„Ich bete für richtige Entscheidungen“

Wie frei ist der Christ in der Politik? Zu dieser Frage hielt die Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen, Christine Lieberknecht, einen Gastvortrag an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Das christliche Menschenbild sei Grundlage ihres politischen Handelns – doch "theologische Herleitungen" seien heute für viele Menschen unverständlich.
Von PRO

"Erst mein christlicher Glaube ermöglicht es mir, in aller Freiheit Politik zu gestalten", erklärte Lieberknecht am Dienstag in ihrem Vortrag, zu dem der Förderverein der Theologischen Fakultät der Schiller-Universität Jena eingeladen hatte. "Dazu gehört an erster Stelle die Würde des Menschen", so die CDU-Politikerin. "Sie ist unantastbar – das gilt auch im Umgang mit dem politischen Gegner. Die Würde des Anderen achten heißt, ihm zu vertrauen und auf Augenhöhe mit ihm zu sprechen." Im Thüringer Landtag fänden regelmäßig überkonfessionelle Andachten statt. "Wer morgens zusammen betet, der geht auch im Laufe des Tages besser miteinander um", hat Lieberknecht erfahren.

Vom christlichen Menschenbild leitet sie nach eigenem Bekunden politische Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und das Subsidiaritätsprinzip, das dem Einzelnen wann immer möglich die Entfaltung seiner Eigenverantwortung einräumen will, ab. Immer wieder sprach Lieberknecht über den Wert der Freiheit und zitierte dazu Persönlichkeiten wie Martin Luther, die jüdische Publizistin Hannah Arendt oder den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Ohne die Freiheit des Einzelnen herrschten keine freien Verhältnisse – und gerade Christen seien zur Freiheit berufen.

Ausdrücklich lobte die ehemalige Pastorin, die 1984 ihr zweites theologisches Staatsexamen in Jena absolvierte, das ehrenamtliche Engagement von Bürgern: "Die Leistungsfähigkeit des Staates hat ihre Grenzen. Darum muss sich jeder einbringen." Je besser dazu die Rahmenbedingungen gegeben seien, desto eher seien die Menschen bereit, sich zu engagieren. In diesem Zusammenhang hob Lieberknecht das Erscheinen tausender Jenaer Bürger bei Kundgebungen gegen Rechtsextremismus hervor.

Theologische Herleitungen oft unverständlich

Zur Stimmung in Kirche und Gesellschaft passe, so Lieberknecht, das Motto des Katholikentages in Mannheim, "Einen neuen Aufbruch wagen". Dazu gehöre es, notfalls auch mit Althergebrachtem zu brechen und neue Wege einzuschlagen. "Ich spüre so etwas wie eine neue Nachdenklichkeit", sagte die Ministerpräsidentin. "Das vergangene Jahrzehnt begann mit dem 11. September und endete mit der Finanzkrise. Viele Fragen und Unsicherheiten bleiben, und bisher fest geglaubte Überzeugungen werden in Frage gestellt."

Artikel 1 des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", ist für Lieberknecht eine "säkulare Übersetzung" des christlichen Menschenbildes. "Für mich persönlich ist diese theologisch hergeleitet, aber in einer Welt, wo viele keine einzige biblische Geschichte mehr kennen, ist so eine Herleitung für viele Menschen unverständlich", sagte sie. Für ihre Herleitung wolle Lieberknecht, die auch als stellvertretende Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU amtiert, aber "keine Absolutheit beanspruchen". Mit der christlichen Herleitung des Begriffs der Würde solle man sich mit Menschen austauschen, die sich auf eine andere Herleitung stützen.     

Nach ihrem Vortrag beantwortete Lieberknecht Fragen aus dem Publikum – zum Beispiel über ihr Gebetsleben. "Ich bete morgens und abends, und manchmal auch zwischendurch auf einer Autofahrt", sagte sie. "Manchmal bete ich, dass ich die richtige Entscheidung treffe. Ich bete einfach, weil es ein Stück weit entlastet." Grundsätzlich plädiert die Theologin für eine Mischung aus Glauben und Vernunft: "Nur Glaube, ohne den Gebrauch der Vernunft, steht unter der Gefahr, dass er fundamentalistisch werden könnte", so Lieberknecht. "Aber nur Vernunft, ohne Wertebasis, kann das Gemeinwesen auch nicht zusammenhalten. Beide haben ihre Funktionen und müssen richtig gebraucht werden."

Christine Lieberknecht war nach ihrem Theologiestudium als Pastorin im Kirchenkreis Weimar tätig und engagierte sich in der CDU der DDR. Seit 1991 gehört sie dem Thüringer Landtag an, 2009 trat sie die Nachfolge von Dieter Althaus im Amt des Ministerpräsidenten an. Sie ist mit dem Pfarrer Martin Lieberknecht verheiratet, mit dem sie zwei erwachsene Kinder hat. (pro)

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