Ein Vorfall bei einer Geburtstagsfeier in Berlin vor rund zehn Tagen hat für heftige Diskussionen gesorgt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll den CDU-Politiker Joe Chialo, der aus einer tansanischen Diplomatenfamilie stammt, in einem privaten Gespräch als „Hofnarr“ und „Feigenblatt“ bezeichnet haben. Das berichtete das Magazin „Focus“ am Mittwoch. Demnach soll Scholz den Berliner Kultursenator in dem Gespräch über das gemeinsame Abstimmungsverhalten von CDU und AfD mit diesen abwertenden Worten konfrontiert haben. In einer Stellungnahme erklärte Scholz laut ZDF, es sei die Frage aufgekommen, ob sich der Vorgang im Parlament wiederholen könne. Dabei habe Scholz kritisiert, dass sich nur wenige liberale Stimmen in der CDU gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen hätten, darunter Chialo. Laut „Focus“ soll Scholz daraufhin gesagt haben: „Jede Partei hat ihren Hofnarren.“
Die Äußerungen von Scholz über Chialo wurden von vielen Beobachtern als diskriminierend empfunden und werfen Fragen über den Umgang mit Minderheiten in der Politik auf. Scholz weist den Rassismusvorwurf zurück. Dennoch bleibt die Frage, ob es sich bei den Bezeichnungen nicht um eine Form der Diskriminierung handelt, die Chialo in seiner Rolle innerhalb der CDU zu einer Randfigur reduziert.
„Hofnarr“: Rassistisch oder harmloser Sprachgebrauch?
Der Begriff „Hofnarr“ stammt aus der mittelalterlichen Gesellschaft, in der der Narr eine untergeordnete, aber symbolisch wichtige Rolle spielte. Er unterhielt die Höflinge und konnte Kritik üben, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Aber er war immer der „Kleine“ unter den Mächtigen. Wenn Scholz Chialo als „Hofnarren“ bezeichnet, wertet er ihn damit als Politiker ab. Diese Wortwahl kann daher als diskriminierend interpretiert werden, da sie Chialo auf eine untergeordnete Rolle im politischen Diskurs reduziert. Statt ihm als ernstzunehmenden Politiker zu begegnen, schreibt der Kanzler ihm die Rolle eines Entertainers zu. Seine politische Bedeutung und seine Rolle innerhalb der Partei werden damit unterbewertet.
Zudem habe Scholz im Zusammenhang mit der AfD-Abstimmung Chialo als „Feigenblatt“ bezeichnet. Das weist auf eine weitere problematische Ebene hin, nämlich die des „Tokens“. Damit lässt sich in politischen Kontexten eine Person beschreiben, die nur aus symbolischen Gründen in eine Position berufen wird, ohne tatsächliche Macht oder Einfluss zu haben. Im Fall von Chialo könnte Scholz ihn als „Feigenblatt“ bezeichnet haben, weil er der CDU als „Vorzeige-Schwarzer“ dient, der in der Öffentlichkeit das Bild einer inklusiven Partei vermitteln soll, obwohl er innerhalb der Partei wenig Einfluss hat.
Diese Perspektive reduziert Chialo auf eine bloße Symbolfigur und nimmt ihm die Möglichkeit, als eigenständige politische Stimme innerhalb der Partei wahrgenommen zu werden. Gerade Menschen, die einer Minderheit angehören, können in verschiedenen gesellschaftlichen Positionen als „Token“ eingesetzt werden, wodurch sie aber von Gleichberechtigung und Anerkennung ausgeschlossen sind. Diese Personen sind in ihrer Rolle gefangen, sich ständig beweisen oder anpassen zu müssen. Meist ohne Erfolg.
Scholz‘ diskriminierende Äußerungen hinterlassen negative Spuren
Scholz entgegnete der Kritik: „Der erhobene Vorwurf des Rassismus ist absurd und künstlich konstruiert“, erklärte der Kanzler auf der Plattform „X“ (ehemals Twitter). Er schätze Chialo als eine liberale Stimme in der Union. Dennoch bleibt der Vorfall problematisch. Die Bezeichnungen „Hofnarr“ und „Feigenblatt“ sind nicht unbedingt rassistisch im strengen Sinne, zeigen aber eine klare Form der Diskriminierung, da sie Chialo nicht als gleichwertigen und vollwertigen Politiker anerkennen und unterstellen, er sei nur aufgrund seiner ethnischen Herkunft in Amt und Partei.
Scholz entschuldigte sich in einem telefonischen Gespräch mit Chialo, in dem er bedauerte, dass seine Äußerungen als rassistisch verstanden worden seien. Dies sei nicht seine Absicht gewesen. Chialo selbst erklärte, die Wortwahl des Kanzlers ihm gegenüber sei „herabwürdigend“ und „verletzend“ gewesen. Er sehe in Scholz aber keinen Rassisten, die Sache sei damit für ihn erledigt.
Die Reaktionen anderer Politiker sind gespalten: „Der aktuelle Bundeskanzler unterstellt, dass Joe Chialo seine Position nur wegen seiner Hautfarbe als Feigenblatt einer an sich rassistischen Partei habe. Was ist nur aus Herrn Scholz geworden“, schrieb die CDU-Politikerin Julia Klöckner auf „X“. Andere Stimmen setzten sich für Scholz ein. Der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch bezeichne die „Focus“-Berichterstattung und die geschilderten Vorwürfe gegen Scholz als „gezielte Kampagnenarbeit im Sinne der CDU“.
Demokratie sollte von Nächstenliebe und Respekt geprägt sein
Dieser Vorfall spiegelt eine Haltung wider, die Minderheiten zu politischen Figuren erniedrigt, die vor allem der Symbolik dienen, anstatt reale Macht und Einfluss zu besitzen. Politische Führer sollten solche Äußerungen vermeiden, um eine Gesellschaft zu fördern, in der echte Teilhabe und Wertschätzung aller Mitglieder gewährleistet sind. Ähnlich äußerte sich der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki: „Denn eine entsprechende Entgleisung würde nicht die traditionsreiche sozialdemokratische Partei, sondern auch das Ansehen der demokratischen Institution ernsthaft beschädigen“, teilte er auf „X“ mit.
Der Vorfall zeigt, wie wenig Wert auf respektvolle Auseinandersetzungen und die Anerkennung von Vielfalt gelegt wird, wenn ethnische Zugehörigkeit und Symbolpolitik mehr zählen. Zugleich wirft er auch die Frage nach Respekt und Nächstenliebe in einem demokratischen System auf. Demokratie lebt vom respektvollen Dialog, in dem unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen gehört und wertgeschätzt werden. Nächstenliebe fordert uns auf, einander mit Respekt und Würde zu begegnen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder politischer Überzeugung. In einer Demokratie sollten sich Politiker genauso wie Bürger gegenseitig als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkennen.