Über 90 Prozent der US-Bürger sagen, dass sie an Gott glauben – mehr als in jedem anderen westlichen Land. Doch mit dem Wissen um die Bibel oder andere Religionen scheint es nicht weit her zu sein, behauptet Stephen Prothero, Leiter des Seminars für religiöse Studien an der Boston University. In seinem Buch „Religiöse Bildung – Was jeder Amerikaner wissen sollte – aber nicht weiß“ fasst er zusammen, was er in 17 Jahren Lehrtätigkeit über das religiöse Wissen der Amerikaner erfahren hat.
Im Amerikanischen heißt die französische Jungfrau von Orléans „Joan of Arc“. Das erinnert sehr an das Wort „ark“, so dass ihr Name dann lauten würde: „Johanna von der Arche“. Wohl deswegen glauben zehn Prozent der Amerikaner, Johanna von Orleans müsse mit Noah verheiratet gewesen sein. 60 Prozent der US-Bürger können nicht einmal die Hälfte der Zehn Gebote nennen und kaum 50 Prozent auch nur einen der vier Evangelisten. Jeder Zweite amerikanische Oberschüler hält Sodom und Gomorrha für ein Ehepaar.
Aber nicht nur mit dem Wissen über den eigenen Glauben hapert es, so Prothero, sondern mit anderen Religionen ebenso. Bei einer Studie des „Bible Literacy Project“ von 2005 wussten 36 Prozent der Highschool-Schüler nicht, dass Ramadan der islamische Fastenmonat ist; 17 Prozent waren der Meinung, es sei das jüdische Sühnefest. Deswegen hat der Professor seinem neuen Buch ein 90-seitiges Glossar mit den wichtigsten religiösen Begriffen angehängt – von Abraham bis Zen. Außerdem findet sich in Protheros Buch ein Quiz mit 15 Fragen zu Religion, das derzeit in den amerikanischen Medien heftig diskutiert wird. Seine Studenten fallen bei dem Test jedes Jahr durch.
Auch aus eigener Erfahrung Fachmann in Sachen Religion
Protheros ist einer der bekanntesten Religionswissenschafter der USA. Der Absolvent der Elite-Universitäten Yale und Harvard hat mehrere Bestseller über religiöse Themen geschrieben, etwa „American Jesus“, und „A Nation of Religions“. Er selbst ist in einem evangelisch-reformierten Elternhaus aufgewachsen. Doch wurde er zunächst Buddhist, dann „wiedergeboren“. Doch dann wandte er sich vom christlichen Glauben wieder ab und bezeichnet sich heute als „verwirrten“ Christen.
Protheros verknüpft seine Thesen mit einer Warnung. „Auf nationaler wie auf internationaler Ebene tragen politische Fragen zunehmend religiöse Komponenten. Wenn wir diese nicht erkennen können und die Überzeugungen, welche den Rest der Welt motivieren, nicht verstehen, sind wir dem Untergang geweiht“, sagte der Wissenschaftler im „Time“-Magazin. Er erinnert daran, dass sich im Werk von William Shakespeare 1.300 Verweise auf die Bibel finden, und dass bei Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ Motive der Passion Christi anklingen.
Auch verweist Prothero auf die Bibelzitate, die Präsident George W. Bush in seine Reden einbaue. Religiöses Wissen dürfe nicht an „Demagogen, Meinungsmacher und Prediger mit einer politischen Agenda“ ausgelagert werden. Prothero: „Wenn du glaubst, dass Sunniten und Schiiten dasselbe sind, weil sie beide Moslems sind, und wenn man dir sagt, dass es beim Islam um ‚Frieden‘ geht, dann wirst du niemals verstehen, was im Irak passiert. Und wenn du in eine Debatte über die Rechte von Schwulen oder die Todesstrafe gerätst und jemand behauptet, die Bibel oder den Koran zu zitieren – weißt du, ob’s stimmt?“
Prothero plädiert daher für die Einführung eines religiösen Unterrichts in allen öffentlichen Schulen. Dabei sollten die Schüler jedoch nicht mit einem bestimmten Glauben „indoktriniert“ werden, sondern die Inhalte und Lehren aller bedeutenden Religionen kennen lernen, angefangen beim Christentum.
Eine Frage aus Protheros Glaubensquiz zeigt, dass der Verlust an religiösem Wissen Hand in Hand mit einer zunehmenden allgemeineren Ignoranz einhergeht. Die Frage lautete: „Stammt das Zitat ‚Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott‘ aus der Bibel?“ Kaum ein Drittel der Amerikaner weiß, dass der Leitspruch vom amerikanischen Gründervater Benjamin Franklin stammt und nicht aus der Bibel.