Hoffnung gegen das Virus

Das Coronavirus ist Ende Februar auch nach Deutschland gekommen. Seitdem hat sich das Leben verändert, es wurde hinter verschlossene Türen gedrängt. Die neue Situation macht viele Menschen kreativ. Aber sie macht auch Angst. Gut ist es, eine Hoffnung zu haben, die über die menschlichen Möglichkeiten hinausgeht. Ein Leitartikel von Jonathan Steinert
Von PRO
Pflanzen stehen für Wachstum und Hoffnung - auch in dieser schwierigen Zeit

„Corona-Ferien sind schön“, singen die Kinder von Sophie Gruner aus Erlbach-Kirchberg, einem Dorf im Erzgebirge. Seit Mitte März sollen sie wie Schüler in ganz Deutschland nicht mehr zur Schule kommen, um die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus zu minimieren. Aber Ferien sind es nicht: Die Schüler bekommen Aufgaben von ihren Lehrern und sollen sie zu Hause lösen. Trotzdem sei es schöner, daheim zu sein, sagt die Viertklässlerin Livia, die Älteste. Für die Eltern sind „Corona-Ferien“ eher stressig.

Da die 31-jährige Mutter und ihr Mann in Pflegeberufen tätig sind, sind sie „systemrelevant“ und können nicht einfach von zu Hause aus arbeiten. Ihre Schichten versuchen sie so zu legen, dass einer von beiden bei den drei Kindern ist. „Es ist ziemlich anstrengend“, berichtet Gruner. Denn die Eltern müssen den beiden Schulkindern bei den Aufgaben helfen und neuen Stoff beibringen. Dann hat der vierjährige Knirps aber niemanden zum Spielen und rennt durch die Wohnung. Dadurch haben die Großen keine Ruhe – und auch nicht immer Lust – für die Aufgaben. „Wir merken, dass wir schneller gereizt sind und uns auf die Nerven gehen.“ Gruner sagt aber auch: „So viel Zeit, wie Eltern jetzt mit ihren Kindern haben, werden sie so schnell nicht wiederbekommen.“ Immerhin: Gruners haben einen Garten, können auch rausgehen. Aber Ausflüge oder selbst der Spielplatz sind tabu.

Die Epidemie durch das Coronavirus hat in fast allen Ländern der Welt Spuren hinterlassen und vor allem in westlich geprägten Ländern scheinbare Selbstverständlichkeiten außer Kraft gesetzt. Das Leben, wie es seinen gewohnten Gang ging, gab es mit einem Mal nicht mehr: Fußball, Konzerte, Gottesdienste, Kneipen – abgesagt und geschlossen. Die Maßnahmen, um die Menschen vor dem Coronavirus zu schützen, haben die Straßen leergefegt, das wirtschaftliche Treiben lahmgelegt und das soziale Leben weitgehend hinter verschlossene Türen und ins Internet verlagert. Auch der gewohnte Kreislauf von arbeiten, Geld verdienen, Geld ausgeben läuft stark gebremst. Der Autohändler Manfred Kirr aus Greifenstein im Westerwald zum Beispiel hat seit Wochen keine Anfragen von Kunden mehr: Keine Anrufe, keine Laufkundschaft, keine E-Mails. Auch in der Werkstatt herrscht Flaute. Es sei „totenstill“. Sonst hat er durchschnittlich pro Woche zehn Angebote zu erstellen, im Frühjahr meist noch mehr. „Um diese Zeit startet eigentlich die Saison“, sagt Kirr – nach dem schleppenden Wintergeschäft. Nicht so in diesem Jahr. Wirtschaftlich ist die Lage für den Händler bereits jetzt angespannt, denn seine Kosten laufen weiter.

Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik wurden Freiheitsrechte, die so elementar sind für unsere Gesellschaft – wenn auch mit Bedacht – schrittweise eingeschränkt. Mit unabsehbaren langfristigen Folgen für die Wirtschaft einerseits, für die seelische Gesundheit vieler Menschen andererseits. Psychologen fürchten, dass Ausgangsbeschränkungen zu mehr häuslicher Gewalt oder gar Suiziden führen können. Allerdings: 95 Prozent der Deutschen halten die Kontaktverbote laut ARD-Deutschlandtrend vom 23. März für richtig. Drei von vier Bürgern sagen, dass sie mit dem Krisenmanagement der Regierung zufrieden sind, ebensoviele, dass sie dem Gesundheitssystem und Ärzten vertrauen. Es rollt eine überwältigende Welle der Kreativität, Anteilnahme und Solidarität durchs Land: Musiker geben an der Haustür kleine Konzerte, Gesunde helfen beim Einkaufen für Menschen mit höherem Infektionsrisiko, es gibt Wohnzimmergottesdienste, Livestreams aller Art, humorvolle Aufmunterungen, neue Formen von Gemeinschaft über digitale Kanäle. Dass Not erfinderisch macht, lässt sich in der Coronakrise an zahlreichen Beispielen sehen.

