„Christentum, Islam, Judentum: Die drei großen monotheistischen Religionen sind für viele Menschen schwer vereinbar mit Homosexualität“, schreibt Zeit Online. Am Samstag wurde in Berlin auf dem Christopher Street Day das 50. Jubiläum der Lesben-, Schwulen- und Transexuellenbewegung gefeiert.
Ahmed, ein 34-jähriger Muslim, ist homosexuell und wurde in einem arabischen Land geboren. „Wo er herkommt, kann Homosexualität sehr streng bestraft werden“, schreibt die Zeit. Mit 19 Jahren zog er nach Berlin und lebt hier seine Sexualität aus. „Leider spricht man in meinem Herkunftsland im Fernsehen nicht über Sexualität.“ Internet habe es noch nicht gegeben, und in der Schule hörte er auch nichts darüber. „Dafür gab es mehrere Stunden Islamunterricht pro Woche. In diesen Stunden fühlte ich mich wie ein Alien.“
Seine Familie glaube nicht einmal, dass es so etwas wie Homosexualität gibt. „Ich selbst bin auch Muslim und glaube fest daran, dass ich durch meine Homosexualität etwas Falsches tue und dafür von Gott bestraft werde.“ Er bete zu Allah, ihm sei aber bewusst, dass er „nicht alles richtig“ mache.
„Gott ist ein genderfluides Wesen“
Die 31-jährige Rachel de Boor, Tochter von zwei protestantischen Pastoren aus Mecklenburg-Vorpommern, konvertierte vor sechs Jahren zum Judentum. „Ich glaube an Gott, nur mit dem christlichen Glauben und seinen Ritualen kann ich mich nicht identifizieren“, sagt de Boor. Sie studierte an der Uni Potsdam Jüdische Studien und verliebte sich in eine Israelin. „Zumal ersten Mal habe ich wahre Liebe gespürt.“ Ihr Coming-out als Jüdin sei viel schwieriger gewesen als ihr Coming-out als Lesbe.
In Berlin war sie Teil einer Gruppe mit dem Namen LSD. „Das steht für Let’s start davening, also lasst uns beten. Jüdische, aber auch nichtjüdische, queere und nicht-queere Menschen trafen sich monatlich außerhalb der Synagoge zum Schabbatgebet. Leider existiert diese Gruppe nicht mehr.“ De Boor gründete eine Gruppe für Rainbow-Jews, „wo queere Juden und Jüdinnen über alle Facetten ihrer Identität sprechen können“. In Deutschland sei Homosexualität in jüdischen Gemeinden, egal ob orthodox oder liberal, noch nicht sehr akzeptiert. Sie selbst sagt: „Gott stelle ich mir übrigens als ein genderfluides Wesen vor. In der Schöpfungsgeschichte steht, dass Gott die Menschen nach seinem Ebenbild schuf: männlich und weiblich. Dort steht nicht, er habe Mann und Frau geschaffen. Für mich steht neben Gott ein Sternchen*.“
Außerdem sprach Zeit Online mit dem 31-jährigen Andrej, der ursprünglich aus Sankt Petersburg kommt und 2010 zunächst nach Berlin zog. Er ist schwul und gläubiger Russisch-Orthodoxer. Seiner Meinung nach entfernt Sex den Menschen von Gott. Er lebte in Berlin seine Homosexualität frei aus, zog sich dann jedoch zurück: „Denn jede Form von körperlichem, geistigem oder emotionalem Wohlfühlen hält dich von der inneren Konzentration ab, die der Glaube braucht.“ Seitdem er aus Berlin weggezogen sei, sei sein Leben ruhig.
Als er 16 Jahre alt war, fing er an, sich für das orthodoxe Christentum zu interessieren, weil ihm „die weltlichen Antworten auf große Fragen nicht mehr reichten“. Andrej sagt: „Der Glaube befriedigt mein Bedürfnis, etwas Tieferes in mir selbst zu finden, das jenseits von äußeren Faktoren wie Arbeit, Ausbildung oder sexueller Neigung liegt.“
Er ist überzeugt: „Homosexualität gehört meiner Meinung nach nicht zur Kirche, das ist meine persönliche Sache. Vor allem Sex ist mein Problem – und nicht das Problem Gottes. Es ist ein Trieb und eine Sünde, die mich von ihm entfernt. Dabei ist es egal, ob ich mit einem Mann oder einer Frau schlafe. Schuldgefühle habe ich nach dem Sex nicht. Ich schade ja nicht Gott, sondern vor allem mir selbst. Damit kann ich ganz gut umgehen. Trotzdem habe ich manchmal Bedenken, ob das der richtige Weg für mich ist, oder ob ich einen anderen wählen sollte.“ Die Kirche stellt für ihn ein spirituelles Ideal dar und sollte sich nicht anpassen und etwa Homosexualität akzeptieren, findet er. „Die Kirche ist keine Institution, die sich anpassen sollte.“
Von: Jörn Schumacher