastrom „vollkommen unpassierbar“. Die Schäden seien zwar geographisch begrenzt, aber „sehr viele Menschen“ seien betroffen. Zahlreiche Menschen werden noch vermisst. Aus der guatemaltekischen Bevölkerung wird Kritik an der Regierung laut, die zu wenige Informationen veröffentliche.
Unmut gegen Behörden
Auch Ewens Tochter Teresita lebt vor Ort und beschrieb laut ihrem Vater die Situation am Wochenende als noch „sehr angespannt. Einmal wegen der möglichen weiteren Ausbrüche und der latenten Erdbebengefahr“, erklärte Ewen gegenüber pro. „Aber auch weil sich in der Bevölkerung großer Unmut den Behörden gegenüber breit macht.“
Die Hilfe von privater Seite laufe mit „vorbildlichem Engagement und großer Solidarität“. Die Regierung sei allerdings in Kritik geraten, weil sie einerseits „Hilfeangebote von Nachbarländern wie El Salvador, Mexiko und Honduras nicht in Anspruch genommen hat“. Anderseits habe sie Hilfskonvois und Helfer die Grenze nicht passieren oder sehr lange warten lassen. Auch steht der Nationale Katastrophenschutz CONRED in der Kritik, dass er Menschen in den betroffenen Regionen nicht früher evakuiert habe.
„Wahre Herausforderung kommt erst noch“
Doch die Katastrophe schweiße christliche Gemeinden in Guatemala auch zusammen. „Meine Tochter, Bill Strickland und mein alter Weggefährte Juan Rojas aus Guatemala City, er ist Schulleiter einer privaten christlichen Schule, berichten von einer unglaublichen Welle von Solidarität mit den Geschädigten. Es geht eigentlich querbeet durch die ganze guatemaltekische Gesellschaft.“ Die Gemeinden seien sehr aktiv beim Sammeln und Verteilen von Hilfsgütern. Größere Gemeinden hätten ihre Gebäude teilweise als Sammelstellen eingerichtet. „Dies ist auch gut, denn es gibt schon Berichte von Hilfsgütern offizieller Seite, die gestohlen, verkauft oder eingelagert wurden.“ Strickland berichtet etwa von überlebende Christen aus San Miguel. Nachbargemeinden versorgen sie nun. Etwa die „Verbo“-Gemeinde bietet Unterkünfte und Nothilfe für Überlebende an.
Ewen sagte aber auch: „Die wahre Herausforderung kommt erst, denn wir sprechen von 4.000 bis 5.000 Menschen, die alles verloren haben und höchstwahrscheinlich umgesiedelt werden müssen. Von der Regierung werden sie eher wenig bis nichts zu erwarten haben.“
Die jetzige Notfallsituation werde, nach aktuellem Stand, gut bewältigt werden. Strickland erklärte, im Moment fehlten vor allem Medikamente, Windeln und Babynahrung. Doch wenn der Bestand der Schäden aufgenommen wurde, sei jedermann, auch Christen, zur Hilfe aufgefordert. Hier könnte „die Gemeinde der Welt wirklich zeigen, dass sie mehr drauf hat, als nur ,ein Pflaster‘ auf die Wunden zu kleben.“ Denn in der nahen Zukunft werden diese Familien alles neu brauchen: Kleidung, Möbel, Küchengeräte, Fahrzeuge.
Katastrophe als Chance für Christen im Land
Hinzu komme die „mit Sicherheit notwendige psychologische Betreuung nach diesem entsetzlichen Trauma, bei der die Gemeinden große Dienste Leisten könnten“. Schulleiter Rojas sagt, es gelte auch zu verhindern, dass das bereits bestehende Problem von Kinder- und Jugendgangs und der entsprechenden Kriminalitätsspirale noch „neue Mitglieder“ gewinnt. Zerstörte Schulen oder die Unmöglichkeit zur Schule zu gehen, „könnte weiterhin zu Kinderarbeit und etlichen anderen Missständen führen“.
Pastor Ewen sagt: „Es könnte ein großes Zeugnis sein, wenn die Christen Guatemalas sich zusammenraufen könnten, um den Betroffenen über die akute Hilfe hinaus, eine Zukunftsperspektive zu geben.“ Denn: Eine Uneinigkeit der evangelikalen Christen Guatemalas sei „eines der größten Probleme für das Land“, meint Ewen. Mit geschätzten 35 bis 40 Prozent der Gesamtbevölkerung könnten sie eigentlich „das Land mit ihren Werten bestimmen“, aber das Gegenteil sei der Fall. „Somit ist diese Katastrophe auch eine Chance für die Christen dieses Landes, sich zu versöhnen und zu einen.“
Von: Martina Blatt