Trotziges Vertrauen

Aber die Krise macht auch Angst. Auf die Gesundheitskrise werde eine Finanz- und darauf eine Wirtschaftskrise folgen, sagen Experten. Ganz abgesehen von den beunruhigenden Berichten aus Ländern, deren Wirtschaftskraft, Infrastruktur und Gesundheitswesen nicht mit dem deutschen vergleichbar sind, aus Flüchtlingslagern und Kriegsgebieten. Das Virus würde die ohnehin katastrophale Lage noch verschärfen. Das lässt ein Gefühl von Ohnmacht, Unsicherheit und, ja, Angst entstehen.

Sophie Gruner erlebt das in ihrem Umfeld: Nicht jeder Kollege könne lachen, wenn ein anderer einen Corona-Witz reißt. Im Seniorenheim, in dem sie arbeitet, herrscht Angst, weil die Menschen hier zur Risikogruppe gehören. Dass sie keinen Besuch bekommen können, ist zusätzlich bitter. Sie standen bereits drei Wochen unter Quarantäne, weil Rotaviren die Runde machten. Und nun Corona. Bewohner und Mitarbeiter sind am Rande ihrer nervlichen Kräfte. Gruner stellt aber auch fest: Ihre Kollegen und die ihres Mannes sind aufgeschlossener für Gespräche über den Glauben. Das Ehepaar selbst ist relativ gelassen. Aus der Bibel wissen die beiden: Jesus hat schwere Zeiten angekündigt. Und er hat versprochen, bei ihnen zu sein. Auch Autohändler Kirr sagt: „In der Krise verlasse ich mich auf Gott.“

Der Psychiater und Psychotherapeut Martin Grabe, Chefarzt der christlichen psychiatrischen Klinik Hohe Mark, erklärt im Gespräch mit pro: „Die Frage, wie angstvoll ein Mensch reagiert, hängt eng mit der Frage zusammen: Wie sicher bin ich gebunden?“ Bei kleinen Kindern spiele dabei vor allem die Beziehung zu den Eltern eine Rolle. Bei Erwachsenen seien Beziehungen zu anderen Menschen entscheidend – zum Partner oder zu Freunden –, aber auch zu Gott. „Das wirkt sich auch auf das Angstempfinden aus: Wie geborgen fühle ich mich, wie gewiss bin ich, dass ich in Gottes Hand stehe?“

Um mit Krisen und Nöten umzugehen, kann es auch helfen, sich daran zu orientieren, wie andere Menschen mit schweren Situationen umgegangen sind. Der Reformator Martin Luther hat in Wittenberg 1516/17 die Pest selbst erlebt. Gut ein Jahrhundert später, während des Dreißigjährigen Krieges, wurde die Stadt erneut von der Pest heimgesucht. Zu der Zeit studierte der Liederdichter Paul Gerhardt dort. Einen seiner Brüder hat er durch die Seuche verloren – und an andere Krankheiten seine Frau und vier von fünf Kindern. Luther und Gerhardt sind die bedeutendsten Kirchenlieddichter. Ihre Texte sind ein Zeugnis von überschwänglicher Glaubensfreude einerseits und von geradezu trotzigem Gottvertrauen in schweren Zeiten andererseits. „Ein feste Burg ist unser Gott“, dichtete Luther. Gerhardt schrieb Zeilen wie diese: „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich.“ Oder: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt / der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. / Der Wolken Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, / der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“

Dieses Lied nahm Johann Sebastian Bach in seine Matthäuspassion auf. Und mitten in der Coronakrise beweist der Choral, wie zeitlos tröstend und ermutigend diese Worte sind: Die Bachgesellschaft Malaysia hat innerhalb von zwei Tagen ein Video produziert, auf dem Musiker rund um die Welt dieses Lied singen und spielen – jeder für sich, aber im Video zu einem vielstimmigen Chor vereint. Die Hoffnung, dass ein Größerer, Stärkerer die Welt in seinen Händen hat, Wege weiß und Bahnen lenkt, kann das Virus nicht auslöschen.

Dieser Artikel ist im Christlichen Medienmagazin pro erschienen, das Sie hier oder telefonisch unter der Nummer 06441/5667752 bestellen können.

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