von Andreas Dippel
„Wie groß ist das Potenzial zu Fundamentalismus und Gewaltbereitschaft bei den in Deutschland lebenden Muslimen?“, fragt die Journalistin Caroline Fetscher in einem Bericht über die Tagung „Der Islamismus – eine journalistische Herausforderung“, die Anfang Februar in Berlin stattfand. Wenige Wochen vorher, im Dezember, sagt der Philosoph Daniel Dennett, einer der extremsten Anhänger der Evolutionslehre, in einem Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“: „Wir haben es mit einer Allianz aus evangelischen Fundamentalisten und rechten Politikern zu tun. Sie wollen in Amerika eine Gottesherrschaft errichten.“ In dem Interview kritisiert der Philosoph den Glauben als eine Erfindung des Menschen. Das aber wollten die „Fundamentalisten“ nicht wahrhaben – und kämpfen dagegen.
Entstehung des Begriffes
Immer wieder wird der Begriff „Fundamentalisten“ gebraucht, auch in der gegenwärtigen Berichterstattung über Lehrer, die im Biologieunterricht neben der Evolutionstheorie auch die Schöpfungslehre behandeln. Dabei ist es gleich, ob diese nun dem Islam oder Christentum angehören. Moslemische Ayatollahs, die mit der Atombombe drohen, und Christen, die Kritik an der Evolutionstheorie üben, werden auf eine Stufe gestellt und als „fundamentalistische Gefahr“ porträtiert. Der „Fundamentalismus“ ist, so gewinnt man bei vielen Äußerungen, vor allem in den Medien, den Eindruck, der Inbegriff der finsteren Mächte, die heute aktuellste Gefahr für den Frieden in der Welt, in der Gesellschaft oder in der Kirche. Dass dabei evangelikale Christen pauschal als „Fundamentalisten“ bezeichnet werden und somit im Denkmuster der Öffentlichkeit zu einer Gefahr stilisiert werden, fällt auf alle Christen zurück.
Dabei kann ein Blick auf die Ursprünge des Wortes und eine mögliche Definition vieles klären, insbesondere die Frage: „Sind Evangelikale Fundamentalisten?“, mit der sich der Neutestamentler Eckhard J. Schnabel in seinem gleichnamigen Buch befasst hat. Der Begriff geht zurück auf die Jahre 1910 und 1915 und steht im Zusammenhang mit der Entwicklung der amerikanischen Kirchengeschichte. Zwischen diesen Jahren am Anfang des 20. Jahrhunderts erschien in Chicago die zwölfbändige Schriftenreihe „The Fundamentals: A Testimony of the Truth“ („Die Fundamente: Ein Zeugnis der Wahrheit“). In diesen Bänden setzten sich Theologen mit der Kritik an biblischen Aussagen auseinander. Ziel war es, grundlegende, eben „fundamentale“ christliche Überzeugungen zu verteidigen. Seit nunmehr 100 Jahren wird der Begriff „Fundamentalisten“ auf Christen angewandt, die sich zu aus ihrer Überzeugung heraus wichtigen Fundamenten und Aussagen der Bibel bekennen.
Islamischer Fundamentalismus
Doch der Auslöser für eine zunehmende Verwendung des Fundamentalismus-Begriffs in den Medien und damit in der breiten Öffentlichkeit war die islamische Revolution des schiitischen Ayatollahs Khomeini im Iran Anfang 1979. Der Islamist verwarf die Industrialisierungs- und Modernisierungspolitik des Schah, lehnte Pluralismus und Demokratiebewegungen ab, verwarf eine Trennung zwischen Religion und Staat und somit eine Durchsetzung der Religionsfreiheit und Menschenrechte. Khomeini berief sich auf den Absolutheitsanspruch des Koran und der islamisch-schiitischen Überlieferungen – und wurde fortan als „Fundamentalist“ bezeichnet.
Der Begriff „Fundamentalismus“ hat in der öffentlichen Verwendung und Wahrnehmung eine Wandlung erfahren – bis die Bezeichnung in aktuellen Diskussionen um Abtreibung und Evolution auch auf Christen angewandt wurde, die nun als ebenso engstirnig, Demokratiefeindlich und gefährlich wie ein moslemischer Ayatollah gelten.
Sachlicher Gebrauch nötiger denn je
Wenn im Zuge der aktuellen Debatte um die Frage, wer denn eigentlich „Fundamentalisten“ sind, auch Christen mit dem Begriff bezeichnet werden, so wird die gewandelte Definition des Wortes schlicht ignoriert. „Fundamentalisten“ sind im heutigen, allgemeinen Verständnis Menschen, die durch Gewalt ihre intoleranten Glaubensüberzeugungen vertreten und verbreiten wollen. Es sind Gläubige, die ihre als Wahrheit vertretene Meinung ohne Liebe und Rücksicht, ohne Dialogbereitschaft und Verstand vertreten, die andere unterdrücken und sie in ein gleichförmiges Denkmuster drängen wollen. Und genau das unterscheidet Christen etwa von Islamisten, die über der Sharia, dem moslemischen Recht, keine andere Meinung gelten lassen.
Auch in den aktuellen Diskussionen um den Fall eines Lehrers, der an einem staatlichen Gymnasium im Biologieunterricht neben der Evolutionstheorie auch die Schöpfungslehre bespricht, wird von der „Gefahr durch christlichen Fundamentalismus“ gesprochen und geschrieben. Doch gerade hier wird deutlich, dass der Lehrer, der sich bewusst als Christ bezeichnet, seinen Schülern keine Meinung aufdrängen will, den Dialog sucht, kein gleichförmiges Denkmuster im Fach Biologie erzwingen will. Das hat die Schulleiterin der betreffenden Schule explizit bestätigt.
Lehrplan für Biologieunterricht
Der Lehrer hält sich zudem an den Lehrplan für den Biologieunterricht an Gymnasien, wie ihn das Hessische Kultusministerium vorsieht. Darin heißt es zur Unterrichtseinheit Evolution: „Es muss ihnen (den Schülern) deutlich gemacht werden, dass sich die Theorie, die sowohl die Vielfalt der Lebewesen als auch ihre abgestufte Ähnlichkeit erklären soll, im Wesentlichen auf einen historischen Prozess bezieht und somit auch entsprechender Forschungsmethoden bedarf. Auseinandersetzungen mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die naturwissenschaftliche Diskussion ergänzen und erweitern.“ Anstatt den Lehrer als „christlichen Fundamentalisten“ zu betiteln, sollten Beobachter vielmehr die auf sachlicher Ebene ihre Urteile fällen.
Teile des Artikels sind erschienen in der Ausgabe 1/2006 des Christlichen Medienmagazins pro. Wir veröffentlichen den Beitrag in aktualisierter und gekürzter Fassung.
Das Buch „Sind Evangelikale Fundamentalisten?“ von Eckhard J. Schnabel ist als Neuauflage im Hänssler Verlag in der proWerteBibliothek erschienen.