Die Corona-Pandemie trifft die Ärmsten weltweit besonders hart. Das betonte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von „Brot für die Welt“, am Freitag gegenüber pro. Dabei seien die Gesundheitssysteme in armen Ländern ohnehin schon kaum in der Lage, medizinische Versorgung zu gewährleisten. Ein Großteil der Menschen in Entwicklungsländern lebe zudem von prekären Jobs ohne jede soziale Absicherung. Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona hätten den Menschen ihre einzigen Verdienstmöglichkeiten genommen. Weil die armen Staaten jedoch nicht über die Mittel verfügten, um die Menschen unter Ausgangssperre finanziell zu unterstützen, fordert Füllkrug-Weitzel: „Ein Schuldenerlass muss daher die Corona-Hilfe begleiten.“
Die Bundesregierung hat in einem Nachtragshaushalt zusätzlich 156 Milliarden Euro bereitgestellt, um die Folgen der Corona-Epidemie im Land abzufangen. „Im Vergleich dazu nimmt sich die angekündigte eine Milliarde Euro für die Corona-Hilfe in Entwicklungsländern jedoch eher bescheiden aus“, erklärte Cornelia Füllkrug-Weitzel. Nach Angaben des kirchlichen Hilfswerks sollen die Mittel durch Umschichtungen im Entwicklungshilfe-Etat aufgebracht werden.
Die EU-Kommission hat für die Entwicklungsländer rund 15 Milliarden Euro Corona-Hilfen angekündigt. Die Gelder kommen nach Angaben der Tagesschau jedoch aus bereits existierenden Projekten und würden lediglich für die Corona-Hilfe „umgewidmet“. Füllkrug-Weitzel kritisiert die geplante Umschichtung bereits bewilligter Entwicklungsgelder. „Das Gerede von Solidarität mit denen, die der Pandemie schutzlos ausgeliefert sind, wird sonst zu einer hohlen Phrase. Globale Krisen sind nur zu bezwingen, wenn wir gemeinsam und weltweit solidarisch handeln und niemanden zurücklassen“, sagte sie. „Der weltweite Kampf gegen Covid-19 darf nicht zu Lasten der Bekämpfung von Hunger und Armut gehen.“ Von der Bundesregierung fordert sie, dem Entwicklungsministerium aus dem Nachtragshaushalt mindestens eine Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung stellen für den Kampf gegen die Pandemie und die wirtschaftlichen Folgen in Entwicklungsländern.
Sorge um weltweiten Hunger als Folge von Corona
Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer von „Aktion gegen den Hunger“, geht davon aus, dass „eine Hungerkrise als Folge von Covid-19 mehr Leben kosten könnte als das Virus selbst”. Rust fordert gut koordinierte internationale Zusammenarbeit und Solidarität, um eine globale Hungerkrise zu verhindern. Seinen Angaben zufolge leiden bereits 821 Millionen Menschen weltweit an Hunger.
Martin Knispel, Vorstandsvorsitzender von Tearfund Deutschland, führt als ein Beispiel den Jemen an. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hat sein Förderprogramm für das Land um die Hälfte gekürzt. „Dass die Weltgemeinschaft weniger Mittel für Hilfe bereitstellt, ist eine Katastrophe für das Land, wo 24 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind“, sagt Knispel auf Anfrage. Durch das zusammengebrochene Gesundheitswesen in dem Land seien die ohnehin geschwächten Menschen dem Covid-19-Virus schutzlos ausgeliefert. „Die Menschen brauchen jetzt Hilfe!“
Riesige Heurschreckenschwärme bedrohen Millionen
Besonders beklemmend ist die Lage in Ostafrika. Dort bedrohen riesige Heuschreckenschwärme die Ernten und damit die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Christian Mihatsch von „Klimareporter“ hat ausgerechnet, dass ein Heuschreckenschwarm mit der Größe von einem Quadratkilometer täglich so viel Nahrung benötigt wie 35.000 Menschen. In Kenia gebe es derzeit einen Schwarm mit einer Ausdehnung von 2.400 Quadratkilometern, der einen „Nahrungsbedarf von 84 Millionen Menschen“ habe.
Michael Stahl von „Brot für die Welt“, hält die Lage für „weite Teile der Bevölkerung in Ostafrika“ für existenzbedrohend. Die riesigen Schwärme fräßen alles kahl und breiteten sich mit großer Geschwindigkeit aus. „Besonders betroffen sind Kleinbauernfamilien und die Menschen, die sich kein Essen kaufen können. Im Mai soll bereits die zweite Heuschreckenwelle kommen“, erklärte Stahl auf Anfrage. Die Regierungen hätten zwar weite Teile der Flächen mit Pestiziden besprüht, aber keiner wisse, wie groß die nächsten Schwärme der Folgegenerationen sein werden. Weil auch viele Frachtflüge gestrichen sind, drohten Engpässe bei der Lieferung von Pestiziden. Die Menschen in der befallenen Regionen griffen in ihrer Verzweiflung zum letzten Mittel, um die Heuschrecken zu vertreiben: Krach.
„Am dringendsten werden Nahrungsmittel gebraucht, auch als Ersatz für Ernteausfälle in den Gebieten, in denen die Ernährungssituation auch ohne Heuschrecken und Corona schon gefährdet ist: Somalia, die Afar-Region in Äthiopien, die Regionen Marsabit und Turkana in Kenia, Südsudan und Zentralafrikanische Republik“, erklärte Stahl gegenüber pro. Auch wenn sich die Menschen hier wegen der Corona-Situation sorgten, wüssten viele Spender sehr genau, was die Pandemie auch wirtschaftlich für Menschen in Entwicklungsländern bedeute. „Ja, wir bekommen auch jetzt Spenden“, erklärte Stahl, und weiter: „Viele Menschen können sich sehr gut vorstellen, dass die Entwicklungsländer die Krise aus eigener Kraft nicht bewältigen können.“
UN kürzt Mittel, EU schichtet Hilfsgelder um
Auch in anderen Ländern wächst die Not durch die Coronakrise. In Jordanien beispielsweise hat Tearfund als erste internationale Hilfsorganisation ein Förderprogramm gestartet für bedürftige Bürger des Landes und Flüchtlinge aus Syrien, die kein Einkommen mehr haben. „In kurzer Zeit sind 115.000 Euro an Spenden zusammengekommen“, sagt Knispel, und weiter: „Es kommt nun darauf an, dass der Westen nicht nachlässt, auch den Menschen in armen Ländern beizustehen, die so oder so schon sehr wenig zum Überleben haben.“ Die Stützung der Wirtschaft in der westlichen Welt dürfe nicht auf Kosten der ärmeren Länder gehen.
„Brot für die Welt“ rechnet damit, dass der Coronakrise eine globale Rezession folgt, die dann die armen Länder am härtesten trifft. Die Welternährungsorganisation (FAO) rechne bereits mit einer Ernährungskrise. Füllkrug-Weitzel fordert, dass die Bundesregierung in der Entwicklungszusammenarbeit deshalb jetzt noch stärker einen Fokus darauf legt, die Länder bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln unabhängiger von Importen zu machen und öffentliche Programme zur Ernährungssicherung zu unterstützen.
Von: Norbert Schäfer